Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748520993
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Das Vieh lag tief geduckt, sperrte seinen Rachen weit auf. Es schluckte die Straße und alles, was talab von der Klause kam. Wenn eines Reiters Rößlein in das große viereckige Maul eingelaufen war, dann donnerte es in dem Leibe des Untiers. Nicht alles wurde gefressen. Manch einen spie es heiler Haut wieder aus. Die Mutter litt nicht, daß Theophrast dem dunklen Schlund zu nahe kam, obwohl er es manchmal gewagt hätte, denn all die Seinen gingen dort ungekränkt ein und aus. Unter dem Drachen brauste es ohn Unterlaß. Aber die Mutter hatte ihn vor den flackernden Zungen im Ofen gewarnt, und er war dann wirklich scharf gebissen worden. Die Großen durften es auch hier wieder wagen. Viele wurden dennoch gefressen; sie kehrten nickt mehr zurück.

      Zuweilen wars aber schauerlich schön, hinter den Brettern versteckt, auf das Greuel hinunter zu blinzeln oder es anzubellen. Der Wurm rührte sich nicht, sperrte nur das Maul recht weit auf. Man wußte sich im übrigen gut gedeckt und konnte im Notfall tüchtig schreien.

      So waren dem Theophrast von Hohenheim keineswegs Mutter und Vater die ersten Lehrer geworden, sondern eine Bretterwand, darin er zwei Astlöcher und einen dünnen Spalt entdeckt hatte. Theophrast verzweifelte nicht, weil die Welt endlich und immer mit Brettern vernagelt ist. Der kleine Mann hatte seine Astlöcher gefunden und vermochte durch sie die drei Reiche der Sehnsucht zu scheiden. Das bunte und laute, das über die Straße drängt, hoch zu Roß und demütig auf nackten Sohlen. Das stille und weite, aus dem es lockt mit der Stimme heimlicher Quellen. Das rätselvoll verschlossene, von ewig gleicher, dumpfbrausender Mahnung erfüllt, das den leblosen, starren Rachen weit öffnet.

      Vermag irgendein Lehrmeister Besseres als die Laube des Ochsnerhauses an der Teufelsbruck, die dem Kinde seine erste Bretterwand und seine ersten Sehnsuchtsblicke wies, ehe es noch den Trost des schallenden Wortes erlauscht hatte?

      Zwar spielte auch Theophrast mit dem Worte und lernte dabei den vieibefahrenen Weg von der Rachenhöhle bis zum Lippenrand kennen, aber im allgemeinen brauchte er die Worte doch nur, wie man tüchtige Hände braucht, um etwas zu ergreifen oder abzuwehren. Doch auch er merkte bald, daß seine Worte weiter reichten als seine Arme und Beine. Sie griffen in die Welt der Großen, konnten deren kräftige Hände bewegen, und sie vermochten auch den Zorn der Großen zu besänftigen, ihren Unverstand zu überführen. Mit dem Schreien allein wurde wohl das Äußerste geleistet, das Äußerste begriffen die Großen aber selten recht. Wahrscheinlich, weil sie selten schrien.

      Theophrast war kein Mann, der sich allzusehr auf Hilfen verließ, daher war seine Rede kurz. Er sagte: „Blei han! Blot han!“ – wies dabei auf Brei und Brot, griff mit dem Wörtlein han zu. E>as tat er so lang, bis die Hände der Großen vollführten, was er tat. Wuchs ein Mißverständnis zu drohenden Reden oder gar zu peinlichen Gebärden aus, so versuchte ers vorerst mit Beruhigungen. Auch damals, als er daraufgekommen war, daß der Besen in den Eimer gesteckt werden konnte.

      Zog man den Besen wieder heraus, so weinte er helle Tropfen und brachte auf dem Estrich eine lange, nasse Regenstraße zustande.

      Ging einer die Straße, konnte er wie die Großen bei Regenwetter herumstampfen, und wo die Füße gestampft hatten, blieben dieselben dunklen Flecke.

      Derlei Entdeckungen wollten unter allen ihren Umständen erprobt sein. Es gelang eine richtige, nasse Regenstraße auch auf der Ofenbank. Dort freilich konnte niemand gehen, aber Theophrast erinnerte sich seiner Kriechzeit, er tatschte über die Regenstraße hin und brachte mit seinen Händen gleichschöne, dunkle Regenflecke auf Bank und Wand hervor, wie es die Großen nur mit ihren Füßen und nur auf dem Boden vermochten. Der nächste Schritt war leicht. Theophrast fragte sich: wozu erst die nasse Straße, wozu die weinenden Ruten? Er schleppte den Besen weit fort, um von ihm nicht mehr aufgehalten zu werden, tauchte die Arme bis über die Ellbogen ins Wasser und konnte jetzt überall Regennässe anklatschen, wenn nur die Arme immer fleißig ins Wasser fuhren. Doch einen Übelstand hatte diese Methode. Sie blieb auf die Hände beschränkt, und die Füße gingen leer aus. Theophrast stand eine Weile unschlüssig vor dem Eimer, er dachte scharf nach. Es fiel ihm ein, daß er unlängst beinahe auf die Betttruhe gekommen wäre. Er hatte das eine Bein gehoben und sich bäuchlings über die Truhe gelegt, da war das andere Bein leicht geworden, nur ein letzter Schwung noch hatte gefehlt. Der Eimer war nicht höher als die Betttruhe. Wenn er ins Wasser greifen konnte, so konnte er vielleicht ebensogut ins Wasser steigen. Er machte es genau wie unlängst, legte sich über den Eimerrand, tastete mit dem Knie hinauf und versuchte den leichten Schwung, der damals gefehlt hatte. Da geschah etwas durchaus Unerwartetes: der schwere Eimer fiel um und ergoß sich über Theophrast. Der saß kühl und deshalb merklich beunruhigt in der Nässe und mußte überlegen, ob er nicht lieber schreien solle, daß die Mutter käme. Aber der Eimer gähnte ihn mit seinem großen Maul so wunderlich an wie das Ungeheuer über der Sihlschlucht, nur nicht so fürchterlich. Theophrast beschloß, lieber nicht zu schreien, obwohl es ihm schon hoch in der Kehle gesteckt war, und in das Eimermaul hineinzukriechen, um nachzusehen.

      Es war ganz finster und roch auch nach Keller. Im Keller, das wußte Theophrast, wuchs die Stimme so gewaltig, daß man für einen Großen angehört werden konnte, wenn man sang. Und das war gut, denn in der Dunkelheit tut ein männlicher Gesang wohl. Deshalb sang Theophrast, wenn er der Mutter in den Keller nachkletterte. Er versuchte seine Stimme auch im Eimer, und sie umbrauste ihn gewaltig. So lag er fröhlich in der Pfütze, schrie aus Leibeskräften und strampelte den Takt mit den Füßen, daß es spritzte.

      Das Lied lockte die Mutter, und es kam zu einem jener Mißverständnisse. Die Mutter redete überlaut, vermochte die außerordentlich einfache Sachlage offenbar nicht zu überblicken und ließ sich zu drohenden Gebärden hinreißen. Theophrast hörte mit gerunzelter Stirn so lang zu, bis sie nach Atem rang, dann sagte er:

      „Esunla, Fried ge’m.“

      Er schlug auf den Eimer und erklärte:

      „Bums, umfalln, nassi naß.“

      Damit war die Angelegenheit eigentlich erschöpft, die Mutter hätte beruhigt und überzeugt sein können, daß den Wankelmut des Eimers allein alle Schuld an dem Unheil traf, wenn überhaupt ein Unheil geschehen war.

      Aber die Mutter führte ihn so hastig hinauf, daß seine zappelnden Beinchen kaum folgen konnten und er vermuten mußte, es sei etwas Bedeutungsvolles im Werke. Sie schälte ihn aus dem nassen Zeug, immerfort scheltend, und als er endlich vom Kopf bis zum Fuß trocken gekleidet war, bekam er etliche auf jenen wichtigen Angelpunkt seines Daseins.

      Er weinte mehr über die Verständnislosigkeit der Großen als über die Strafe. Es überwog das Gefühl, ihm sei ein Unrecht widerfahren, aber ganz leise dämmerte auch in seinem jungen Herzen das Bewußtsein irgendeiner Schuld: die Mutter ist bös gewesen, und die Mutter ist immer gut, auch wenn sie bös ist.

      Er folgte der Mutter, beobachtete, wie sie die Pfütze geduldig auftrocknete und den Eimer entleerte. Als der Eimer wieder an seiner Stelle stand, hob die Mutter noch einmal drohend den Finger gegen ihn. Er sah, daß sie nicht mehr zürne, und lief zu ihr. „Mammeli, dut … Eia, eia, Esunla.“

      Er streichelte ihr zärtlich die erhitzte Wange, und die Mutter lächelte wieder.

      Dem Theophrast wurde darüber eigentümlich frei zumut. Das erstemal begriff er, ganz schüchtern freilich und wurzelhaft, daß zu den Großen noch ein anderer Weg führte als beruhigende Worte und sachliche Aufklärungen.

      Er gab der Mutter ein wenig Zärtlichkeit und Liebe wieder, und dabei ahnte er, wie sehr er selbst all seinen Frieden aus der Liebe und Zärtlichkeit der Mutter sog. Es blieb nur leisestes Ahnen, er wußte kaum mehr davon als die sanfte Berührung der mütterlichen Wange, den weicheren Klang seiner Stimme und das Lächeln der Mutter, aber er hatte dabei unversehens doch einen tüchtigen Schritt ins Menschentum hinein getan. Denn keiner wird der Liebe des andern froh, der Liebe, darauf eines jeden letzter und innerster Verlaß ruht, er gebe sie denn selber.

      Theophrast wich diesen Tag nicht mehr von der Seite der Mutter. Er begleitete still ihre Tätigkeit, ohne sie zu hemmen, und die Mutter meinte, daß zuweilen ein paar kräftige mit der flachen Hand segensreich sein können. Sie freute sich ihrer Erziehungskünste.

      Am Abend willigte er ohne Geschrei ins Schlafengehen ein. Andere Tage mußte er gewaltsam