Als Udo zurück war
und in dem großen Mietshaus, in dem er wohnte, seine Etage betrat, sah er schon von weitem die große Plastiktüte, die dort verwaist vor seiner Wohnungstür stand.
Nanu, was war das denn? Hatte jemand den Müll vor Udo Wohnungstür abgestellt? Mit langen Schritten ging er auf seine Wohnung zu, öffnete die Tüte und staunte: Jemand hatte gebrauchte Männerkleidung vor seine Tür gelegt.
Wem mochte die gehören? Udo zögerte einen Augenblick, dann schloss er auf und nahm den prallgefüllten Beutel mit hinein. „Der ist ja wohl ganz offensichtlich für mich gedacht“, freute sich Udo und packte erst mal aus.
Zwei kaum getragene Jeans kamen zum Vorschein, mehrere Oberhemden, zwei echte Cashemerepullover, Unterhosen und Strümpfe und zum Schluss: ein paar nagelneue, braune Lederschuhe!
In Udo kroch ein warmes Gefühl der Dankbarkeit hoch. Wer mochte ihn so unverhofft beschert haben?
Als Udo die leere Tüte zusammenfalten wollte, fiel ihm ein Zettel in die Hände: „Das sind Kleidungsstücke meines vor kurzem verstorbenen Neffen. Ich hoffe, Sie können die gebrauchen. Mit freundlichen Grüßen: Frau H.“, stand darauf in Sütterlinschrift geschrieben.“ Frau H!
Er kannte die alte Dame aus dem Parterre nur flüchtig, mehr als ein paar oberflächliche Worte über das Wetter hatte er mit ihr nie gewechselt. Umso glücklicher machte es ihn, dass es auf dieser Welt offensichtlich doch jemanden gab, der an ihn gedacht hatte. Udo stopfte sich in der Küche eine Zigarette: „Gleich morgen werde ich mich bei Frau H. bedanken“, beschloss er und dann dachte er darüber nach, ob er ihr einen Strauss Blumen überreichen sollte oder lieber eine Packung mon-cherie. „Mon-cherie ist auf jeden Fall kostengünstiger. Frische Schnittblumen aus der Gärtnerei sind ja fast unbezahlbar“, sagte er nun leise vor sich hin, aber gleichzeitig schämte er sich doch ein wenig, ausgerechnet bei der Person zu knausern, die ihn so großzügig und uneigennützig beschenkt hatte! -
Mit einer Tasse Kaffee setzte sich Udo schließlich ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein, aber er konnte dem spannenden Dokumentarfilm auf RTL nicht folgen. Immer wieder musste er an die nette Frau H. denken.
Vielleicht war er sozial gar nicht so inkompetent, wie er immer von sich gedacht hatte! Wenn er jetzt noch den Hausmeisterjob in Düsseldorf ergattern könnte, würde sein Ansehen doch rapide steigen und er würde mit Leichtigkeit überall solch nette Leute treffen, wie Frau H.es war. Udo träumte den ganzen Tag über und erst nachdem er über zwei Drittel seines Tabaks auf geraucht hatte, ging er endlich hustend zu Bett.-
Als Udo am nächsten Morgen die Tür aufschloss um nach der Post zu schauen, hielt ihn die laute Stimme seiner unmittelbaren Nachbarin davon ab, die Wohnung zu verlassen. „Das hätte ich an Ihrer Stelle nicht gemacht“, hörte er Frau K. sagen. Neugierig lugte Udo durch den Spion und entdeckte neben Frau K. die nette Frau H. „Wenn einer wirklich nicht arbeiten kann, ist das was anderes. Aber der, der hat doch zwei gesunde Hände!“ Udo musste nicht lange rätseln, um zu erfassen, dass es bei der Unterhaltung um ihn ging, denn er hörte nun Frau H:
„Der Mann hat doch nichts. Man kann doch gar nicht mitansehen, wie ärmlich er immer herumlaufen muss. Er wird die Kleidung sicher pfleglich behandeln, arme Leute wissen den Wert einer Sache doch viel mehr zu schätzen, als diejenigen, die alles haben.“
„Warum läuft er denn arm herum, Frau H? Weil er nicht arbeiten geht! Seit der hier wohnt, hab ich ihn morgens noch nie regelmäßig das Haus verlassen seh`n. Mir kann doch keiner erzählen, dass ihm in all den Jahren, die S. hier wohnt, niemand eine Beschäftigung angeboten hat! So einen darf man einfach nicht unterstützen, Frau H! Ihr gutes Herz wird Sie eines Tages noch um Ihr sauer Erspartes bringen!“
Udo ballte die Faust und lief ins Wohnzimmer. Eine ohnmächtige Wut ergriff ihn, als er lautstark anfing in seiner Wohnung zu randalieren. „Verdammtes Miststück!“ schrie er. „D u u v e r d a m m t e s M i s t s t ü c k!!!“
So fest, dass der Schmerz noch Minuten später zu spüren war, schlug er, stellvertretend, anstatt Frau K. den Wohnzimmertisch, immer und immer wieder, dann ließ er sich erschöpft in den Sessel sinken und atmete ein paarmal tief durch. Schließlich aber brach er zusammen, hilflos weinte er an diesem Morgen stundenlang in die Kissen und schlief dann ein...-
In den nächsten Wochen
wirtschaftete Udo mit seinem knappen Geld mehr schlecht als recht vor sich hin. Die Bankschulden drückten schwer auf sein Gemüt und trotz vieler Entbehrungen war es ihm nicht gelungen, Geld zur Tilgung zurückzulegen. Nach wie vor kamen Monat für Monat die teuren Überziehungszinsen hinzu, doch pünktlich zu Beginn des neuen Jahres konnte auch Udo neue Hoffnung schöpfen.
Er hatte einen 1-Euro Job in einer Kita zugewiesen bekommen! Fünf Stunden täglich sollte er ab dem 01. März dem Personal ergänzend zur Seite stehen. Fünf Tage waren es noch bis zum Ersten und er stellte sich im Gedanken seinen zukünftigen Aufgabenbereich vor. Und wie immer funktionierte in seinen Tagträumen alles ganz prima und er erfüllte seine Arbeit zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten...
Allerdings:1-Euro für eine Stunde Arbeit- das war nicht mehr als eine Anerkennung! Aber auf das Wenige war er angewiesen!
Wenn er ein halbes Jahr dort arbeitete, könnte er pro Monat hundert zusätzliche Euro zurücklegen, dachte er und dadurch endlich sein Konto ausgleichen.
Ja – die Aussichten waren nicht schlecht!-
Am Montag, dem 1. März stand Udo pünktlich um 8 Uhr im Büro der Leiterin. „Guten Morgen, da bin ich!“, sagte Udo, als er das Büro betrat.
„Schön“, antworte sie, „ dann kann ich Sie ja gleich den Mitarbeiterinnen vorstellen . Gehen wir in die Küche!“
„Guten Morgen, Frau A, darf ich Ihnen Herrn S. vorstellen? Er wird Sie im nächsten halben Jahr hier unterstützen“, begrüßte die Leiterin die Küchenchefin der Kita an ihrem Wirkungskreis.
Seine unmittelbare Vorgesetzte schien freundlich zu sein, sie lächelte ihn aufmunternd an und reichte ihm eine Schürze und ein Haarnetz rüber. „Das müssen Sie immer tragen – das sind Hygienemaßnahmen.“
„Herr S., ich überlasse sie jetzt ihrem Schicksal und hoffe, dass Sie sich bald gut eingearbeitet haben werden“, sagte die Leiterin jetzt und verließ die Küche.
„Frau G. ist heute nicht da“, sagte Frau A, „deshalb müssen wir heute ranklotzen und uns sputen!“ Im Eiltempo hatte Frau A .ihm nach dem Händewaschen gezeigt, wo Töpfe, Pfannen und Geschirr und andere Küchenutensilien zu finden waren, dann fing für Udo der Ernst des Lebens an....! -
Heute sei Geburtstagsfrühstück, erklärte Frau A. dem verdutzten Udo, als sie um viertel vor neun einen Kuchen aus dem Backofen holte und ihn anwies, zwanzig Brötchen durchzuschneiden und mit Leberwurst, Salami und Käse zu belegen. Kakao musste hergestellt werden, die Brötchenplatte musste mit Gurkenstückchen, Tomatenscheiben und Paprikastreifen verziert werden und dazu musste Udo eine Unmenge an Rohkost schnippeln. Udo tat, was er konnte, doch er wurde nicht, wie vorgesehen, bis halb zehn fertig. Und so kam es, dass eine der Pädagoginnen aus der Geburtstagsgruppe die Küche aufsuchte um ungeduldig nach dem Frühstück zu fragen. Frau A . vertröstete die Erzieherin, während sie bereits den Nachtisch für das Mittagessen anrichtete und versprach das Frühstück in zehn Minuten zu servieren. „Tempo, Tempo, Herr S“, sagte sie und stellte sich direkt neben Udo. Sie sah ihm jetzt einige Minuten beim Schneiden zu und Udo wurde so nervös, dass seine Hand anfing zu zittern.
„Also zittern braucht hier keiner!“, kommentierte Frau A. seine Angst . Udo war in diesem Augenblick so abgelenkt, dass er sich mit dem scharfen Messer in den Finger schnitt. „Autsch!“ Das Blut schoss aus der Wunde und obwohl Udo die Hand sofort aus dem Umfeld der Lebensmittel nahm, geriet Blut auf einen kleinen Teil der Garnierung. Jetzt war es vollkommen aus mit seiner Konzentration!
„Ich habe einen Fehler gemacht,