Der Verachtete. Marieke Hinterding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marieke Hinterding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738044010
Скачать книгу
Frau A. ist deshalb nicht freundlicher zu mir gewesen.“ Ganz im Gegenteil: Seit Frau A. heute Morgen Verstärkung durch Frau G. bekommen hatte, hatte er die beiden oft zusammen stehen und schwatzen sehen .“ Ob die jetzt wieder über mich reden?“, hatte er jedes Mal gedacht, wenn Frau A .zu ihm rüber geschaut hatte und dann zu ihrer Kollegin gegangen war um ihr leise etwas zuzuflüstern. Einige Male hatte er daraufhin Frau G. sich zu ihm umdrehen sehen und Udo hatte sich hilflos ausgegrenzt gefühlt, während er mit wenig Erfolg versucht hatte, seiner Arbeit gerecht zu werden...-

      Noch während Udo die Postbank betrat, um fünfzig Euro abzuholen, beschäftigten ihn die Gedanken an seine Arbeitssituation. Dann kaufte er ein Päckchen billigen Tabak und Zigarettenblättchen und rauchte kurz darauf eine langersehnte Zigarette. Dann lief er rüber zum Netto um Brot und Margarine zu besorgen. Er wollte sparen und darum hatte er beschlossen, sich für die nächsten Tage ausschließlich Margarinebrote zu erlauben...-

      Zuhause angekommen begegnete ihm im Flur das blonde Mädchen aus der Löwengruppe. „Hallo, Herr S.“, sagte sie, „guck mal - die Aufkleber!“ Sie hielt ihm ihre kleine Hand hin doch Udo hatte keine Gelegenheit, die kindlichen Schätze, die sie darin verborgen hielt, zu betrachten, denn nun hörte er aus dem Aufzug ganz laut die Mutter rufen: „Sophie, wie oft hab ich Dir schon gesagt, dass Du keine Fremden ansprechen darfst. Jetzt komm sofort hierher!“ Erschrocken zog das Mädchen seine Hand zurück und lief ohne ein weiteres Wort zu sagen zu ihrer Mutter und während sich der Fahrstuhl hinter den beiden schloss, trafen Udo die Blicke seiner Nachbarin. „Unfreundlich!“, dachte Udo lautstark nach, „die ist einfach unfreundlich!“

      Er öffnete nun den Briefkasten. Ein einziger Brief lag heute drin – und der war ausnahmsweise von keiner Behörde. Es waren seine Eltern, die geschrieben hatten! Udo beeilte sich nun, in seine Wohnung zu kommen, drehte sich wieder eine Zigarette und riss den Brief auf.

      Was mochten sie von ihm wollen? Seit langen Jahren war der Kontakt zu seinen Eltern mehr oder weniger eingeschlafen, man schickte sich Weihnachts- und Geburtstagswünsche und das war`s!

      Udo nahm jetzt einige tiefe Züge von seiner Zigarette, bevor er las:

      Einladung – stand da geschrieben. Aus Anlass der Beförderung seines Bruders Werner zum Oberarzt wolle man am Ostersonntag zu einem gemütlichen Umtrunk einladen. Das Beisammensein im engsten Familienkreis solle im Elternhaus der Familie in Neuss stattfinden. Damit man sich angemessen vorbereiten könne, möge Udo bitte schriftlich oder telefonisch zusagen.-

      Udo war aufgewühlt. Sollte er wirklich an der Familienfeier teilnehmen?

      Man musste kein Hellseher sein, um sich vorstellen zu können, wie es dort ablaufen würde! - überlegte er. Werner würde mal wieder den Star machen und seine Eltern wären sicher voll des Lobes und der Bewunderung für ihn!

      Neid kam in Udo auf, doch trotz des heimlichen Grolls, den er gegen Werner hegte, beschloss er, an der Feier teilzunehmen.-

      Auch in den vorfestlichen Tagen

      gab es für Udo keinen Grund aufzuatmen, er empfand das Arbeitsklima zunehmend als Belastung und er hatte sich in den wenigen Tagen, die er in der Kita arbeitete, angewöhnt, immer abends einige Gläser Wein zu trinken, damit er seinen Kummer wenigstens für kurze Zeit vergessen konnte. Vor den Schlafzimmerspiegel hatte er sich in der Zeit immer gestellt, in der einen Hand hielt er dann das volle Weinglas, in der anderen eine brennende Zigarette. „Auf Dein Wohl, Du Versager!“, so prostete er täglich seinem Spiegelbild zu und während er dafür gesorgt hatte, dass sein Gegenüber im Spiegel ihm unentwegt abfällig ins Gesicht blickte, ließ er in schöner Regelmäßigkeit die Ereignisse des Tages gedanklich an sich vorüberziehen. Jeder Fehler und jede Unachtsamkeit, die er im Laufe der Tage gemacht hatte, wurde dabei gnadenlos kommentiert; immer wieder beschimpfte er sich mit wilden Gesten als Idioten und Versager, solange bis ihn die aufkommende Trunkenheit müde gemacht hatte und er erschöpft ins Bett gewankt war.-

      „Wenn das jemand ahnen würde, was Du abends immer vorm Spiegel treibst, würde er Dich für verrückt erklären“, dachte Udo am Morgen des Gründonnerstages .Sein abendliches Verhalten kam ihm nicht ganz geheuer vor: Er ließ Dampf ab, überlegte er. Aber war es richtig, dass er sich selbst zu seiner eigenen Zielscheibe für Spott und Hohn machte?“

      Udo rauchte um 8 Uhr dreißig bereits seine sechste Zigarette, sein Kampf gegen seine Tabakabhängigkeit und gegen den Husten war einer Gleichgültigkeit gewichen. Was nutzte es vor Gesundheit zu strotzen, wenn Frauen wie Frau A. und Frau G. ihm das Leben schwer machten?

      Bislang hatte er noch nie etwas recht machen können, mal war er in ihren Augen zu langsam, mal zu unsauber, ein andermal hatte man ihm ein ungepflegtes Äußeres vorgeworfen! Und immer wieder war sein Husten der Anlass zur Kritik gewesen. Unappetitlich hatten sie ihn genannt!

      Udo hatte sich die Vorwürfe stets sehr zu Herzen genommen. “Wenn a l l e sagen, dass Du langsam bist und schlampig, wird an den Anschuldigungen wohl etwas dran sein, Udo S!“ Mit diesem Satz auf den Lippen verließ er schließlich seine Wohnung und lief rauchend und mit schnellen Schritten das kurze Stück bis zur Kita.-

      Leise klassische Musik drang aus den Kindergruppen in Udos Ohren, die Kleiderhaken waren voll behangen. Die Mütter und Väter der Kleinen waren heute zahlreich gekommen, um an der alljährlichen Osterfeier der Einrichtung teilzunehmen. Udo lief in Richtung Küche, als ihm das kleine Nachbarmädchen aus seinem Mietshaus begegnete. „Hallo, Kleine, warum bist Du denn nicht in Deiner Gruppe?“

      „Ich musste mal, Herr S.“, antwortete sie und verschwand Richtung Löwengruppe.

      Udo betrat nun seinen Arbeitsplatz, begrüßte wie jeden Morgen höflich Frau A. und Frau G., und wartete dann auf die Arbeitsanweisung von Frau A.

      Frau A. und Frau G. waren eifrig damit beschäftigt, sehr dekorativ Aufschnittplatten zu belegen und Udo stand einige Minuten untätig herum.

      „Also, Herr S., Sie sind doch heute nicht den ersten Tag hier“, sagte schließlich Frau A. „Allmählich müssten doch selbst Sie sehen, wo die Arbeit ist! Rühren Sie mal den Kakao an, dann haben Sie was zu tun!“

      Wie gemein die Worte waren! Und dann dieser Tonfall!

      Udo schüttelte sich innerlich und wieder kam, wie in letzter Zeit öfter, Zorn in ihm auf. Wie lange würde es ihm noch gelingen, all die Demütigungen, die ihm bereits seit sehr langen Jahren immer und überall widerfahren waren, zu ertragen, fragte er sich , während er widerspruchslos die Getränke bereitete.

      Um halb zehn schließlich war es soweit. Die Essenswagen waren österlich angerichtet, mit allerlei süßem und herzhaftem Zeug sowie mit zahlreichen buntgefärbten Eiern, die in kleinen grünen Nestern lagen und dem Ganzen ein festliches Flair gaben. Ungeduldig wartete Udo nun auf seinen täglichen Einsatz in der Löwengruppe und endlich gab Frau A. grünes Licht. Die drei Küchenmitarbeiter schoben je einen der Wagen in die drei Kindergruppen.

      Gott sei Dank - nur noch dreieinhalb Stunden bis zum Feierabend, dann würde ein viertägiger Kurzurlaub vor ihm liegen! dachte Udo. Der war auch dringend nötig, fand er: Frau A.`s bissige Bemerkungen ihm gegenüber hatten zugenommen und auch das ständige alberne Kichern von Frau G. war ihm langsam unerträglich...

      Immer, wenn er etwas falsch gemacht hatte und Frau A. dann wütend oder ironisch ihren Senf dazu abgab, fing Frau G.an, zu kichern!-

      Udo klopfte nun an die Tür zur Löwengruppe und trat ein.

      Eltern und Kinder saßen in großem Kreis um die Tische. „Einen wunderschönen guten Morgen, wünsche ich!“ ,sagte Udo laut in die Gruppe, „ich sehe, die Eltern sind zahlreich erschienen!“

      „Herr S, meine Mama und mein Papa konnten nicht kommen!“, hörte er das Mädchen aus seiner Nachbarschaft jetzt sagen.

      „Das ist aber schade“, sagte Udo. „Hatte niemand heute für Dich Zeit?“

      „Nein, Herr S., mein Papa hat gesagt, er hat es nicht so gut wie Du, Herr S! Papa hat gesagt, er und Mama müssen heute arbeiten.“

      „Aber