Der Verachtete. Marieke Hinterding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marieke Hinterding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738044010
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Frau A. etwas sagen konnte, putzte sich Udo das Blut an der Hose ab und fingerte nun mit der offenen Wunde an der Garnierung herum, wollte sie entfernen und infizierte nun auch noch eine Brötchenhälfte mit dem Blut!

      Frau A. packte ihn hart am Arm und zog ihn aus dem Lebensmittelbereich weg, hinüber zum Erste-Hilfe Kasten.

      „Also, Herr S., so geht das nicht!“, sagte sie wütend, während sie seine Wunde versorgte. „Sie beflecken die ganze Platte mit ihrem Blut, das ist eine der größten Hygienesünden, die Sie da begangen haben. Das nächste Mal denken Sie besser nach!“

      Udo wurde wieder puterrot, er schämte sich und zu allem Unglück kam schon wieder die Erzieherin um nach dem Frühstück zu fragen.

      „Herrn S. ist ein kleines Malheur passiert, Frühstück kommt in zwei Minuten“, antwortete Frau A. und wusch sich die Hände. Dann beseitigte sie alle Unreinheiten auf der Geburtstagsplatte großzügig, warf neben der Garnierung auch gleich drei Brötchen in den Abfall und beauftragte Udo dann, das Frühstück in die Löwengruppe zu bringen. „Den Gang entlang, die dritte Tür rechts, da ist die Löwengruppe“, befahl sie ihn dorthin...-

      „Guten Morgen, hier kommt das Geburtstagsfrühstück!“, sagte Udo laut, als er die Tür zur Gruppe öffnete.

      Die Kinder und ihre beiden Betreuerinnen hatten sich schon am Tisch versammelt und ungeduldig auf die Brötchen und den Kuchen gewartet.

      „Oh, ein neues Gesicht bringt uns heute das Essen. Dürfen wir erfahren, wie Sie heißen, damit wir Sie beim Namen nennen können“, fragte die ihm noch nicht bekannte Erzieherin.

      „Ich bin Herr S.“, antwortete Udo in die Runde, „und ich werde im nächsten halben Jahr die Küchenmitarbeiter unterstützen!“

      „Das freut uns“, antwortete die Frau, „Ich bin Frau R. und die Leiterin der Löwengruppe.“

      „Ich kenn `Dich, Herr S.“, rief ein Mädchen plötzlich. „Du wohnst bei uns.“ Tatsächlich. Udo erkannte den kleinen Blondschopf wieder. Sie wohnte mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder ganz oben in der 6. Etage.

      Das schien ja mal ein guter Start ins Arbeitsleben zu sein! Es würde sich doch sicher blitzschnell herumsprechen, dass er nun einer Beschäftigung nachging und wahrscheinlich würde diese Tatsache ihn endlich im Ansehen seiner Nachbarn steigen lassen! Udo dachte nun besonders an seine Etagenmitbewohnerin Frau K.

      Die würde sich wundern...! Wenn er sich Mühe gab, konnte er sich vielleicht hier Fertigkeiten aneignen und später irgendwo ganz normal als Küchenhilfe arbeiten...- Was wohl aus seiner Bewerbung als Hausmeister in Düsseldorf geworden war?, überlegte er jetzt. Die Neubert GMBH war ihm bis heute eine Antwort schuldig geblieben und Udo machte sich keine großen Hoffnungen mehr.

      Aber: Dass er heute hier war - das schien ihm wie ein Sprungbrett ins Glück und er sah sich schon als zukünftigen Mitarbeiter in einer Betriebskantine routiniert und schnell dem Koch zuarbeiten...-

      Udo war ganz im Gedanken als er den Kindern das Frühstück auftischte und so vergaß er sogar, dem Geburtstagsständchen beizuwohnen, obwohl Frau A. ihn ausdrücklich ermahnt hatte, darauf zu achten, dem Ehrentag des Kindes genügend Aufmerksamkeit zu schenken! Nur der säuerliche Gesichtsausdruck von Frau R. ließ Udo beim Hinausgehen vermuten, dass er etwas falsch gemacht hatte, doch erst als er die Küche wieder betrat und Frau A. ihn mit den Worten: „Sie sind ja schon wieder da!“ empfing, fiel ihm siedend heiß ein, dass er dem Geburtstagskind nicht einmal gratuliert hatte!

      Wieder überzog Schamesröte sein Gesicht und er hatte Angst, dass ihn die Mitarbeiter und die Kinder nun für genauso gemein und herzlos halten würden, wie er sich jetzt fühlte. -

      „Wir machen jetzt zwanzig Minuten Pause“, sagte Frau A. „wenn Sie frühstücken wollen, können Sie sich in den Mitarbeiterraum nebenan setzten.“

      „Darf man da auch rauchen?“, fragte Udo.

      „Nee, wenn Sie rauchen wollen, müssen Sie das Gebäude verlassen, hier herrscht absolutes Rauchverbot.“

      Udo lief zur Garderobe und holte seinen Tabak hervor. Den ganzen Vormittag über hatte er gegen das Rauchverlangen angekämpft, jetzt durfte er sich endlich eine anstecken! Noch während er zur Tür hinauslief, drehte er sich eine Zigarette um sie dann sofort gierig draußen vor der Tür anzuzünden und den giftigen Rauch des Glimmstängels einzuatmen.

      Aah, das tat gut! Udo hüstelte etwas. Ob er nochmal in die Löwengruppe gehen sollte, um dem Kind zu gratulieren?, fragte er sich. Nein – Udo hatte jetzt eine bessere Idee: Morgen früh wollte er mit einer kleinen Überraschung aufwarten - als kleine Wiedergutmachung für vergessene Geburtstagsglückwünsche. Ja, das war eine Idee! Udo klopfte sich innerlich auf die Schulter und rauchte gedankenverloren eine Zigarette nach der anderen...-

      „Herr S., Sie sind pünktlich wie die Maurer“, empfing ihn Frau A., als er seinen Arbeitsplatz wieder betrat, „aber riechen tun Sie wie ein voller Firmenaschenbecher!“ Udo war es peinlich, dass Frau A. ihn auf seinen Zigarettenkonsum ansprach. Kein Mensch sollte erfahren, wie sehr Udo sein Umgang mit dem Tabak innerlich beschäftigte und so versuchte er seiner Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben als er sagte: „Ja, ja, ein blödes Laster, dem ich verfallen bin!“, doch kaum hatte er den Satz ausgesprochen, spürte er den gefürchteten Hustenreiz in sich aufsteigen. Er schluckte, nahm sich ein Glas Wasser und trank, doch nichts half – unbarmherzig war er jetzt einer minutenlangen Attacke ausgesetzt, gekrümmt und nach Luft schnappend schleppte er sich nun ausgerechnet vor die Anrichte, auf die Frau A. schon den Nachtisch für das Mittagessen gestellt hatte.

      „Herr S., husten Sie nicht das Essen voll! Gehen Sie da weg!“, rief ihm nun Frau A .zu. Udo drehte sich um und versuchte noch einen Schluck zu trinken, doch kaum hatte er das Wasser im Mund, überkam ihn wieder der Husten. Damit er das Wasser nicht ausspucken musste, versuchte er nun mit geschlossenem Mund dem Reiz im Hals Herr zu werden, vergeblich!

      Udo hustete jetzt wieder so stark, dass sich sein Mund ohne sein Zutun öffnete und die Flüssigkeit in hohem Bogen hinaus schoss...

      Aus den Augenwinkeln sah er nun Frau A. auf sich zukommen. „Herr S.!“, sagte sie aufgebracht, „Sie haben eine Gesundheitsbelehrung mitgemacht, bevor Sie hier angefangen haben! Man hat Sie außerdem über alle notwendigen Hygienevorschriften informiert!

      Was soll das? Haben Sie alles vergessen? Wenn Sie eine ansteckende Krankheit haben, müssen Sie sich gefälligst krankschreiben lassen! Und husten Sie nicht noch einmal auf das Essen, sonst werde ich ungemütlich! Oder glauben Sie vielleicht, wir wollen alle nächste Woche das Bett hüten, weil Sie uns angesteckt haben?“-

      „Was muss ich heute für einen Eindruck hinterlassen haben?“, dachte Udo, als er an diesem Tag nach Hause gekommen war und vor seinem inneren Auge liefen noch einmal die langen Arbeitsstunden des Tages ab: Unfreundlich bis zum Schluss war Frau A. nach dem gnadenlosen Hustenanfall geblieben und kühl und distanziert hatte sie ihn schließlich in den Feierabend geschickt.

      Udo zog an seiner Zigarette und lief hinüber ins Badezimmer. Er betrachtete sein Gesicht und fletschte die Zähne. „Idiot! Idiot! Idiot! Musstest Du wieder rauchen? Und nachgedacht hast Du auch mal wieder nicht! Stellt man sich vielleicht direkt vors Essen, wenn man hustet? Idiot! Idiot! Idiot!“, presste er die fast unbezwingbare Wut auf sich selbst durch die fest zusammengebissenen Zähne und schaute dabei unentwegt sein Spiegelbild an, das ihm abgrundtief hässlich erschien und ihn an eine schmerzverzerrte Fratze erinnerte.-

      Udo hatte sich eine Flasche billigen Wein gekauft

      und deshalb sogar auf den Kauf eines neuen Päckchens Tabak verzichtet.

      Um 20 Uhr machte er es sich schließlich vor dem Fernseher bequem, doch der Feierabend verlief nicht unbeschwert, wie Udo es gerne gehabt hätte. Die Missgeschicke, die ihm während des Tages passiert waren hatten sich unwiderruflich in sein Gedächtnis gebrannt. Sein Verhältnis zur Vorgesetzten Frau A. schien ihm durch seine Fehler stark belastet und er hätte viel dafür getan, ihr nicht mehr unter die Augen treten zu