Infiziert : Die ersten zehn Tage. Felix Fehder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Fehder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742793355
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du überhaupt was du da sagst?“

      „Da ist ein Infizierter im Kofferraum und Lea schläft im selben Wagen. Wir müssen schnell einen Platz zum Schlafen in der Wache finden, weil hier bald noch mehr Infizierte auftauchen könnten. Weil der Infizierte im Kofferraum Ihr Kollege ist, wollen Sie ihn mitnehmen.“

      Martina starrte ihn an. „Wie alt warst Du nochmal?“

      „Ich bin fast fünfzehn“, sagte Ferdinand stolz.

       Was soll's, Kindheit war vor der Infektion.

      „Also gut. Dann nimm seine Beine.“

      Martina öffnete den Kofferraum und Ferdinand sog hörbar Luft ein.

      „Wir können jederzeit abbrechen.“

      „Schon ok, los jetzt.“

      Er packte Michaels Beine und gemeinsam hoben sie ihn trotz heftigen Strampelns auf den Aktenwagen und Martina fixierte ihn mit Handschellen an Händen und Füßen. Unter Stöhnen und Fauchen schoben sie ihn in das Gebäude. Die Treppe hinunter zum Gefängnisbereich war nochmal ein Kraftakt, dann stand Michael endlich in seiner Zelle. Martina schickte Ferdinand zurück ins Treppenhaus, bevor sie Michaels Handschellen öffnete. Er ging sofort auf sie los. Sie verwarf den Gedanken, ihn auch von den restlichen Fesseln und dem Sack zu befreien, stieß ihn zurück und schloss ihn in der Zelle ein.

      Lea war wach und hatte Angst, weil sie so plötzlich allein in einem fremden Auto saß, als sie zurückkamen. Ferdinand konnte sie jedoch schnell beruhigen. Im Ruheraum der Polizeiwache standen ein paar Liegen, zu denen Martina die Kinder führte. Danach plünderte sie den Getränke- und Süßigkeitenautomaten, trug alles zu den Geschwistern und verschloss die Tür zum Pausenraum von innen. Ferdinand und Lea fielen über Schokoriegel und Weingummis her, Martina fielen die Augen zu, sobald sie sich gesetzt hatte und sie schlief ohne einen Bissen zu essen ein.

      Am nächsten Morgen wurde Martina von Leas Weinen geweckt. Ihr Bruder hielt sie im Arm und streichelte ihren Kopf. Martina wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Diese Kinder hatten letzte Nacht nicht nur ihre Eltern verloren, sondern auch ihr gesamtes Leben, ihr Weltbild, einfach alles.

      Also sagte sie nur „Bin gleich wieder da.“ und verließ das Zimmer. Michael hielt sie für sicher verwahrt, daher holte sie nochmal Snacks und eine Flasche Limonade aus dem Automaten und ging nach dem Gefangenen in ihrem Büro sehen. Als sie eintrat, saß er hinter ihrem Schreibtisch und las einen Fallbericht.

      „Einer Ihrer Kollegen?“, wollte Martina wissen.

      Er lachte. „Nein, ein Mordfall. Ich bin nur ein kleiner Fisch.“

      Martina legte Limonade und Schokoriegel auf den Tisch. „Ihr Frühstück. Warum hat man Sie eingesperrt?“

      Der Mann griff zu einem Snickers und biss hinein. „Gras“, sagte er kauend, „ich habe etwas gedealt.“

      „Sie sind jetzt frei.“

      Er sah sie zwischen zwei Bissen an. „Frei? Um wohin zu gehen? Was zur Hölle ist da draußen los? Warum war es die ganze Nacht dunkel? Keine Laternen und so? Wo sind alle Leute? Und Autos?“

      „Wie lange haben Sie dort unten gesessen?“

      „Zwei Tage.“

      „Oh.“

      Martina berichtete ihm von der Infektion, vom Chaos in der Stadt. „Ich denke, dass sie den Strom abgedreht haben – Ausnahmezustand und so“, endete sie.

      „Aber warum gibt es hier Licht?“

      „Die Wache hat einen eigenen Notgenerator. Aber bestimmt haben sie die normalen Kraftwerke dicht gemacht, um keine Infizierten darin zu riskieren.“

      „Wieso kommt keine Hilfe? Wo sind denn ihre Kollegen?“

      „Das versuche ich rauszufinden. Kommen Sie mit, wenn Sie wollen.“

      Sie öffnete die Tür und trat auf den Gang. Im Stockwerk unter ihnen befand sich die Einsatzleitstelle. Dort liefen auch Berichte und Meldungen aller Dienststellen des Landes ein. Der gefangene Dealer folgte ihr. Sie glaubte ihm, dass er nur ein kleiner Fisch war. Martina hatte viele Gewaltverbrecher erlebt und von diesem Mann hier schien keinerlei Aggression auszugehen. Trotzdem nahm sie sich vor, wachsam zu bleiben.

      „Wo wir jetzt sozusagen im selben Boot sitzen – wie heißen Sie eigentlich?“

      „Martina Kraft. Und wir sitzen NICHT im selben Boot. Ich teile mein Boot nicht mit Dealern.“

      „Hey, es war nur ein bisschen Gras, ok!?“ Er streckte ihr seinen tätowierten Arm hin. „Ich bin Oliver Fuchs. Die meisten sagen „Olli“.“

      Sie nahm seine Hand und schüttelte sie. Sein Händedruck war kräftig und warm.

      Der Computer der Leitstelle war an den Notstrom angeschlossen und surrte vor sich hin. Martina loggte sich ein und überflog die aktuellsten Meldungen. Alle drehten sich um die Infektion:

      Es begann mit dem Ausbruch der Infizierten vom Fabrikgelände. War das wirklich erst vorletzte Nacht? Danach gab es vor allem Meldungen zu Sichtungen von Infizierten. Ein Angriff hier, ein Opfer dort. Vergebliche Versuche, Infizierte in Gewahrsam zu nehmen. Martina scrollte weiter. Eine rot markierte Warnung informierte alle Einheiten beim Kontakt mit Infizierten gegebenenfalls von der Dienstwaffe Gebrauch zu machen. Stunden später wurde der Strom abgestellt und das Militär um Hilfe gebeten, danach gab es nichts mehr.

      Martina wechselte zu den Meldungen für das gesamte Bundesgebiet. In allen größeren Städten dasselbe Bild, wenn auch etwas verspätet. Das Ruhrgebiet war sozusagen die Quelle, schien ihr. Von hier aus hatte sich die Seuche schnell über das gesamte Land ausgebreitet. Martina vergrößerte ihren Suchradius noch einmal und keuchte erschrocken: Ganz Europa schien Probleme mit Infizierten zu haben. Und in ganz Europa brachen die Polizeimeldungen nach den ersten paar hundert Sichtungen ab. Als wäre die Institution Polizei einfach stillgelegt worden. Martina saß mit offenem Mund vor dem Bildschirm und konnte es einfach nicht glauben.

      „Ganz schön heftig“, kommentierte Olli.

      „Du warst ja noch nicht draußen. Hast diese Dinger ja noch nicht gesehen.“

      „Ich weiß langsam nicht mehr, ob ich nicht lieber wieder in meine Zelle will.“

      Martina wusste, dass sie keine andere Wahl hatte: „Das geht nicht, ich brauche Deine Hilfe.“

      Er sah sie fragend an.

      „Ich bin nicht allein hier.“

      Sie erzählte von Lea und Ferdinand, der Rettungsaktion und sogar von Michael in der Zelle.

      „Und nun soll ich helfen, diese Kinder zu beschützen?“

      „Wirst Du es tun?“

      „Ehrlich gesagt, bin ich heilfroh, nicht allein da raus zu müssen. Aber ich muss meinen Bruder finden.“

      „In Ordnung, aber vorher will ich zur Familie meines Kollegen.“

      Martina klickte noch etwas herum, fand aber keine weiteren Meldungen, die irgendwas erklärt hätten. Frustriert gab sie es auf. Wie es aussah, waren sie für den Moment auf sich allein gestellt.

      „Das hier hilft uns nicht weiter.“ Sie stand auf. „Komm, sehen wir nach den Kindern.“

      Ferdinand beäugte Olli vorsichtig, nachdem er ihm vorgestellt wurde, Lea hatte offensichtlich Angst vor ihm. Aber Olli hatte so eine Art, mit der er schnell das Eis brach. Er witzelte herum, lachte viel und war einfach so freundlich und herzlich, dass selbst Martina ihre Wachsamkeit ihm gegenüber ein Stück weit ablegte. Dennoch wurde es langsam Zeit, dass sie weiter kamen.

      Zu viert gingen sie in die Kantine und bedienten sich bei allem, was nicht verderblich war. Sie luden die Vorräte in einen neuen, vollgetankten Polizeiwagen; Martinas Wagen vom Vortag hatte kaum noch Sprit und stank nach Michael.

      Ihr letzter Gang an ihrem alten Arbeitsplatz