Die Angelsächsin. Sabine Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine Keller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844231922
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Duncan Belwood war ein Sohn des benachbarten Graf von Oxton. Seit der Ankunft des Kuriers war Henrys Stimmung sichtbar gedämpft gewesen, das war jedem aufgefallen, und wenn er jetzt die beiden englischen Ritter zu sich rief, dann hatte das sehr wahrscheinlich mit den Berichten aus England zu tun. Die Hofmitglieder, die den Ruf des Burschen mitbekommen hatten, brannten vor Neugier. Sie hätten zu gerne gewusst, was vorgefallen war.

      Die beiden jungen Ritter hielten auf den Ruf hin inne und ließen ihre Schwerter sinken. Duncan, der seinen Freund abgelenkt sah, konnte nicht widerstehen. Er nutzte die Gelegenheit und versetzte seinem Partner einen letzten, spielerischen Hieb gegen die scheppernde Rüstung. Lachend nahm er den Helm ab und zuckte auf Roberts entrüsteten Blick hin die Achseln: „Entschuldige, Robert, aber du gibst mir ja sonst keine Gelegenheit, dich auch mal zu treffen!“

      Dann wandte er sich dem Burschen zu und schickte ihn zurück: „Sag König Henry, wir sind in einigen Minuten da.“

      Sie reichten ihre Waffen, Schilde und Helme ihren am Rande des Exerzierplatzes wartenden Schildknappen und traten durch die innere Mauer in den engen Innenhof, der von den durchdringenden Rufen der Dohlen oben auf den Burgzinnen widerhallte. Gefolgt von den beiden Knappen durchquerten sie den grob gepflasterten Platz und strebten ihrer Unterkunft zu, wo die Knappen ihnen behilflich waren, die schwere Schutzkleidung abzulegen. Der König legte zwar keinen besonderen Wert auf Äußerlichkeiten, aber die beiden Ritter wollten doch korrekt gekleidet sein, wenn sie die Räumlichkeiten des Königs aufsuchten, schon um dem unvermeidlichen Gerede der Edelleute vorzubeugen. Klatsch und Intrigen waren nun mal die Lieblingsbeschäftigung der meisten Angehörigen des Hofes und auch Kleidungsfragen wurden gerne und ausgiebig diskutiert.

      Gewaschen und frisch gekleidet in engen Wollhosen, Wams und langem, ärmellosen Überwurf legten sie noch ihre Gürtel um, denn die Schwertgehänge gehörten als Zeichen ihres Standes zur Kleidung. Dann begaben sie sich über die Außentreppe in das Hauptgebäude des Palastes und schritten durch die große Halle zur steinernen Stiege im Hintergrund des Saales. Durch die Gänge und Stufen der großen Burganlage erreichten sie schließlich das Arbeitszimmer des Königs.

      Henrys Arbeitsraum war, im Vergleich zu anderen Zimmern, ein relativ kleiner Raum mit der üblichen, großen Feuerstelle, in der wegen der kühlen Witterung ein munteres Feuer brannte. Mitten im Raum stand ein großer Tisch, hinter dem der König saß. Einige Regale an den Wänden, voller Papiere und Schriftrollen, und eine mächtige, dunkle Truhe stellten die ganze Einrichtung dar. Auf dem nackten Steinboden lag nur vor der Feuerstelle ein großes, schon ziemlich abgenutztes Hirschfell, mit einem kleinen Tisch darauf und einigen einfachen Hockern.

      Als die erwarteten Ritter schließlich gemeldet wurden, erhob der König sich von seinem Schreibtisch und trat ihnen freundlich entgegen. Nur mittelgroß und grobschlächtig gebaut, war der König um einiges unscheinbarer als die beiden eleganten jungen Ritter, die ihren König deutlich überragten. Sein rotes Haar über dem bärtigen, mit unzähligen Sommersprossen übersäten Gesicht war wie immer in Unordnung, da er sich gerne mit den groben Fingern hindurchfuhr, wenn er nachdachte.

      Aber seine Frisur war ihm einerlei. Uninteressiert an Äußerlichkeiten, versuchte der König auch nicht, wie viele andere, sein derbes Aussehen durch extravagante Garderobe zu verbessern, sondern war eher einfach gekleidet. Auch heute trug er einen seiner bevorzugten kurzen, ärmellosen Mäntel über den Wollhosen und Hemd, im Gegensatz zur am Hofe üblichen Mode mit langen Überwürfen. Diese Vorliebe hatte ihm prompt den spöttischen Spitznamen Henry Kurzmantel eingebracht. Natürlich war ihn das zugetragen worden, schließlich hatte er überall seine Spitzel, doch so etwas kümmerte ihn wenig.

      Die Nachtteile seiner grobschlächtigen Erscheinung zu einer Zeit, in der auf Äußerlichkeiten sehr großen Wert gelegt wurde, konnte er durch sein freundliches, verbindliches Wesen und seinen beachtlichen Charme leicht wieder wettmachen, wenn er es für angebracht hielt. Er war außerdem klug und sehr gebildet, und ein guter Diplomat, der wusste, wie er mit Menschen umgehen musste.

      Freundlich begrüßte der König die eintretenden Ritter. Die beiden erwiderten den Gruß ihres Königs ehrerbietig, aber keineswegs unterwürfig, und kamen dann gleich zur Sache. „Majestät, Ihr wolltet uns sprechen?“

      „Ja, ich muss eine wichtige Angelegenheit mit Euch besprechen.“ Er wies auf die Schemel vor dem Kamin und sie nahmen alle Platz.

      „Meine Beamten für Justizfragen haben mich über Grenzstreitigkeiten oben in Mittelengland informiert. Herzog Edward, also Euer Vater, Sir Robert, ist darin verwickelt. Da Euer Vater einer meiner Freunde ist, möchte ich ihm ein wenig Unterstützung zukommen lassen und die Sache nicht nur meinen Beamten überlassen.“

      Der König unterbrach sich und betrachtete seine Ritter eingehend. Robert de Tourneau war schon seit einigen Jahren in seinem Dienst und hatte sich als sehr zuverlässig erwiesen. Der sympathische, dunkelhaarige Mann hatte ein freundliches, zurückhaltendes Wesen. Als kluger Taktiker und strenger, aber humorvoller Anführer war er außerdem ein sehr guter Befehlshaber. Das hatte er bei Kämpfen in der Gascogne bewiesen, wo er erfolgreich eine Kriegsabteilung von Söldnern geführt hatte.

      Sein lebhafter, immer gut gelaunter Freund, der etwas jüngere Duncan Belwood, hatte noch nicht dessen Kampferfahrung. Zwar hatte er, wie auch sein Freund, an der Eroberung von Irland teilgenommen, aber dort hatten keine Kämpfe stattgefunden, da sich die irischen Herrscher glücklicherweise kampflos ergaben. Seitdem war er nur bei einigen kleineren Scharmützeln im Einsatz gewesen, hatte sich dort aber recht gut bewährt. Der König schätzte Duncan als mutigen und ehrlichen Mann, der seine Meinung nicht mit dem Wind änderte, wie so viele andere Hofmitglieder.

      „Worum geht es denn?“ Die neugierige Frage kam natürlich von Sir Duncan, Geduld war nicht gerade eine seiner Stärken.

      Der König lächelte väterlich. „Ihr solltet unbedingt lernen, Euer Temperament zu zügeln. Aber gut, ich will Euch nicht länger auf die Folter spannen. Die Sache ist so: Offenbar hat Sir Brian Ashby, der Graf von Sleaford, versucht, auf den Ländereien der Nachbargrafschaft Grantham Steuern einzutreiben. Da die Bauern die zusätzliche Zahlung verweigerten, wandten die Eintreiber Gewalt an und dabei gab es abgebrannte Höfe und auch einige Verletzte. Herzog Edward hat daraufhin natürlich einen Boten nach Sleaford geschickt um Rechenschaft zu fordern, aber der Bote kam nicht zurück. Schließlich wandte er sich dann an meine Beamten.“

      „Ist es sicher, dass es sich um Eintreiber aus Sleaford gehandelt hat?“, hakte Sir Robert nach.

      „Nach den Aussagen der Bauern trugen die Männer Waffenröcke in den Farben der Ashbys, der Fürsten von Sleaford.“

      „Na schön, Grenzstreitigkeiten gibt es immer wieder, dafür habt Ihr Eure Beamten. Aber was genau sollen wir denn dabei tun?“, erkundigte sich Duncan.

      König Henrys Miene wurde ernst. „Das Problem dabei ist, die Ashbys stammen aus altem angelsächsischen Adel. Seit England damals von uns Normannen unter Wilhelm, dem Eroberer eingenommen wurde, sind die meisten Ländereien enteignet und an verdiente Normannen vergeben worden. Nur wenige angelsächsische Adelige, darunter die Ashbys, haben bis heute zumindest einen Teil ihres Landes behalten können. Das hat die Freundschaft zwischen Angelsachsen und Normannen nicht unbedingt gefördert, wie Ihr ja wisst. Wut und Hass deswegen sind noch immer fast unvermindert vorhanden. Der alte Graf Ashby war ein ruhiger Mann, vernünftig und ohne sinnlose Vorurteile. Aber er starb vor einigen Jahren und ich kenne seinen Erben nicht. Ich möchte verhindern, dass ein junger angelsächsischer Hitzkopf jetzt vielleicht einen Aufstand anzettelt. Ihr stammt beide aus dieser Gegend und kennt Land und Leute. Wisst Ihr etwas über den jungen Grafen?“

      „Ich kenne ihn nicht persönlich, aber nach allem, was ich von meinem Vater hörte, soll er Streitigkeiten eher aus dem Wege gehen“, antwortete Robert. Sein Freund nickte bestätigend, er hatte ähnliche Informationen.

      „Ich hoffe wirklich, ihr habt recht. Aber wie auch immer, Ihr kommt beide von dort und Ihr, Sir Robert, habt schon früher heikle Aufträge für mich erledigt. Daher habe ich Euch und Sir Duncan ausgewählt, in England nach dem Rechten zu sehen. Vielleicht bin ich ja übervorsichtig, wenn ich wegen dieser eigentlich unwichtigen Lappalie sofort Männer hinschicke, aber jetzt kann man mögliche