Das Paradies ist zu Ende. Louis Lautr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louis Lautr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742724182
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war, weiß ich nicht. Meine Mutter, Jahrgang 1910, war vor ihrer Heirat, ebenfalls ein Jahr in England, was für die damalige Zeit und für ein Mädchen, ungewöhnlich war. Sie hat mir nie erzählt, ob sie damals ein Früchtchen war.

      Viele Männer, die aus dem Krieg zurückkamen wirkten älter, sie hatten für Führer, Volk und Vaterland gekämpft und den Weltkrieg verloren. Viele Soldaten waren Jahre in Gefangenschaft. Als sie zurückkehrten, freuten sie sich auf das junge Mädchen, das sie im Krieg geheiratet hatten. Sie erinnerten sich an ihre jungen Frauen und trafen zu Hause emanzipierte Frauen, die arbeiten, Geld verdienen, ihre Kinder und ihren Haushalt versorgen. Viele Männer hatten ihr Selbstbewusstsein eingebüßt und waren krankhaft eifersüchtig. Ich bekam als Kind etliche Geschichten aus unserem Dorftratsch mit. Eine Frau hatte ihren Mann für Tot erklären lassen und wieder geheiratet. Als ihr Mann aus der Gefangenschaft kam, wurde es zu einem Drama in mehreren Akten. Im Kindergarten erzählte Klara Altmeier, als fünfjähriges Mädchen: „Heute Nacht hat bei meiner Mutter im Bett ein Neger (damals, noch kein Schimpfwort) geschlafen, das Bett war morgens nicht schwarz.“ Als ihr Vater mit einem Bein und zwei Krücken aus der Gefangenschaft kam, erzählten es ihm seine sogenannte Freunde. Beim Kirchgang an Sonntagen träumte ich meine Geschichten. Zunächst weckte uns, meine Mutter durch lautes Singen. Sie sang in der Kirche und im Kirchenchor ebenfalls laut. Ich konnte in der Kirche meinen Kopf auf Mutters Schoß legen und träumen. Da mein Vater mir fehlte, versuchte ich, meine Mutter mit netten Männern zu verkuppeln. Ich hätte mich gefreut, wenn meine Mutter geheiratet hätte. Meine Schwester sagte: „Louis, Stiefväter sind schwierig und würden dich streng erziehen, du würdest deine Freiheit verlieren.“ Als ich einen Vikar fragte, der bei uns seinen Talar anzog, ob er meine Mutter heiraten würde, fragte er mich: „Würde dir das gefallen?“ Ich sagte: „Ich hätte, wie andere Kinder, gerne wieder einen Papa.“ Meine Mutter wurde verlegen und verbot mir, jemals einem Mann derartige Fragen zu stellen. Meine große Schwester und meinen großen Bruder liebte ich gleichermaßen. Ich freute mich, weil meine große Schwester sagte: „Louis, du bist zwei Tage vor meinem fünften Geburtstag zur Welt gekommen und warst mein größtes und schönstes Geburtstagsgeschenk.“ In der Kinderkirche war ich stolz auf meine Mutter, die uns biblische Geschichten erzählte. Meine Mutter war, wie ich fand, eine sehr gute Erzählerin.

      An das Kriegsende habe ich wenige Erinnerungen. Ich erinnere mich noch an die NS-Propagandaplakate, die an einigen Stellen nach dem Krieg noch zu sehen waren und auf denen ein schwarzer Mann mit Hut prangte, sie trugen die Worte: „Pst, Feind hört mit.“ Als ich in der Nachkriegszeit meinen Großvater fragte, sagte er: Louis, in Hitlers Krieg wurden die Plakate 1943 als Nazipropaganda gedruckt. Heute sagen die Leute, es wäre der Kohlenklau. Ich erinnere mich an Ängste verunsicherter Erwachsenen, als es hieß Larenbuch könne verteidigt werden, weil es im eingeschnittenen Tal liegen würde. Bürgermeister und Pfarrer verhandelten mit dem Militär und baten, man möge doch den kleinen Ort nicht verteidigen. Ein General, der das Ritterkreuz hatte, wolle unbedingt noch das Ritterkreuz mit Eichenlaub und wollte das günstig gelegene Larenbuch gegen vorrückende Franzosen verteidigen. Glücklicherweise hatte er wenige Panzer. Meine Mutter hatte uns mit Kleidung und Schuhen ins Bett gelegt. In dieser Nacht schlief unsere Familie in einem Zimmer und hatte Koffer und Pakete mit wichtigen Unterlagen, um sie notfalls aus dem brennenden Haus zu retten. Morgens war das deutsche Militär abgezogen, die meisten Menschen waren erleichtert, sie hingen weiße Fahnen, oder weiße Betttücher aus den Fenstern. Wenige Nazis glaubten noch an Hitlers Wunderwaffe und den Endsieg. Französische Soldaten fuhren mit Panzern und Lastwagen von Schailberg aus in unser Dorf. Einige Frauen erzählten von Wehrwölfen, die es geben würde und hatten Angst davor. Die Angst mancher Frauen begleitete mich oft in meinen Träumen. Ich hatte Angst vor Wölfen, die nicht wie Tiere aussahen und vor denen sich Frauen fürchteten. Das französische Militär richtete sich in der Schule ein und exerzierte im Schulhof. Unsere Wohnung war nicht weit entfernt, deshalb war ich oft am Rande des Schulhofes und schaute zu. In unserem Dorf waren die Menschen froh, dass der schreckliche Krieg in Larenbuch, zu Ende war. Als ich vier Jahre alt war, wurde die bedingungslose Kapitulation unterschrieben. Endlich war der unselige und schreckliche Krieg zu Ende. Menschen kauften mit Lebensmittelmarken ein und standen in langen Schlangen in Läden. Da ich klein war, konnte ich manchmal Warteschlangen umgehen und mich vorsichtig dazwischen drängen. Warteschlangen sind für mich zeitlebens ein Trauma. Die Luft war, wie man sagte, zum Schneiden. Es gab kaum Seife und Menschen wuschen sich selten, ihre Kleidung wurde selten gelüftet und gewaschen. Männer rochen nach schlechtem Tabakrauch. Es gab damals weder Camelia, noch Tampons, oder Pampers, keine Deos oder Parfüm. Menschenschlangen waren erfüllt von Gerüchen unter denen ich als Kind gelitten habe. Meine Schwester sagte: „Louis atme halt durch den Mund.“ Wenn wir mit Marken an die Reihe kamen, gab es die Produkte auf den Marken oft nicht mehr. Viele Ladenbesitzer begannen, Lebensmittel zu horten und auf bessere Zeiten zu hoffen. Ich hörte als Kind, vom verbotenen „Schwarzmarkt“. Ein Ehepaar, das keine Kinder hatte, war mit meiner Mutter befreundet. Frau und Herr Weidel hatten keine Kinder, sie liebten meine Geschwister und mich. Frau Weidel sagte: „Louis, du hast mein Herz gestohlen.“ Wir Kinder mochten Bruno und Friedel. Als Naturfreunde wanderten sie oft mit uns. Als Kind hörte ich in einem Gespräch, besagter Bruno wäre impotent. Ich kannte die Bedeutung des Wortes nicht, hörte jedoch einem Gespräch zweier Lastwagenfahrer zu, einem gefiel Friedel, er fragte seinen Kollegen: „Isch die ledig?“ der antwortete: „Mehr wie ledig, sie isch a Früchtle.“ Ich war überrascht, denn sie war verheiratet. Bruno hatte häufig mit den schwarzen Märkten zu tun, seine Frau war deshalb oft ängstlich. Für meine Mutter waren Schwarzmärkte tabu, da Menschen, die erwischt wurden, von der Besatzungsmacht eingesperrt wurden. Deutschland wurde in Besatzungszonen aufgeteilt, für die man jeweils Passierscheine brauchte. Ich erinnere mich, als meine Mutter mit meiner Schwester in Baden hamstern wollte und nur einen abgelaufenen Passierschein hatte, verschmutzte Michael und Dörte ihn und änderten das Datum. Deshalb konnten meine Mutter mit meiner Schwester und dem gefälschten Passierschein im Badischen zum Hamstern.

      An Sonntagen gingen wir nach der Kinderkirche zum Gerner-Bauer, es war keine reiche Bauernfamilie. Die Eltern und ihre vier Töchter waren herzlich und liebenswürdig. Herr Gerner hatte eine Kriegsverletzung, ihm fehlte ein Teil der unteren Gesichtshälfte, deshalb erschrak man über sein Aussehen. Weil er ein gütiger und lieber Bauer war, vergaß man rasch sein Aussehen. Die jüngste Tochter gefiel mir, sie war so alt wie ich und sagte zu mir: „Louis, i han di au gern.“ Der Gerner-Hof lag an der Grenze zu Baden und Württemberg. Die nette Bauernfamilie hieß anders, war aber in der Region unter dem Namen Gerner bekannt. Sie lud unsere Familie jeden Sonntag, nach der Kirche zum Mittagessen ein. Wenn unsere Familie sonntags kam, waren wir zehn Personen zum Essen. Es roch bei Gerners nach Landwirtschaft. Die vier Mädchen waren hübsch. Bei Bauern war der Misthaufen meist vor dem Haus, deshalb konnten sich Fliegen ungehindert vermehren. Die Toiletten hatten keine Wasserspülung und die Menschen schwitzten und rochen oft stark. Es gab den Spruch: „Warum hen mir keine Fliege im Zimmer? Ha es isch klar, wenn mei Frau kocht, sin d’ Fliege alle in der Küche.“ Beim Essen waren alle Fliegen wieder im Esszimmer. Unsere Abwehrkräfte hatten genügend zu tun, deshalb litten Menschen kaum unter Allergien. Nach dem Essen gingen wir von Gerners aus zur pietistischen Stunde, die jeden Sonntag bei einem andern Bauern war, nach meiner Erinnerung gab es einen Holzbauern, der nichts mit Holz zu tun hatte, sondern so hieß. Bei ihm gab es nach der pietistischen Stunde, die meist länger als eine Stunde dauerte, eine gute Vesper. Einer der Holzbrüder war mit einer hübschen jungen Frau verheiratet. Ich erinnere mich an die Trachtenanzüge der beiden Männer und an die schöne Schwarzwälder Tracht der hübschen Frau. Es wurde gemunkelt, die Frau ginge mit beiden Männern ins Bett. Ich überlegte, ob alle drei im Bett schlafen könnten, oder ob die Frau abwechseln würde. Als sie schwanger war, überlegte ich später, ob sie wohl wüsste von welchem Holzbauer ihr Kind wäre. Einer der wohlhabenden Bauern, der zu den größeren Bauern der Region gehörte, war der Deich-Bauer. Er und seine Frau waren groß und schlank, an Sonntagen hatten sie ebenfalls Schwarzwaldtracht an. Das Ehepaar hatte keine Kinder und freute sich sonntags über die vielen Kinder, die zu Besuch warfen. Es wurde erzählt, seine Frau bekäme keine Kinder. Ich freute mich auf seine Vesper, weil es einen paradiesischen Honig gab. Der Deich-Bauer hatte Bienen. Ich konnte mit Lindtraud seine Bienenstöcke, sogenannte Blätterstöcke, ansehen. Man konnte sie von hinten öffnen und Bienen zusehen, ohne sie zu stören, deshalb