Auf Hochglanzprospekten und Videos wirbt Energetik für ihn, dieses imponierende Beispiel menschlichen Fortschritts. Einst waren es nur einfache Schaufeln in den Händen von Arbeitern, mit denen mühselig nach Braunkohle gegraben werden musste. Als zu Beginn des industriellen Zeitalters die Arbeitsabläufe endlich mechanisiert und dadurch erleichtert wurden, setzte man auf Schienen fahrende Eimerkettenbagger ein, die weitaus höhere Förderleistungen erzielten als ganze Heerscharen von Arbeitern mit ihrer Muskelkraft. Das war schon ein beachtlicher Fortschritt, ist aber nicht zu vergleichen mit der Spitzentechnologie unserer Schaufelradbagger, von denen der N12 nicht nur der größte, sondern auch wegen seiner neuartigen Computersysteme der am weitesten entwickelte ist. Dieses mit 4500 PS ausgestattete Hightech-Wunderwerk, das nur fünf Mann pro Schicht bedienen müssen, hat natürlich auch seinen Preis. Es kostet, sage und schreibe 214 Millionen Euro! Eine extrem hohe Investition der Energetik AG, aber sie rentiert sich auf jeden Fall. Denn seine grandiose Förderleistung senkt die hohen Produktionskosten, die wegen der komplizierten Arbeitsabläufe im Braunkohlentagebau entstehen. Er ist für uns unverzichtbar, ein Garant für das Erreichen unserer unternehmerischen Ziele. Es geht uns vor allem um kostengünstige Energiegewinnung angesichts internationaler Konkurrenz, um zukunftsorientierte Energieversorgung im Zeitalter schwindender Ressourcen und um die Sicherung von vielen Tausend Arbeitsplätzen. Der hiesige Braunkohlentagebau setzt mit dem N12, dem größten Schaufelradbagger der Welt, auch ein eindrucksvolles Zeichen dafür, dass Nordrhein- Westfalen ein dynamischer, fortschrittsorientierter Wirtschaftsstandort ist. Wer Interesse hat, den N12 in seinem Revier live zu erleben, dem bieten wir geführte, ebenso informative wie spektakuläre Ausflugsfahrten (kostenlos!) zu diesem einzigartigen Giganten der Technik an. Hobby-Fotografen kommen dabei voll auf ihre Kosten. Seine gigantische Größe und seine einzigartige Leistungsfähigkeit haben den N12 weltberühmt gemacht. Er ist unser technischer Super-Star. Die Broschüre «Braunkohle heute» mit eindrucksvollen Fotos vom N12 und wissenswerten Informationen über den Braunkohlentagebau können Sie bei unserem Kundenservice bestellen.
Richard hat sich von dem Imponiergehabe der Energetik AG nie blenden lassen. Auch als er noch nicht in Anfelden wohnte und ihm der Gedanke fern war, selbst einmal zu den Opfern des Braunkohlentagebaus zu gehören. Ihn hat schon immer die mit großem Werbeaufwand betriebene Öffentlichkeitsbearbeitung des Konzerns abgestoßen, der seit Jahrzehnten versucht, das als fortschrittlich und wertvoll zurechtzulügen, was hirnverbrannt und zerstörerisch ist. Und die 16, den Niederrhein zerwühlenden Schaufelradbagger, die man verblendet als nützliche Giganten feiert, waren für ihn nie etwas anderes als ein Bataillon von Zerstörungsmaschinen, die von wirtschaftlichen Interessen rücksichtslos gelenkt werden. In Friedenszeiten verwüsten sie, abgesegnet von politischem Starrsinn, den Lebensraum tausender Menschen, um kilometerweit Braunkohle zu erbeuten, mit katastrophalen Folgen für die Umwelt. Richard wundert sich über diejenigen, die Schaufelradbagger als Wunderwerke der Technik anstaunen. Wie naiv muss man sein, um sich von solchen Maschinenmonstern beeindrucken zu lassen? Es sind abstoßende Beispiele dafür, was geschieht, wenn menschliche Maßlosigkeit sich hemmungslos austoben kann. Und die Nummer eins davon ist der N12.
Früher hat er zwar kritisch, aber noch unbeteiligt mitverfolgt, was der Tagebau am Niederrhein anrichtet, wie Menschen Haus und Hof verloren, Lebensräume vernichtet, nicht wiedergutzumachende Umweltverbrechen begangen wurden. Er war nur ein Augenzeuge. Doch jetzt wird er selbst damit konfrontiert. Wie viele andere in dieser Region ist auch er ein Opfer des Braunkohlen-Terrors geworden.
Die Konzern-Propaganda, die mit großem Budget und schmieriger Werbepsychologie die Öffentlichkeit zu bearbeiten versucht, widert Richard immer stärker an. Sie erinnert ihn an die Heucheleien und Lügen, mit denen Regierungen ihre Macht absichern wollen, Behörden Missstände vertuschen oder Firmen auf Kritik reagieren. Die Wahrheit soll nicht ans Licht kommen.
Der N12 ist der Bagger, der schon am weitesten bis zu seinem Zuhause vorgerückt ist und immer näherkommt, unaufhaltsam, Meter für Meter. Bald wird er hier stehen und anstatt eines Baukunstwerks wird es nur noch ein Werk der Zerstörung geben. Jeden Tag muss Richard daran denken. Und er wird es auch weiterhin nicht aus dem Kopf bekommen. Was er hier erlebt, ist eine andere Form der Diktatur. Der N12 dient der Willkür einer mächtigen Clique, die nicht befürchten muss, für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er ist ihr Star, auf den sie auf eine abstoßende Weise auch noch stolz sind.
Für Richard zeugt der Schaufelradbagger N12 von technischer Perversion. Brutal funktionalistisch, skelettartig, zusammengesetzt, als wäre er nach dem Stabilbaukasten-Prinzip entworfen worden. Er könnte das Spielzeug eines verrückten Riesen sein. Der N12 hat für Richard eine abstoßende Hässlichkeit, Ausdruck einer gegen menschliche Bedürfnisse verstoßenden Gigantomanie. Jedes Mal, wenn er ihn sieht, ist er empört. Es ist ein Werkzeug der Destruktion.
Richard liegt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen im Bett, starrt zur Decke, neben ihm Iris, die ihren nackten Körper gerade in eine Seitenlage von ihm weggedreht hat. Es war ein Intermezzo der Lust. Nicht mehr und nicht weniger. Losgelöst von seinen wahren Gefühlen. Im Grunde eine Lüge. Er hat sich dazu hinreißen lassen. Ihre geschickt eingesetzten Reize betören und befeuern ihn noch immer. Ein zwar banaler, aber auch willkommener Rausch, der alles andere eine Zeit lang überdeckte. Er hat es genossen, es hat ihn entspannt, vertrauter Sex um Mitternacht, der dem Tag die Schwere nahm. Warum sollte er auch darauf verzichten? Er und Iris sind sexuell gut aufeinander eingespielt, können sich auf diese Weise noch immer genießen. Ein Paar, das voneinander enttäuscht ist, sich bereits aufgegeben hat, körperlich jedoch weiterhin anzieht. Aber seit einiger Zeit ist mehr Aggression im Spiel. Als würden sie sich gegenseitig zu einem Sex-Duell herausfordern, bei dem jeder den anderen beherrschen und besiegen will.
«Unser Sex ist wie ein schöner Garten in einer Einöde», bemerkte sie einmal sarkastisch nach ihrem Orgasmus. Danach stritten sie sich heftig. Für Richard ist es heute ein letzter Beziehungsrest, der bald ganz verschwunden sein wird. Vielleicht wird er es anfangs sogar vermissen. Wenn, dann nur das, sonst nichts. So lange sie heute auf ihren Körper fixiert blieben, so lange trieben sie in gewohnter Harmonie. Sie erzeugten eine lusterfüllte Nähe, die sich schnell verflüchtigte. Richard fühlt sich jetzt leer, befremdet von der Frau, die neben ihm mit angewinkelten Beinen auf der Seite liegt, und wie von einer unsichtbaren Grenze von ihm getrennt zu sein scheint. Dass er ihr Gesicht jetzt nicht sehen kann, empfindet er als angenehm. Das gedämpfte Licht der beiden schalenartigen Wandlampen beleuchtet ihren Körper, der brauner wirkt, als er ist. Seine Augen gleiten über ihren Rücken und ihre Hüften. Die ebenmäßige Birnenform ihres Körpers hat für ihn etwas Klassisches. Er betrachtet sie noch immer gern. Vorhin jedoch, als er hinter ihr kniete und sie seine tiefen, heftigen Stöße mit geilem Sexgestammel begleitete und sich lustvoll mitbewegte, erinnerte ihn die Birnenform ihres Körpers plötzlich daran, dass bald eine Abrissbirne gegen seine Villa wüten würde. Er war kurz irritiert, konnte dann aber seinen störenden Gedankengang verscheuchen und kostete weiter den einzigen Genuss aus, der ihm seine Ehe noch mit ihr bietet.
Heute schien sie ihm wieder mehr Leidenschaft vorzutäuschen, als sie wirklich empfand. Mit ihrer Schauspielerei will sie ihm wohl noch demonstrieren, was für eine tolle Frau sie doch ist, welch großer Verlust ihm droht.
Gegen uns kracht schon die Abrissbirne, denkt er. Nicht mehr lange, und es liegt alles in Trümmern. Ein unaufhaltsamer Prozess. Von uns beiden in Gang gesetzt und beschleunigt. Keine Tragödie. Halb so schlimm.
Aufseufzend dreht Iris sich zu ihm hin und blickt ihn abwartend an. Ihre üppigen Brüste liegen schön gekurvt vor ihm. Es reizt ihn, sie anzufassen und zu küssen. Er unterdrückt diese Verlockung, es wäre übertrieben, unpassend. Ein verspätetes Nachspiel. Sie sind jetzt beide nach dem ganzen Theater sowieso ernüchtert. Ach, ihre Brüste! Sie