Das Hospital. Benno von Bormann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benno von Bormann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738094824
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wie oft sie eintrafen. In diesem Moment plumpste Bekker neben ihr auf die Bank. Die Kinder nahmen praktischerweise gleich auf dem Boden Platz. Sie waren vollkommen verschwitzt und restlos außer Atem. Auch ihr Mann keuchte gehörig. „Na, Rundflug beendet? Oder nur Tankstop?“

      „Mami, Mami! Wir sind Düsenjäger, und der Papi ist ein Jumbo, und wir müssen ihn bewachen, weil der Präsident drin sitzt.“ Jenny war ganz aufgeregt und durchdrungen von der Wichtigkeit ihrer Mission.

      „Bin ein kleiner Düsenjäger“, lispelte Zenia, um klarzumachen, dass auch sie eine besondere Aufgabe hatte. Und dann legte sich der kleine Düsenjäger, dort am Boden, auf die Seite und schlief im selben Moment ein. Birte hob ihre Tochter hoch, ohne dass die sich rührte, und legte sie quer auf ihren Schoß. Bekker rückte neben sie, so dass der Kopf des schlafenden Kindes auf seinem Oberschenkel lag.

      „Mein Gott, Du brauchst ’ne Dusche, Bekker“, flüsterte Birte und rümpfte die Nase. Er war tatsächlich schweißüberströmt.

      „Sorry“, sagte er gut gelaunt. In diesem Moment klingelte sein Handy.

      „Nein, Bekker! Ich dachte, Du hättest das verdammte Ding zu Hause gelassen. Wer uns wirklich erreichen muss, hat meine Nummer. Schmeiß es an die Wand, das ist bestimmt die verfluchte Klinik auf der Suche nach ‚Mister Unersetzbar‘. Please, Bekker, geh nicht dran. Wir sind im Urlaub und damit für die schnöde Welt verschollen.“ Ihr Ton war flehentlich. Bekker blickte schuldbewusst. Das Handy klingelte unverdrossen. Er hatte es tatsächlich aus Gedankenlosigkeit in der Tasche seiner Jacke gelassen. Schließlich drückte er den Annahmeknopf.

      „Last call, danach schalte ich’s ab, versprochen“, flüsterte er seiner Frau zu. Birte Bekker nickte resignierend. Sie stand auf, mit dem schlafenden Kind auf dem Arm, das jetzt den Kopf an ihre Schulter kuschelte, und ging in Richtung der Flughafenboutiquen. Sie wollte nicht wissen, wer anrief und um was es ging. Fast hoffte sie, wenn sie nicht zuhörte, würde es sich als unwichtig herausstellen. Vielleicht hatte sich jemand verwählt. Jenny zuckelte hinter ihr her.

      „Ja, hallo, Bekker hier“, er gab sich geschäftsmäßig, um Anrufer mit banalen Anliegen abzuschrecken. Im nächsten Moment saß er kerzengerade. Die Stimme am anderen Ende hatte er nicht erwartet. Tanaka. Der Japaner hielt sich nicht mit Begrüßungsfloskeln auf.

      „Herr Bekker, ich habe Sie heute Morgen angelogen.“ Die Stimme klang gepresst und zitterte. Tanaka zeigte normalerweise keine Gefühle. Bekker wusste sofort, dass etwas Besonderes vorgefallen sein musste. Einen winzigen Moment lang wünschte er, den Anruf nicht entgegengenommen zu haben.

      „Ihrem Freund, Herrn Menzel, geht es keineswegs gut. Tatsächlich geht es ihm ziemlich schlecht. Er hat typische Hirndruckzeichen, die heute Nacht noch schlimmer geworden sind. Sie waren kaum weg, da hat er wieder gekrampft, typische Streckkrämpfe der Arme mit Innenrotation. Als ich ihn untersuchte, waren beide Pupillen mittelweit und lichtstarr.“

      Einige Sekunden lang war Schweigen. Bekker konnte nicht glauben, was er hörte. Er kämpfte gegen ein eigentümliches Gefühl der Lehre und der Kälte. Ihm war, als führe ein anderer das Gespräch und er höre nur zu. Zufällig. Dann traf ihn der Schock. Es war also passiert. Er presste das Mobiltelefon ans Ohr in der Hoffnung, er hätte falsch verstanden. Der Japaner machte ein Geräusch, das Bekker nicht einordnen konnte. Es dauerte eine ganze Weile, bis Tanaka weitersprach.

      „Ich weiß, dass ich ihnen das alles nicht sagen darf, aber ich verstehe meinen Chef nicht mehr.“ Wieder eine Pause. Wieder musste Tanaka sich sammeln.

      „Herr Weiss hat dem Chef alles korrekt übermittelt, alle Befunde über den klinischen Verlauf. Trotzdem hat Professor Brücher den Transport des Patienten in das CT verboten. Statt dessen hat er Maßnahmen angeordnet, die man bei einem Hirnödem anwendet, also Kortison, Diuretika und die üblichen Lagerungsmanöver. Ich habe Weiss mehrfach darauf hingewiesen, dass hier eine Blutung ausgeschlossen werden muss und dass abschwellende Maßnahmen bei einer Blutung einen...“, Tanakas Stimme überschlug sich plötzlich, „...einen Scheißdreck wert sind!“ Für einen Moment verlor er die Contenance. Trotz der Dramatik der Situation wunderte Bekker sich, welchen Wortschatz sich der Japaner angeeignet hatte.

      „Es hat nichts genützt. Weiss hat zwar indirekt zugegeben, dass ein CT gemacht werden müsste, um eine Blutung auszuschliessen beziehungsweise die mögliche Blutungsquelle zu sichern und zu orten, aber es wäre nun mal ein Patient vom Chef, und der hätte die größte Erfahrung von uns allen. Und so weiter. Ich habe ihn gebeten, seine Anordnungen und die des Chefs in der Kurve schriftlich zu vermerken, da ich sonst die Station verlassen würde.“ Wieder eine Pause in der Tanaka sich zu sammeln suchte.

      „Glauben Sie mir, Herr Bekker, ich war vollkommen fertig. Ich habe geschrien und gedroht. Weiss hat mich angestarrt wie einen Meuterer. Erst hat er gar nichts gesagt und nur tief Luft geholt. Ich glaube, er wollte mich schlagen. Der war genauso fertig wie ich. Ich habe ihn nur angesehen, da hat er nachgegeben und hat die Eintragungen gemacht, wie ich es verlangt hatte. Herr Bekker, sie können sich darauf verlassen, ich habe bis zum Ende meines Dienstes alles getan, was man bei Hirndruck konservativ tun kann. Die Krämpfe konnte ich mit einem Antikonvulsivum und etwas Valium unterbinden. Aber das alles ist natürlich Kosmetik.“

      „Herr Tanaka“, versuchte Bekker einzuhaken, aber der andere ließ ihn nicht zu Wort kommen.

      „Als wir telefoniert haben, stand Weiss direkt neben mir. Ich habe später erst erfahren, dass er behauptet hat, ich hätte über eine Besserung der Symptome berichtet. Das ist gelogen. Dem Patienten ging es unverändert schlecht, als ich gegen elf Uhr die Klinik verlassen habe. Kurz nach unserem Telefonat. Bis dahin war Professor Brücher noch nicht einmal erschienen. Aber er hatte bereits um sieben Uhr angerufen, um seine Anordnungen noch einmal zu bekräftigen. Ich war am Telefon. Er hat nur gefragt, ob der Befund unverändert sei. Ich habe das bestätigt und gesagt, der Patient zeige alle Symptome eines erhöhten Hirndrucks. Die Pupillen würden keinerlei Reaktion auf Licht zeigen, und man müsse ihn nach meiner Meinung dringend operieren, und zwar sofort.“

      Tanaka machte eine Pause, als könne er das alles nicht fassen. Bekker schwieg.

      „Professor Brücher hat kaum zugehört. Statt dessen hat er noch einmal ausdrücklich verboten, den Patienten zu transportieren. Das wäre viel zu gefährlich. Man müsste, so lange es geht, konservativ behandeln. Dann hat er noch erklärt, das alles hätte viel mit Erfahrung zu tun und so. Manchmal müsse man eben geduldig sein. Es bestünde kein Anlaß zur Panik. Er hat mit mir gesprochen wie mit einem kleinen Kind. Ich bin Facharzt, Herr Bekker, und in meiner Heimat wird auch am Kopf operiert.“ Tanaka war empört. Erneut machte er eine Pause.

      Bekker hatte den Japaner noch nie so viel und mit solcher Erregung reden hören, und wieder fiel ihm auf, welch tadelloses Deutsch er sprach.

      Birte war mit den Kindern inzwischen wieder herbei geschlendert. Sie stand jetzt unmittelbar vor ihm und sah ihn an. Mit dem Kopf machte sie ein Zeichen zur Anzeigetafel. Ihr Flug war soeben zum Einsteigen aufgerufen worden. Das bedeutete noch gut dreißig Minuten Zeit. Bekker verdrehte die Augen, als ob er einen lästigen Anrufer loswerden müsste und machte ein vages Zeichen, dass er gleich fertig wäre.

      Die drei entfernten sich wieder. Zenia war aufgewacht und wollte laufen. Birte stellte sie auf die Füße. Sie rannte zurück zu ihrem Papa und stand nun neben ihm, krallte ihre kleine Hand in sein Hosenbein und schaute erwartungsvoll zu ihm auf. Bekker legte geistesabwesend die Hand auf ihren Kopf und kraulte ihre blonden Locken. Tanaka redete weiter. Es war offensichtlich, dass er alles loswerden wollte.

      „Ich hätte Sie heute Nacht schon angerufen, aber Weiss war ständig bei mir. Ließ mich nicht aus den Augen. Ich glaube, er hat geahnt, was ich vorhatte. Er ist kein Dummkopf und auch ihm war hundertprozentig klar, dass sein Chef sich verrannt hat. Dass längst ein entlastender Eingriff hätte vorgenommen werden müssen. Der versteht das Ganze auch nicht, aber er hält die Schnauze. Herr Bekker, ich bin Gast hier und habe in der Klinik nichts zu sagen. Ich möchte auch nicht undankbar sein. Professor Brücher hat sich sehr für mein Stipendium eingesetzt. Aber was mit Ihrem Freund passiert, ist entsetzlich. Das ist eine Schweinerei. Ich begreife nicht, was in Professor Brücher vorgeht. Selbst die Schwestern