Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748520993
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letzte Zufuhr kam von Wattwil herauf. Zwölf Karren mit Druckwerk: Chroniken, Gebete, Heiligenbilder, Ausgaben der Engelweihbulle aus den Offizinen von Nürnberg, Ulm, Straßburg, München und Freiburg.

      Die große Göttin

      Els Ochsnerin war zwei Tage vor dem Feste mit aller Arbeit soweit gekommen, daß sie Mann und Kind in die fernhinschauende Giebelkammer des Pilgerspitals einholen konnte. Die meisten Gottshausfrauen, die unter ihrer Aufsicht gefront hatten, waren entlassen worden. Sie saß am Abend dieses letzten schweren Tages blaß, abgemagert daheim, erwartete Bombast von Willerszell her. Sie war allein und sprach dem Krüglein Milch nur mäßig zu.

      Die Fenster standen offen. Mit dem kühleren Hauch drangen in den herdwarmen Gadem die Stimmen einiger Krämer herein, die am Tische vor dem Ochsnerhause eine letzte Rast gemacht hatten, um Erkundigungen einzuziehen und die vom Paßwege erschöpften Tiere ein wenig stehen zu lassen. Der alte Ochsner wußte, wohin er die Gäste zu weisen hatte. Er stand an der Teufelsbruck auf einem Posten, es gingen ihm von Einsiedeln her die Winke zu. Er gab seinen Rat bedachtsam, als müsse er sich für die oftgestellte Frage jeweils besinnen. Das ehrte den Gast und schuf Vertrauen.

      Theophrast huschte im Hause umher. Er schleppte einen Brotbeutel hochgeknotet am Hals und füllte ihn mit den nützlichsten Dingen für den Auszug.

      Er kannte den Weg hinüber, aber seine wahre Länge hatte er erst im Frühjahr ausgemessen, als sieden schwarzen Änderle henkten. Da war er zum erstenmal auf eigenen Sohlen bis auf den Galgenberg vorgedrungen, und zwar allein.

      Der Änderle hing am Galgen, machte große Augen und streckte die Zunge heraus. Die Augen starrten auf zwei Raben, die ober dem Änderle auf dem Riegelholz saßen und, da sie sich von dem glasigen Blick immerhin getroffen fühlten, vorsichtig bald mit dem einen bald mit dem andern Auge herunterfunkelten. Theophrast suchte einen flachen Stein, der gut durch die Luft pfiff, und hätte den einen Raben fast getroffen. Die schwarzen Vögel schwangen fort gegen das Stift zu und krächzten. Theophrast bekams mit dem Gewissen: am Ende hatte er die heiligen Raben des St. Meinrad erschmeißen wollen, sie strichen zur Gnadenmutter hinüber und würden es nicht verschweigen. Der Änderle sah zum Querbaum hinauf und bleckte die Zunge, obwohl die Raben fort waren. Das war unheimlich, wenn er auch sonst ruhig hing.

      Theophrast setzte sich an den Straßenrand dem Gehenkten gegenüber. Nach Einsiedeln blieb ein gutes Stück. Dort hätte er den Götti besuchen können. Doch der mochte ihn nicht, und er mochte den fetten Götti ebensowenig. Der brodelte immer aus seinem schleimigen Hals: „Frästli, daß Gott erbarm, bist als ein dürftigs Büebli und hast kein Heiligen nit.“ – Zum Götti wärs aber näher gewesen als heim. Theophrast sah immer wieder zurück. Haus und Teufelsbruck hatte der Erdboden verschlungen, sie lagen in der Schlucht. Hätte die Mutter ihn am Tage vorher mitgenommen und nicht eingesperrt, als sie den Änderle henkten, so hätte er nicht auf eigene Faust gehen müssen. Und es war kaum des weiten Weges wert. Er hing ganz still, sah den neuen Balken an, bleckte dabei die Zunge, und seine Hände waren hinter dem Rücken zusammengebunden. Er hätte höchstens mit den Füßen stoßen können. – Und vor ihm haben sie alle Angst gehabt, nur der Theophrast nicht. Er hat den Änderle gut gekannt, denn er hat weitum alle Vogelnester gewußt. Sie haben ihn geprügelt, weil er einmal mit dem Änderle im Borzerwald war und das Kiebitzei von ihm genommen hat. Seit der Zeit ist es schwer gewesen, Freundschaft zu halten. Alles mußte verschwiegen bleiben. Und der Änderle konnte erzählen, wie weit er über allen Bergen gewesen war. Jetzt aber mußte er bleiben, konnte nichts mehr als die Augen verdrehen und die Zunge blecken. Seine Füße hingen einer über dem andern, als seien sie über Schnee gelaufen und frören. Theophrast stand auf und ging unter den Galgen, um zu fühlen, ob des Änderle Füße wirklich so kalt seien, wie er tat. Er streckte sich, aber erlangte sie nicht. Da kam ein Klosterknecht mit Pferd und Karren den Weg vom Stift her. Er kannte das Kind und nahm es auf dem Karren mit.

      „Der Änderle ist min Fründ gsi“, erklärte Theophrast, während er in dem rüttelnden Karren stand und sich festhielt. „Und er ist über alle Berg gewest, nu aber hanget er und hat kalte Füeß.“

      So wußte Theophrast, wie weit es eigentlich nach Einsiedeln sei, wenn einer nicht reiten noch fahren konnte, darum auch wollte er sich und die Seinen für alle Fälle versehen. Es wurde der Brotsack voller und die Sorge des Theophrast leichter.

      Zwei Nägel und vier Knöpfe lagen zu unterst im Sack. Ein Ballen Hanf, weil nur ein kurzer Strick aufzutreiben war. Ein Stück Tuch, wenn Hose oder Ärmel ein Loch bekämen. Ein Strumpf, zu dem der Zwilling fehlte. Eine Glasscherbe, mit der man Aufgeharschtes von Tisch und Bank kratzen konnte, daß die Mutter beim Scheuern eine Erleichterung fände. Eine Schelle, mit der er läuten wollte, wenn er die Mutter im Gedränge verlor. Der Plappart, den ihm der Götti zu hl. drei König geschenkt hatte, um Schafbock beim Lebzelter, Lichter für die Gnadenmutter, wächserne Arme und Beine, vielleicht auch einen jungen Maulesel für den Vater zu kaufen, denn das Schwabenjörgeli war schon alt. Aber auch für alle Fälle ein tüchtiger Keil Brot und ein Stück Käse: es konnte etwa alles Brot in Einsiedeln ausgehen, dann wollte er mit dem seinen der Mutter und dem Vater beistehen und sich recht als einen vorsichtigen Mann erweisen. Er hatte die Nahrung für diesen Zweck längst beiseite gebracht. Überdies führten auch die Pilgeri Brot und Käse in ihren Säcken mit. Dazu kamen noch fünf Nüsse, ein blaues Band, so lang, daß es zweimal um seinen Bauch ging, ein Bogen Druckwerk aus irgendwelchem Buche, den hatte Theophrast unter einem der Gasttische gefunden, und wer weiß, was für wichtige Dinge darauf standen. Dann noch ein Stück Kette, das einen Übeltäter fesseln konnte, wenn einer sich an Vater oder Mutter vergriff. Die Läufe waren ungetreu. Etliche Hutzelbirnen. Und jenes bunte Seidentüchlein, das ihm von der Mutter nach langem Für und Wider geschenkt worden war, als der Vater ihr zwei schöne, neue aus Zürich mitgebracht hatte.

      Mit dem Brotsack schleppte sich Theophrast seit frühem Morgen und fuhr alle Winkel aus, um nichts zu vergessen, was den Seinen von unberechenbarem Nutzen sein konnte. Ein leises Fieber befiehl ihn, als er endlich das Schwabenjörgeli an der Krippe vor der Tür fand und wußte, daß der Vater von Willerzell zurück sei. Sie mußten fort. Er brauchte nur noch sein Schwert umzubinden.

      Das Schwert lag im Gadem unter der Ofenbank. Der Marx hatte es aus Eschenholz geschnitzt. Die Schneide war mit Eichengalle schwarz gefärbt, Griff und Bügel mit Zwiebelschale goldbraun. Das Schwert schnitt den dicksten Schierling glatt durch.

      Im Gadem saßen Vater und Mutter. Die Mutter lehnte an des Vaters Schulter und hielt die Augen geschlossen. Aber der Vater sah unwillig drein. Theophrast hörte noch:

      „… ist Ohnrecht an uns, bist ausgeronnen, und du bist min und des Buben, sunst niemands.“

      „Ist dannocht min Hoimat, Bombast, und ich müesset vergohn“, flüsterte Eis.

      „Sie händ es nit vergessen; ich bleib der Schwöb, und steh ich gleich im Einsiedeler Dienst. Nu flackerts am Bodensee und Rhein, sie sänd von Tag zu Tag mehr in den alten Zorn verbissen. Balde so brennend sie – und blüetend. Dann wird min Heimat bespien und min Bluot von aller Bosheit geschmächt.“

      „Du bist hie wohlgelitten, Bombast, und ich müesset vergohn.“

      Theophrast sah nicht gern, wenn Vater und Mutter beisammen saßen. Eine ungewisse Scheu bedrängte ihn dann. So oft er konnte, trennte er sie. Beide liebte er, doch den Vater anders als die Mutter. Er vermochte nicht diese Liebe zu vereinen.

      Lag die Mutter zärtlich hingegeben an des Vaters Brust, wie in diesem Augenblicke, dann glaubte er eine entwürdigende Schwäche zu beobachten. Liebkoste Hohenheim seine Frau, empfand er deutlicher: der Vater stellt sich bloß. Er litt es, und ein sanfter Frieden erfüllte ihn, wenn beide Eltern ihm mit streichelnder Hand begegneten. Aber das sah er nicht. Hätte ers gesehen und nicht nur gefühlt, er würde ihre Liebe vielleicht trotzig abgewehrt haben. Nicht Eifersucht trieb ihn zwischen Vater und Mutter, wenn beide einander umfingen. Das augenfällige Zeichen ihrer Liebe befremdete ihn bis zum Unwillen. Er wußte nicht, daß sie selber mehr fühlten als sahen, wenn sie zärtlich zueinander waren. Und der andere schlummernde Grund blieb, daß er beide anders liebte. Er schied das Wesen des Mannes von dem der Frau ahnungsvoll.

      Noch