Barfleur war einer der Haupthäfen für Überfahrten hinüber nach England und die beiden waren schon öfters hier gewesen. Zielstrebig suchten sie einen guten, sauberen Gasthof auf und übergaben ihre Pferde dem Stallknecht. Den Gedanken an eine schnelle Überfahrt konnten sie vorerst vergessen, denn bei diesem Unwetter würde kein Kapitän den sicheren Hafen verlassen. Also nahmen die Männer sich erst einmal ein Zimmer und lauschten dann, zufrieden bei einem Glas Wein in der trockenen, warmen Gaststube sitzend, dem draußen tobenden Sturm, der jetzt mit Orkanstärke über die Stadt fegte.
Duncan streckte dankbar die Hände gegen den Kamin. „Das haben wir ja gerade noch geschafft! Hör dir nur das Unwetter an.“
Die Fensterläden klapperten lautstark und inzwischen goss es in Strömen.
„Ja, wirklich kein Wetter für einen Ritt. Aber um diese Jahreszeit muss man eben mit so etwas rechnen. Ich hoffe nur, es hält nicht so lange an.“
Am nächsten Morgen hatte sich zwar das Gewitter verzogen, aber es blies noch ein steifer Wind von Norden her und es war fraglich, ob die Segler England ansteuern konnten. Die Ritter ließen daher ihre Sachen zunächst im Gasthaus und begaben sich zum Hafen, wo sie nach einem Schiff suchten, das möglichst bald nach England auslaufen wollte. Draußen in der geschützten Bucht war das Meer schon wieder ruhig und es pendelten Ruderboote zwischen einigen ankernden Schiffen, die zu groß für den Hafen waren oder keinen Platz mehr gefunden hatten. Darunter war auch die „Seasnake“ des Königs, die hier auf ihren nächsten Einsatz wartete.
Am Pier herrschte reges Treiben. Zwischen Schaulustigen, Arbeit suchenden Seeleuten und neugierigen Kindern wurden am Steg liegende Segler von muskelbepackten Männern be- und entladen, während gleichzeitig Händler und Kapitäne lautstark miteinander feilschten. Dazwischen ankerten kleinere Fischerboote, die den frischen Fang dieses Morgens anpriesen. Da sie erst nach Abzug des Unwetters hatten ausfahren können und dann wegen des starken Windes in Hafennähe bleiben mussten, war ihr Angebot diesmal geringer als üblich und die Käufer schacherten hartnäckig und geräuschvoll um jeden einzelnen Fisch.
Robert und Duncan mussten mehrere Seeleute fragen, bevor sie endlich an einen Kapitän verwiesen wurden, der mit seinem fertig beladenen Handelssegler abfahrtsbereit war. Sie fanden ihn in einer Hafenschenke, wo er mit einem Händler letzte Vereinbarungen getroffen hatte und sich gerade von dem Mann verabschiedete.
„Seid Ihr Kapitän Brannock?“
Der drahtige Mann wandte sich ihnen zu, betrachtete eingehend das Wappen auf ihren Waffenröcken und begrüßte die beiden dann höflich.
„Ja, bin ich. James Brannock, Kapitän der St. Patrick. Guten Morgen, meine Herren. Ihr seid Kuriere des Königs?“
„Stimmt. Wir hörten, dass Ihr nach England wollt, und würden Euch gerne begleiten, mit unseren Pferden.“
„Da habt Ihr richtig gehört, ich bringe Waren nach Portsmouth. Ich habe schon fünf Passagiere, aber es ist noch genug Platz für Euch vorhanden. Auch für die Pferde, falls Ihr es schafft, sie über die Planke an Bord zu bringen. Den anderen Reisenden war der Transport der Pferde zu mühsam, sie haben ihre Tiere hier verkauft. Um Futter und Wasser für die Pferde müsst Ihr Euch allerdings selbst kümmern. Und über den Preis können wir uns sicher einigen.“ Der Kapitän nannte eine Summe und sie feilschten eine Weile, bis alle zufrieden waren.
„Allerdings können wir jetzt noch nicht auslaufen, wir müssen erst auf günstigen Wind warten.“
„Wie lange wird sich der Nordwind halten, nach Eurer Erfahrung?“, fragte Robert. Er wollte möglichst schnell nach England und der Aufenthalt gefiel ihm nicht.
„Im Frühjahr meist nicht lange, aber Genaueres kann ich auch nicht sagen, wir werden abwarten müssen. Wenn Ihr mir sagt, wo Ihr zu finden seid, schicke ich einen meiner Matrosen zu Euch, sobald wir Anker lichten können.“
„Wir sind im Gasthaus Le Cheval Noir abgestiegen. Hoffentlich dauert es nicht zu lange. Sind die anderen Passagiere Händler, die ihre Waren begleiten?“, wollte er dann wissen.
„Nein. Sie sehen mir eher aus wie Söldner, bestenfalls. Landstreicher passt vielleicht besser, aber ich will niemanden beleidigen. Jedenfalls sind sie bis an die Zähne bewaffnet.“
„Söldner!“ Robert und Duncan sahen sich erstaunt an. „Was wollen die in England? Zurzeit gibt es dort doch keine Gefechte, für die man solche bezahlte Kämpfer anheuern könnte. Na, vielleicht machen sie nur Heimaturlaub.“
„Kaum, es sind Franzosen und Italiener“, gab Kapitän Brannock zurück. Seine Stimme klang jetzt ein wenig besorgt. „Meine Kollegen und ich dachten schon, der König plant womöglich einen Krieg mit Schottland oder Wales und wirbt deshalb Soldaten an. Einige von uns, so wie ich, sind Engländer und wir haben Angst um unsere Familien. Nichts für ungut, wir wollen natürlich nicht die Entscheidungen des Königs anzweifeln.“
„Der König hat nichts dergleichen vor, das ist sicher“, beteuerte Duncan. „Und schließlich sind es doch nur fünf Mann, das reicht wohl kaum für einen Krieg.“
Brannock war sichtlich erleichtert, schüttelte dann aber den Kopf. „Es sind nicht nur diese Fünf, die uns Kopfzerbrechen bereiten. Wie ich von anderen Kapitänen hörte, sind in den letzten Wochen schon öfters gut bewaffnete Männer hinübergefahren. Alles in allem wohl an die fünfzig.“
Die Ritter sahen sich betroffen an. Das war allerdings eine ordentliche Anzahl. Und gewiss nicht in Henrys Auftrag, denn davon wären sie unterrichtet. Wer also stellte dann eine Streitmacht auf? Und warum? Da es nicht in des Königs Namen geschah, konnte es eigentlich nur gegen ihn gerichtet sein.
„Ihr habt recht, irgendetwas geht da vor. Danke für den Hinweis, der König sollte das unbedingt erfahren.“
Sie mussten diese Nachricht in London sofort an Henrys Justiziar, Richard de Lucy, weitergeben. Der würde sich dann schon darum kümmern, falls ihm nicht sowieso längst alles bekannt war. De Lucy war immer sehr gut über die Vorgänge im Lande informiert.
Jedenfalls waren die Söldner im Augenblick nicht ihre Angelegenheit und die Ritter verabschiedeten sich schließlich. In ihrer Herberge gaben sie dem Wirt Bescheid, dass sie noch länger bleiben würden, dann streiften sie den Rest des Tages ziellos durch die lebhafte Hafenstadt, beobachteten das bunte Treiben und besuchten das eine oder andere Schankhaus. Als sie nachts wieder ihre Unterkunft aufsuchten, blies der Wind unverändert kräftig von Norden. Auch am nächsten Tag änderte sich vorerst nichts, erst am Abend hatte das Wetter ein Einsehen und der Wind schwächte ab und drehte schließlich.
Für heute kam die Wetterwende allerdings zu spät. Ein schwerfälliges Handelsschiff im Dunkeln durch die ankernden Schiffe aus der Bucht zu manövrieren, war zu gefährlich. Also legten sie sich schlafen, packten aber vorher noch ihre Sachen zusammen, denn sie wollten am Morgen gleich bereit sein. Diesmal ließen sie auch ihre Kettenhemden und Waffenröcke im Gepäck, denn für eine lange Schiffsreise war ihnen ihre Schutzausrüstung zu unbequem und außerdem unnötig. Auf dem Segler war der Kapitän für die Sicherheit seiner Passagiere verantwortlich, also würden sie keine Kettenhemden zu ihrem Schutz brauchen.
In aller Frühe kam dann auch der erwartete Bote des Kapitäns und bat sie, sofort an Bord zu kommen, da sie noch am Vormittag mit der Flut auslaufen würden. Endlich hatte die Warterei ein Ende! Die beiden bezahlten das Zimmer, holten dann ihre Pferde und gaben ihnen noch einmal ausgiebig Wasser. Einen Beutel mit Hafer für unterwegs hatten sie dabei. Schließlich folgten sie dem Matrosen in den Hafen zu einem tief im Wasser liegenden, flachen und geräumigen Segler, auf dessen Deck unzählige große Ballen und Fässer vertäut waren. Die gesamte Ladung war über eine einzige stabile, aber nicht sehr breite Rampe hinübergebracht worden, die von der Hafenmole zum Schiff reichte und auch die Ritter mit ihren Pferden mussten diesen Weg nehmen.
Die anderen Mitreisenden befanden sich schon an Bord. Nachlässig lümmelten sich die unrasierten Männer an der Reling und begutachteten