Kapitel 17
Monique folgte Papst de Ruos über die verlassene Via della Fondamenta in Richtung der Geheimarchive, direkt hinter dem Tor von Sankt Anna auf der anderen Seite des Borgiahofs.
Gerüchten zufolge enthielt dieses Archiv unbezahlbare Schätze wie die verlorenen Tagebücher Leonardo da Vincis. Oder sogar unveröffentlichte Teile der Bibel. Der Papst führte sich durch vier Stahltüren und zwei weiteren verschlossenen Türen. Letztendlich gelangten sie durch einen düsteren Gang zu einer Doppeltüre aus Eiche. Der Papst öffnete eine kleine Metallklappe und drückte eine Tastenkombination in das Tastenfeld dahinter. Das Schloss entriegelte sich und gewährte ihnen Zugang zu den Geheimarchiven. Mark Ryson hatte bisher geschwiegen, doch als sie die Archive betraten konnte er sich ein ehrfürchtiges „Wow.“ Nicht verkneifen. Der Raum war nur schwach beleuchtet. Dutzende von Racquetballfeld-großen Glaskästen waren zu sehen. Es waren Büchertresore. Hermetisch versiegelt und gegen Feuchtigkeit und Wärme isoliert. Sie sollten verhindern, dass das alte Papier und Pergament noch weiter zerfiel. Monique wanderte durch die Reihen von Glaskästen und schaute sich die Titel und Beschriftungen an. Gerade hatte sie einen Buchtresor passiert, der vollgestopft mit Zeugnissen der Kreuzzüge war. Sie waren also nach Themen geordnet. Das sollte die Suche doch etwas leichter machen. Doch Papst de Ruos hatte bereits ein Ziel im Visier. Er steuerte einen der hintersten Buchtresore an. Als sie dort angelangt waren, blieb Monique der Mund offen stehen. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah. Einer der größten Buchtresore, den sie je gesehen hatte. Etwa so groß wie ein halbes Fußballfeld. An der Innenseite stand ein alter Holzschreibtisch mit einer schwachen Leselampe. Papst de Ruos betätigte einen Schalter, der die Luftpumpe in Gang setzte. Normalerweise wurden die Bücher in einer fast luftleeren Umgebung aufbewahrt, um sie vor dem Zerfall zu bewahren. Nur wenn jemand die Tresore betrat wurde ein Mindestmaß von Sauerstoff in die Tresore gepumpt. Monique las die Titel einiger Bücher. Alle Inhalte drehten sich um übernatürliche Phänomene und Sagengestalten. Monique konnte es kaum fassen. Über die Hälfte der Bücher handelte von Vampiren. „Kommen sie mit. Ich muss ihnen ein bestimmtes Buch zeigen.
Monique betrat den Buchtresor. Die Luft war furchtbar dünn. Monique musste sich zuerst an daran gewöhnen. Ehrfürchtig schritt sie durch die Regalreihen und betrachtete Werke die einen Zeitraum von fast fünfhundert Jahren umfassten. Doch was wollte der Papst ihr nur Zeigen? Plötzlich fiel ihr ein dünnes Buch ins Auge. Niemals hätte sie gedacht, dass sie dieses Zeichen im Vatikan finden würde. Es war der kleine schwarze Schmetterling. Es wäre Monique in diesem durcheinander fast nicht aufgefallen. Doch als sie gerade daran vorbei schritt begann es leicht zu glühen. Es schien so, als hätte es sie gerufen. Offenbar hatte es jemand hier versteckt. Sie blickte sich um. Papst de Ruos schien mit etwas anderem Beschäftigt zu sein. Schnell griff sie nach dem kleinen in Leder gebundenen Buch. Hastig steckte sie es in ihre Jackentasche. „Was für ein Buch wollen sie mir denn Zeigen?“ Der Papst drehte sich um und hielt ihr ein etwas zerfleddertes Buch hin. „Sehen sie es sich an. Es kann ihnen vielleicht helfen herauszufinden, womit sie es zu tun haben.“ Monique nahm das Buch entgegen. Vorsichtig legte sie es auf den Holzschreibtisch und blätterte sachte in den Seiten, um es nicht noch mehr zu beschädigen. „Das…das ist doch unmöglich.“ Monique konnte es nicht fassen, was sie da gerade las. „Ist das echt?“ „Ganz sicher. Hier finden sie nur originale.“, bestätigte Papst de Ruos Moniques Befürchtungen. „Aber das würde ja bedeuten…“ „Ja. Es ist das Tagebuch von Dracula persönlich.“ Es war einfach unglaublich. „Wie sind sie da ran gekommen.“ „Es war der Verdienst ihres Ururgroßvaters. Als das Schloss Draculas abbrannte konnte er es vor den Flammen retten. Danach hat er es dem Vatikan übergeben.“ Er hatte dem Vatikan viel mehr übergeben. Doch offensichtlich wusste der Papst nichts davon. Sie beschloss es ihm auch nicht zu sagen. Sie spürte, dass er ihr etwas vorenthielt. Doch im Moment ließ sie es dabei bewenden. Die Dinge, die sie gerade gelesen hatte, machten ihr zurzeit mehr sorgen. „Wenn das stimmt, was ich hier gerade lese, dann haben wir ein riesen Problem.“ Papst de Ruos nickte zustimmend. „Bisher hatte kein Grund bestanden das Tagebuch zu lesen. Doch aufgrund der letzten Ereignisse sahen wir uns gezwungen Nachforschungen zu betreiben. Monique, die Vampire breiten sich wieder rasend schnell aus und das Muster ihres Verhaltens deutet darauf hin, dass es wieder jemanden gibt, der ihnen Befehle erteilt. Eines seiner Geschöpfe muss den Brand des Schlosses überlebt haben. Anders können wir uns das nicht erklären. Und mit dem Buch haben wir einen Hinweis darauf, wer es sein könnte.“ Monique las die Zeilen, die sie gerade gelesen hatte noch einmal.
Heute war eine ganz besondere Nacht. Ich habe endlich gefunden, wonach ich so lange gesucht habe. Eine Frau. Doch sie ist keine gewöhnliche Frau. Sie hat eine unglaubliche innere Kraft, die mich schier überwältigt hat. Ich hätte nie gedacht so eine Person unter dem menschlichen Geschlecht zu finden. Doch sie existiert tatsächlich. Sie ist würdig meine Gefährtin zu sein. Daher habe ich sie verwandelt und von meinem eigenen Blut trinken lassen. Endlich habe ich jemanden gefunden, mit dem ich die Schattenwelt teilen kann. Ich bin nicht mehr allein.
Nun gut. Dieser Eintrag alleine war an und für sich noch nichts Erschreckendes. Doch die nächsten Worte jagten Monique einen kalten Schauer über den Rücken.
Ich bin zutiefst beunruhigt. Ich wusste, dass Mina eine starke Frau ist. Allerdings hatte ich nicht vorausgesehen, dass sie eine solche Kraft entwickeln könnte. Sie entwickelt Kräfte, die weit über meine eigenen hinausgehen. Offenbar hat sie etwas in sich, das ich besser nicht geweckt hätte. Zum Glück habe ich ihr noch keinen freien Willen geschenkt. Noch erliegt sie meinem Bann und ist durch mein Blut zu Gehorsam verpflichtet. Immer wieder fragt sie mich, wann es endlich soweit wäre den letzten Schritt zu gehen, doch ich wage es nicht. Es könnte mich meine letzte Kraft kosten. Zudem fürchte ich, dass ein Vampirjäger namens van Helsing hinter mir her ist. Es könnte gefährlich sein Mina jetzt für ihr volles Potential zu öffnen.
Monique schauderte bei dem Gedanken. Offensichtlich hatte Dracula auf der Suche nach einer Gefährtin eine Macht geweckt, die nicht einmal er zu kontrollieren vermochte. Sie las weiter.
Das unmögliche ist geschehen. Mina hat ohne mein Zutun die nächste Stufe erreicht. Ihre Macht wird immer stärker und ich vermag sie nicht mehr zu kontrollieren. Allerdings scheint sie Gefühle für mich zu haben. Sonst hätte sie mich schon aus dem Weg geräumt. Leider sehe ich mich dazu gezwungen sie an einem sicheren Ort einzusperren, bis ich sicher sein kann, dass mir von ihr keine Gefahr droht. Ich bringe sie zu einem meiner geheimen Verstecke. Dort wird sie sicher sein, biss ich mich dieses van Helsings entledigt habe.
Das würde bedeuten, dass Mina noch am Leben war. Und sie war viel stärker als ihr einstiger Meister. Monique hatte genug gesehen. „Ich rate ihnen äußerst Vorsichtig zu sein. Mit Mina ist nicht zu spaßen.“ Monique nickte. Doch Papst de Ruos schien noch wegen etwas anderem besorgt zu sein. Monique fühlte, dass da noch mehr war. Doch sie würde es bald selbst herausfinden. „Wissen sie, wo sich Mina zurzeit aufhält?“ Der Papst schüttelte verzweifelt den Kopf. „Leider ist uns ihr Aufenthaltsort unbekannt. Allerdings gehen wir davon aus, dass sie sich bald ihnen zu erkennen geben wird. Sie hegt einen tiefen Groll gegen die Person, die ihren Meister getötet hat. Und da diese nicht mehr lebt, wird sie sich an ihren Nachkommen rächen wollen.“ Plötzlich durchfuhr es Monique wie ein Blitz. Die Entführung ihres Onkels. Das musste Minas Werk sein. Wusste sie bereits von ihr und Alexa, oder wusste sie nur von ihrem Onkel? Nein, davon konnte sie nicht ausgehen. Bestimmt hatte sie es inzwischen herausgefunden. Sie musste sich vorsehen. Ihr Onkel war in größter Gefahr. Das war ihr zwar auch schon vorher klar gewesen. Doch nun war sie unruhiger denn je. Sie musste ihren Onkel so schnell wie möglich aus den Fängen dieser Mina befreien. Monique zweifelte inzwischen daran, dass Mina ihr gefährlichster Gegner sein würde. Sie sah auf die Uhr. Ein Schreck fuhr ihr in die Glieder. „Oh man. Es ist schon halb zwölf. Ich hätte mich schon längst auf den Weg machen müssen.“ Monique hatte sich so sehr in das Buch vertieft, dass sie die Zeit fast vergessen hätte. Papst de Ruos stand auf und geleitete Monique aus dem Tresor hinaus. „Ich