Was sollte denn diese Frage? Sven war doch sowieso im Büro.
Seit zwei Jahren war sie nun schon mit ihm zusammen, aber seit einiger Zeit benahm er sich merkwürdig. Leider wusste sie nicht, woher dieses Gefühl rührte, aber irgendwie fühlte es sich nicht mehr richtig an.
„Was ist los?“, wollte Luisa besorgt wissen.
„Ach, ich weiß auch nicht“, zuckte Theresa mit den Schultern. „Das war Sven.“
„Und?“
„Was und?“
„Muss ich dir immer alles aus der Nase ziehen? Sprich mit mir“, erwartungsvoll blickte Luisa sie an.
„Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.“
„Interessant. Und was genau meinst du damit?“
„Hmm …“, überlegte Theresa und zog dabei ihren Pferdeschwanz fester. „Er arbeitet immer öfter länger und will pausenlos wissen, was ich so mache.“
Luisa zog die Lippen kraus. „Es ist doch schön, dass er an deinem Leben teilhaben will, oder denkst du …?“
„Dass er fremdgeht? Keine Ahnung. Ja … nein …“, Theresa wusste selbst nicht so richtig, was sie davon halten sollte. Egal wie sie es auch drehte, das komische Gefühl blieb. Sein unauffälliges Verhalten war schon wieder so auffällig, dass Theresa sich manchmal vorkam, als hätte sie in einer der täglichen ausgestrahlten Soaps eine Hauptrolle ergattert. Intuitiv spürte sie, dass hier irgendetwas im Busch war.
„Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand“, beruhigend legte Luisa ihre Hand auf Theresas. „Manchmal sind die Dinge gar nicht so, wie sie scheinen. Aber wenn es dich beruhigt, fahren wir in seinem Büro vorbei.“
Sven arbeitete als Angestellter einer Architekturfirma und hatte sein Büro nicht unweit von Luisas Wohnung. Es wäre also im Handumdrehen ausgekundschaftet, ob er wirklich noch im Büro zu tun hatte.
„Nein“, Theresa entzog ihre Hand und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. „Wenn ich ihm nachspioniere, kann ich die Beziehung auch gleich beenden.“
Leicht stupste Luisa Theresas Arme vom Tisch. „Vertrauen ist nur dann gut, wenn du die Kontrolle darüber behältst.“ Sie ließ aber auch wirklich keine Gelegenheit aus, um eines ihrer Sprichwörter an den Mann, zu bringen. Ob umgeschrieben oder im Original spielte dabei keine Rolle.
Theresa schüttelte den Kopf. „Nicht heute. Lass uns lieber trinken.“
Luisa erhob ihr Glas. „Also schön, dann trinken wir auf deine Inkontinenz und deine unkontrollierte Beziehung.“
„Du weißt, dass du mich manchmal aufregst, oder?“
„Ja, aber genau das macht doch unsere Freundschaft aus, oder nicht?“
„Hast du ein Glück, das ich so gutmütig bin“, prostete Theresa ihrer Freundin lachend zu.
„Apropos Glück, hast Du eigentlich deinen Text schon?“, fragte Luisa.
„Ja warum?“
„Ach nur so. Hätte mich einfach interessiert.“ Unschuldig zwinkernd legte sie ihren Kopf schief. Sie liebte es, wenn ihre Freundin ihre Rollen zum Besten gab.
Wie zu erwarten, stieg Theresa natürlich darauf ein und tat Luisa den Gefallen. Warum auch nicht. Ein bisschen Übung konnte nicht schaden.
Sie nahm sich eine Serviette zur Hand und faltete sie einmal zur Hälfte. Dann stand sie auf und stellte sich in Pose.
„Für frische Wäsche den ganzen Tag lang“, begann Theresa ihren Text und hielt Luisa die Serviette vors Gesicht. „Ob morgens im Büro, abends beim Sport oder nachts beim Tanzen - mit Slipfresh Ultra fühle ich mich 24 Stunden frei und sauber.“
Theresa ging in ihrer Rolle mehr als auf. Sie zelebrierte das Freiheitsgefühl, welches man nur mit dieser Einlage haben konnte, mit solchem Enthusiasmus, dass sie nicht merkte, wie ihre Stimme immer lauter wurde und andere Gäste interessiert die Darbietung beobachteten.
„Ohne Slipfresh geh ich nicht mehr außer Haus.“ Dann wurde ihr Gesicht ernst. „Inkontinenz kann jeden treffen, aber mit Slipfresh Ultra, können sie wieder den Schritt ins Leben wagen. Und für unterwegs - packen sie ihre Windeln, (das hatte Theresa kurzfristig selbst umgetextet) diskret in die Ultrabox.“
Luisa schmiss sich weg vor Lachen, und der Applaus der anderen Gäste, erinnerte Theresa daran, wie sehr sie diesen Job liebte. Schade nur, dass sie diesem so selten nachgehen konnte.
„Siehst du, in mir schlummert so viel mehr als nur eine gewöhnliche Frau mit Inkontinenz.“
„Ich glaub auch“, gluckste Luisa. „Wollen wir uns noch eine bestellen?“, fragte sie mit dem Blick auf die leere Flasche.
„Nein, lass mal“, wehrte Theresa den Vorschlag ab und erklärte mit einem Hicksen: „Ich warte daheim auf Sven, vielleicht ergibt sich ja noch etwas …?“
Kapitel 6
Dieser Tag hatte zwar, wie schon einige andere davor auch, nicht sehr viel versprechend angefangen, doch Luisa und die Flasche Prosecco hatten es geschafft, Theresa wieder aufzuheitern. Was würde ich nur ohne Luisa tun, überlegte Theresa auf dem Heimweg. Sie war es, die sie anspornte und ermunterte, mit der Schauspielerei weiterzumachen. Sie ist es auch, die sie immer wieder aus knietiefen Motivationslöchern ausgrub und nach einem harten Arbeitstag im Restaurant wieder auf die Beine brachte, wenn auch auf ihre ganz eigene Art.
Übermütig versuchte sie den Schlüssel in das Schloss der Haustür zu stecken, was angesichts der Proseccomenge nicht so leicht war, aber von einem Schloss wollte sich Theresa nicht unterkriegen lassen.
„So ein Mist“, fluchte sie vor sich hin. Ausgerechnet jetzt musste dieses verdammte Flurlicht ausgehen. Im Dunkeln tastete sie sich die Wand entlang zum Lichtschalter. Warum mussten diese Flurbeleuchtungen eigentlich immer mit so einem kurzen Intervall geschaltet werden? Bedachten die Hausbesitzer eigentlich nicht, dass es Menschen gab, denen ihre motorischen Fähigkeiten hin und wieder auch mal abhandenkamen?
Erneut nahm sie die Herausforderung mit dem Schloss auf, als die Tür mit Schwung aufgerissen wurde. Erschrocken fuhr Theresa zusammen und sah sich Sven gegenüberstehen. Im Pyjama funkelte er sie an.
„Ups“, unschuldig blinzelte sie ihn an.
„Sag mal spinnst du? Warum kratzt du so an der Haustür rum?“, knurrte er.
„Rum kratzen? Ich habe die Tür aufgesperrt“, korrigierte sie ihn. „Zumindest war ich gerade dabei.“
Wankend schob sie ihn zur Seite und betrat die Wohnung. „Was machst du eigentlich schon hier?“, wollte Theresa schnippisch wissen, während sie ihre Jacke an die Garderobe hängte und sich die Schuhe nachlässig von den Füßen streifte. „Ich dachte du musst länger arbeiten?“
„Hast du schon mal auf die Uhr geschaut?“ Entrüstet hielt er ihr seine Armbanduhr vors Gesicht, was bei ihr jedoch lediglich ein Schielen hervorrief.
„Nein, wie spät ist es denn?“ Krampfhaft bemühte sie sich, nur den Sven in der Mitte ihres Blickfeldes, anzusehen. Der Prosecco mit Luisa hatte gut getan, aber die Kopfschmerzen morgen waren abzusehen.
„Halb zwölf. Verdammt Theresa, ich muss morgen wieder arbeiten.“ Gereizt stapfte er zurück ins Schlafzimmer.
Die Zeit war schnell vergangen. Dass es schon so spät war, wurde ihr erst jetzt bewusst. Aber andererseits