Gleichgültig, wie groß ihre Zweifel sind, sie gehen darüber hinweg, lassen sich nichts anmerken. Ihre Intelligenz mag ihnen zwar einflüstern, dass der Braunkohlentagebau eine energiepolitische Sackgasse und zivilisationszerstörende Katastrophe ist, doch das müssen sie ausblenden. Eine gute Dosis Zynismus wird ihnen dabei helfen. Die Braunkohle ist und bleibt für sie Mittel zum Zweck. Eine Ware, mit der sie schon lange ein gutes Geschäft gemacht haben. Von Querulanten darf es nicht blockiert werden. Es geht um den Profit, und der ist ihnen heilig. Sie zementieren die Bedeutung des Braunkohlentagebaus mit Behauptungen, an die sie selbst nicht glauben. Fern jeder moralischen Hemmung, verfolgen sie rigoros ihre Ziele. Mit ihren rücksichtslosen Entscheidungen verschulden sie in Friedenszeiten verheerende Zerstörungen, die von sogenannten Volksvertretern politisch abgesegnet sind. Das gibt ihnen die nötige Rückendeckung für ihr aggressives Vorgehen. Kein Vorstandsmitglied käme auf die Idee, eigene Bedenken öffentlich zu äußern oder gar die Energetik AG anzugreifen. Wer sägt schon den Ast ab, auf dem er sitzt? Wes Brot ich ess, des Lob ich sing. Was auch immer hinter der Fassade ihrer kontrolliert und seriös wirkenden Gesichter vor sich geht, sie sind dafür verantwortlich, was sie als Konzernlenker beschließen.
Im sachlich nüchternen Konferenzzimmer, das von zwei impressionistisch abgedroschenen Landschaftsbildern aufgewertet werden soll, erheben sich die Vorstandsmitglieder wie nach einem Signal von ihren Sitzen, die um einen fast raumlangen Tisch angeordnet sind. Sie nesteln an ihren Krawatten, knöpfen ihre Jacken zu, streichen ihre Röcke glatt, lächeln und nicken sich zu, garnieren die jetzt entstehende Leere mit floskelhaften Sätzen, geben sich so bedeutungsvoll wie möglich und gehen ohne Hast wie eine wohlsituierte Gruppe angepasster Menschen gemeinsam zu Tisch. Sie können mit sich zufrieden sein. Ihr neues Thesenpapier haben sie raffiniert als Lügengebäude mit unhaltbaren, aber realistisch anmutenden Behauptungen zurechtgezimmert und ihm den letzten Schliff für eine schönfärbende Veröffentlichung gegeben, um die sich ihre PR-Abteilung gleich mit aller Raffinesse kümmern wird.
Darin behaupten sie:
Der globale Primärenergieverbrauch und insbesondere der Stromverbrauch werden nach allen Analysen deutlich steigen.
Die fossilen Energien müssen noch auf Jahrzehnte den größten Teil des weltweiten Energiebedarfs decken.
Angesichts begrenzter Ressourcen und des weltweiten Wettbewerbs kommt den heimischen Energieträgern künftig eine verstärkte Bedeutung zu.
Mit der Braunkohle verfügt Deutschland über einen Energieträger, der wesentliche energiepolitische Ansprüche erfüllt. Sie kann kostengünstig gewonnen werden und ist in großen Mengen vorhanden, wodurch eine Versorgungssicherheit für viele Jahrzehnte gewährleistet ist.
Flexible konventionelle Kraftwerke müssen Erzeugungsflauten der Erneuerbaren kompensieren. Die Erneuerbaren können ab Mitte der Dekade die gesamte Last allerhöchstens stundenweise decken. Nur ein geringer Teil der installierten Wind- und Solarleistung steht jederzeit sicher zur Verfügung. Eine Reserve durch konventionelle Kraftwerke muss bereitstehen, um den wachsenden Anforderungen an die Flexibilität gerecht zu werden. Für einen Ausgleich der fluktuierenden Einspeisung ist heute noch keine ausreichende Speicherkapazität vorhanden. Deswegen ist er innovative Ausbau neuer konventioneller Kraftwerke dringend erforderlich.
Bei ganzheitlicher Betrachtung aller wesentlichen Anforderungen ist die Braunkohle eine gute Wahl. Ihre Wirtschaftlichkeit beweisen stabile, niedrige Brennstoffkosten und die hohe Einsatzflexibiliät neuer Anlagen. Als naturgegebener heimischer Energieträger garantiert sie Versorgungssicherheit. Ihre Gewinnung bewirkt Wertschöpfung im eigenen Land.
Neue Braunkohlenkraftwerke sind flexibel regelbar und bestens für die moderne Energieversorgung gerüstet. Sie sind dadurch ein starker Partner der erneuerbaren Energien. Durch große und schnelle Leistungsänderungen kann deren schwankende Einspeisung aufgefangen werden. Um die Kapazität zu erhöhen und die Umwelt zu schonen, wird der Erneuerung der Kraftwerke konsequent fortgesetzt.
Im Rheinischen Revier wurden bisher mehr als 20000 Hektar rekultiviert. Abwechslungsreiche Rekultivierung berücksichtigt die Leitlinien der Ökologie, unterstützt die Landwirtschaft und richtet sich nach den Erholungsbedürfnissen der Bevölkerung.
Auf absehbare Zeit bleibt die Braunkohle tragende Säule in der Stromversorgung und bietet über die Verstromung hinaus vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für die Zukunft. Forschung und Entwicklung werden auf hohem Niveau umgesetzt und Zukunftsoptionen entwickelt. Die Braunkohle sichert in vielfältiger und verlässlicher Weise Wohlstand und Beschäftigung.
Braunkohle – heute und in Zukunft ein großes Plus für das Revier. Glückauf.
3
Die Rosen im Beet neben der Terrasse sind von Läusen befallen, noch nicht so stark, aber für Anna Lindner, die sich gerade zu einer historischen Rose niederbeugt, wird es Zeit, sie zu bekämpfen. Die chemische Keule will sie nicht einsetzen, eine Seifenlösung und Brennnesselbrühe könnten reichen. Schon gestern hätte sie die Rosen spritzen sollen, doch dazu war sie nach dem schauderhaften Gespräch mit Efferen nicht mehr fähig. Mit zwei großen Schritten geht sie aus dem Beet, stellt sich an den Rand und betrachtet es. Eigentlich kann sie mit der diesjährigen Blüte zufrieden sein, auch die neu gepflanzten Duftrosen haben sich gut entwickelt. Der Läusebefall ist noch moderat. Den wird sie schon in den Griff bekommen. Gegen Läuse auf den Rosen kann man etwas machen, aber nichts gegen diese Braunkohlenschurken.
Annas Gesicht verfinstert sich. Sie wollte doch wenigstens im Garten nicht mehr daran denken. Und hat Richard ihr nicht gesagt, dass sie unbedingt Abstand zu dem Ganzen braucht und versuchen soll, das Schöne hier noch zu genießen? Aber wie? Wenn der Gedanke andauernd an ihr nagt, hier bald alles zu verlieren? Sie weiß es nicht. Irgendwie muss sie es schaffen, sonst geht sie ein. Schlimmer darf es nicht werden. Die Rosen merken nichts davon. Die sind zu beneiden. Wenn sie eine Rose wäre, dann, ach, was denkt sie da eigentlich? Sie schüttelt den Kopf, zieht die Gartenhandschuhe aus, legt sie vor das Beet und geht zu dem Mosaiktisch, der auf der Terrasse in Hausnähe steht. Sie nimmt die Kanne vom Stövchen, schenkt sich eine Tasse duftenden Kräutertee ein und setzt sich auf einen der vier Rattanstühle. Sie inhaliert tief den Duft des Tees, trinkt einen Schluck, stellt die Tasse ab, lehnt sich zurück und betrachtet mit Wohlgefallen den durchsonnten Park. Ihren Augen bietet sich ein abwechslungsreiches, harmonisches Bild mit