Bestimmungsort fürs IC und fummelte dann sehr lange und umständlich das IC zwischen die Widerstände. Dann warf er nochmal einen heimlichen Blick auf Frau Schulz Löttechnik, um sicher zu gehen, dass er nichts falsch machte. Schließlich fasste er sich ein Herz und verlötete die Teile miteinander. Dann brachte er die Platine auf das leere Fließband. Drei Stunden später hatte Udo gerade mal zwanzig Platinen bearbeitet und jedes Mal dann, wenn er zu Frau Schulz herübersah, trafen ihn ihre Blicke und er sah sie mit ihrer Kollegin tuscheln.-
Endlich, um 9 Uhr 45 klingelte der Werksgong zur Frühstückspause.
Udo wusste um seine schlechte Leistung und peinlich berührt und beschämt suchte er -wie die anderen Arbeiter - den Pausenraum auf. Er setzte sich an einen Tisch und holte seinen Tabak hervor. Über den Umstand, dass sich niemand zu ihm setzte, war Udo eigentlich ganz froh; er hätte niemandem in die Augen sehen können. Zu stark war das Gefühl des Versagens.
Udo sah zu Frau Schulz hinüber. Gott sei Dank, er schien hier wohl kein Gesprächsthema zu sein, denn sie und ihre Kolleginnen würdigten ihn nicht eines Blickes. Udo rauchte in der viertelstündigen Pause vier Zigaretten, dann ertönte erneut der Gong und alle begaben sich auf ihre Plätze.
Kaum hatte Udo seine Arbeit wieder aufgenommen, sah er den Meister, der zielstrebig und mit hochrotem Kopf auf ihn zutrat. Udo erschrak, die Blicke der Kollegen lagen nun auf ihm und er fühlte sich, als hätte man soeben einen großen schweren Felsen auf seinen Brustkorb gelegt.
„Herr S!“ schrie der Meister. „Sie haben die IC‘s falsch herum eingelötet! Wissen Sie eigentlich, wieviel Produktionsausfall das wegen der aufwendigen Fehlersuche bedeutet? Ab jetzt arbeiten Sie den Frauen nur noch zu!“
Udo war schockiert, denn er wusste bis zu diesem Augenblick nicht, dass man IC‘s auch falsch herum einlöten konnte. Hatte er bei Frau Schulz nicht richtig zugesehen? Obwohl er nicht wusste, was genau er falsch gemacht hatte bei der Bestückung, senkte er den Kopf und schwieg...
Der Meister stellte Udo nun direkt ans Ende der Lötstraße und Udo hatte nun die Aufgabe, die frisch aus dem Lötzinnbad kommenden Platinen vom Lötrahmen zu befreien und sie den Frauen herüber zu reichen.
Schon nach einer Viertelstunde aber legte sich ein beklemmendes Gefühl auf seine Brust, so als hätte sich zu viel auf einmal von dem beißenden Qualm , dem er jetzt ununterbrochen ausgesetzt war, auf seine Lungen gesetzt. Gleichzeitig fing er zu husten an - schlimmer als er es je zuvor getan hatte. Trotzdem verharrte er auf seinem Arbeitsplatz, solange bis es nicht mehr ging...
Er musste etwas zu trinken haben, überlegte er: Das würde den Hustenreiz lindern! Aber seine von zuhause mitgebrachte Wasserflasche war leer....
Die Toilette! Er würde seine Flasche auf der Toilette nachfüllen! Udo unterbrach seine Arbeit, nahm die Flasche und fragte eine der Frauen nach dem stillen Örtchen. Dann rannte er schnurstracks auf das WC und verschnaufte erst einmal sitzend auf dem geschlossenen Toilettendeckel. Der Hustenreiz hatte schlagartig nachgelassen! Udos Augen brannten vor Anstrengung und Müdigkeit und unterschwellig nahm er den Geruch von Lötzinn wahr. Kleidung und Hände waren mit dem Gestank der Metalllegierung behaftet. Udo war verzweifelt:
Erst versagte er beim Einlöten der IC‘s und nun schlug der Husten wieder zu! Hätte er nicht so viel geraucht, dachte er, wäre der Qualm sicher besser auszuhalten gewesen! Jetzt würde seine Gesundheit gleich doppelt geschädigt und Schuld war er ganz allein selbst! Udo stand auf und füllte seine leere Plastikflasche nun bis zum Rand voll mit Wasser, dann lief er zurück auf seinen Platz am Ende der Lötstraße... -
Immer und immer wieder wurde an diesem Tag seine Arbeit vom Husten unterbrochen, aber niemand der Betriebsangehörigen kam auf die Idee, ihn für einige Zeit abzulösen oder gar: nach Hause zu schicken. Was sollte er nur tun? Er hatte noch drei Stunden bis zum Feierabend, aber Udo war jetzt schon körperlich und seelisch so erschöpft, als hätte er bereits eine Doppelschicht hinter sich gebracht.
Und wieder geriet sein Herz einen Moment aus dem Rhythmus. Er konnte nicht mehr. Traurig sah er zu Frau Schulz rüber, aber ihr Platz war leer. Stattdessen stand der Meister dort und blickte ihm nun geradewegs in die Augen.
Wie lange stand der schon dort? Ob er ihn beobachtet hatte? Udo hustete nun solange, bis er würgte, sein Herz schlug schnell. Das hatte der Meister doch mitbekommen und Udo hoffte, dass er sich erbarmte und ihm einen anderen Arbeitsplatz zuwies, aber nichts geschah. Ungerührt verschwand der Vorgesetzte wieder und überließ Udo seinem Schicksal...
Udo dachte jetzt darüber nach, wie er diesem Arbeitsplatz möglichst unbeschadet entrinnen konnte. Wenn er jetzt einfach nach Hause ging, wäre er die Stelle wohl los, aber seine Befürchtungen, eine Leistungskürzung zu riskieren, waren groß, so dass er innerlich wankte.
Ein Attest musste her. „Ich werde mich krankmelden“, flüsterte er vor sich her, ließ die Platinen Platinen sein, schnappte sich seine Tasche mit dem Wasser und meldete sich im Meisterbüro ab. Der Chef sah ihn abwertend an, gab aber keine Antwort, sondern winkte ihn bloß wortlos aus dem Büro.
Wieder vor dem Werkstor
Udo war erleichtert, als er endlich wieder vor den Toren des Werkes stand. Sogar die Sonne ließ sich nun hin und wieder zwischen den dicken, herbstlich schnell jagenden Wolken blicken...-
„Jetzt nach Hause fahren und schlafen!“, sehnte sich Udo, aber zunächst einmal hatte er allerlei Erledigungen zu tätigen. Zuerst wollte er den Arztbesuch hinter sich bringen und dann der Zeitarbeitsfirma T. Bescheid geben. Zehn Minuten später hatte Udo das Gewerbegebiet verlassen und befand sich auf dem Bahnhof Grevenbroich.
Udo setzte sich auf die Bank am Bahnsteig Richtung Neuss. Seine Beschwerden waren fast verschwunden, er hustete nicht mehr. Nur das leichte Druckgefühl im Brustkorb war geblieben. Er holte seinen Tabak hervor: Verflucht! Musste das jetzt sein?, fragte er sich und angesichts seines plötzlichen Verlangens nach einer Belohnung für überstandene Strapazen, war ein „Ja“ die einzig mögliche Antwort.
Eine Viertelstunde später saß er im Zug nach Neuss und Udo bekam es wieder mit der Angst zu tun: Was, wenn der Arzt nichts fände und ihn ohne Attest aus der Praxis entließe? Er hätte in dem Fall nichts vorzuweisen, was seine Beschwerden ganz offiziell bestätigte. Würde er dann entlassen und bei der Arge vorstellig werden, könnte man ihm vielleicht einen Strick daraus drehen und ihm die Leistungen erneut kürzen? Und: Selbst wenn die ihm sofort kündigten, wäre er trotzdem verpflichtet, seine Arbeitsaufnahme bei den Behörden zu melden!
Der Papierkram! Es war nicht auszudenken, was da an Antragsflut auf ihn zukommen würde – andererseits: Vielleicht bliebe das eintägige Arbeitsabenteuer unbemerkt, es wäre durch Udos Verschweigen niemandem ein Schaden entstanden. „Wenn sie mich aber nun doch behalten wollen?“
Udos Gedanken drehten sich im Kreis, bis er Neuss erreicht hatte.
„Jetzt erst zum Arzt!“, dachte er, als er sein Fahrrad aus dem Ständer hob. Einhändig und mit brennender Zigarette schlängelte er sich zwischen den Autos entlang der Hauptstraßen.
Es war 14 Uhr 15, als er endlich vor der Praxis seines Hausarztes stand. Um 15 Uhr war Sprechstunde wie bei allen Ärzten in der Umgebung und Zweifel über den Krankheitswert seiner Beschwerden wechselten sich nun ab mit düstersten Selbstdiagnosen und aussichtslosen Prognosen für die Zukunft:
Wie lange hatte er noch? Seit Jahren schlug er sich mit chronischem Husten herum - wer wusste, ob nicht bereits ein Tumor in ihm wucherte! Udo fing an zu schwitzen: So genau wollte er es wirklich nicht wissen! Aber was war, wenn der Doktor auf einer Röntgenaufnahme bestand? Udo lief vor der Praxis auf und ab und um 14 Uhr 45 hatte er seit seiner Ankunft dort bereits wieder vier Zigaretten geraucht.
Mittlerweile