Auferstanden aus Ruinen. Florian Lettre. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Florian Lettre
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742771698
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über Cuba. Eine Ausstellung über die Beziehungen der Universität zu Cuba. In mehreren Räumen wurde getanzt. Mehrere Mädchen saßen in einem Raum am Rande der Tanzfläche. Florian forderte ein Mädchen auf. Es war ein Tanz, den er kannte. Sie tanzten gut zusammen.

      „Am Tage rennt man von einer Vorlesung zur anderen. Und nun ist hier Musik.“

      „Ich bin selten hier“, sagte das Mädchen. „Ich studiere Pädagogik.“

      „Deutsch und Geschichte?“

      „Deutsch und Sport.“

      Das Mädchen hatte glatte dunkelblonde Haare, die hinten zusammengebunden waren. In ihren Augen viel Ausdruck. Freundlich, aber zurückhaltend. Eine einfache weiße Bluse. Die Kapelle machte eine Pause.

      „Was machst du?“ sagte das Mädchen.

      „Germanistik“.

      „Ich wollte auch Germanistik studieren. Es hat nicht geklappt.“

      „Bist du zufrieden?“

      „Es geht so. Ich mache bald Examen. Ich habe viel zu tun.“

      „Ich hatte viel zu tun. Meine Examensarbeit ist fertig.“ Das Mädchen sah Florian anerkennend an.

      „Ich wäre froh, wenn ich auch fertig wäre.“

      Sie gingen durch die Gänge von einem Hörsaal zum anderen. In einem Raum war von Studenten eine Bar eingerichtet. Sie kauften sich beide etwas zu trinken und setzten sich an einen der kleinen Tische. Florian war irgendwie froh. Er fühlte sich erleichtert. Die Last der letzten Wochen wich von ihm. Ein Mädchen, das an ihm interessiert war. Es gab einen Menschen, der an ihm interessiert war.

      „Was bist du für ein Mensch?“ sagte er. Er wusste, dass diese Frage nicht zu beantworten war. Trotzdem konnte die Antwort aufschlussreich sein. Das Mädchen sah ihn an und lächelte freundlich.

      „Das habe ich mich auch schon gefragt. Was bin ich für ein Mensch. Im Unterricht müssen die Schüler Charakteristiken schreiben. Von Wilhelm Tell und Wallenstein. Über sich selbst denkt man nicht nach. Merkwürdig. Was bist du für ein Mensch?“

      „Ich bin bescheiden.“ Das Mädchen stutzte.

      „Das habe ich noch nie gehört. Wie kommst du darauf?“

      „Ich halte mich zurück. Wenn ich mit Menschen zusammen bin, sage ich nicht viel. Mir fällt nichts ein. Nichts von Bedeutung. Nichts, das sich lohnt zu sagen.“ Florian wusste nicht, woher das Vertrauen gekommen war, so mit dem Mädchen zu sprechen.“

      „Das zeigt eine andere Eigenschaft. Du bist aufrichtig. Du schätzt dich so ein, wie du wirklich bist. Das kommt nicht oft vor. Viele machen sich etwas über sich vor.“

      „Das ist nett, dass du das sagst.“ Florian sagte sonst nicht solche Worte. Es war auch etwas Ironie dabei. In Wirklichkeit meinte er es ernst.

      „Hast du Sorgen?“

      „Ja.“

      „Willst du mir etwas darüber sagen?“ Florian hatte ein solches Vertrauen zu dem Mädchen. Das Vertrauen war gekommen und war jetzt da.

      „Ich habe keine gute Examensarbeit geschrieben. Ich habe nur „genügend“ bekommen. Dabei verehre ich unseren Professor. Ich wollte mich bei ihm bewerben. Nun ist das vorbei.“ Er saß jetzt da in seiner ganzen Niedergeschlagenheit. Seine Schultern waren nach vorn gezogen. Der Kopf nach vorn gebeugt. In diesem Moment geschah etwas. Etwas Unglaubliches. Das Mädchen hob seine rechte Hand zu seinem Kopf und strich über diese Seite seines Kopfes. Er fühlte diese Hand an seinem Kopf. Es war eine ganze Welt, die sich ihm öffnete. Eine wunderbare Welt. Die Welt dieses bisher fremden Menschen. Er zog das Mädchen an sich und suchte den Mund des Mädchens und fand ihn und wurde nicht abgewiesen. Der Mund öffnete sich ihm. Dann entfernten sich die beiden Köpfe und sahen sich erstaunt an. Der junge Mann sah in die Augen des Mädchens und das Mädchen sah in die Augen des jungen Mannes. Was hatte das zu bedeuten? Was wollte der andere damit sagen? Wie war es dazu gekommen?

      Sie standen auf und gingen langsam weiter. Sie hatten sich untergehakt. Sie gehörten jetzt zusammen. Für eine unbestimmte Zeit. Aber zumindest für diesen Abend.

      Sie holten ihre Mäntel und standen dann vor dem Hauptgebäude der Universität. Sie gingen an den beiden alten Herrn vorbei, die da schon sehr lange saßen. Auf der Straße waren nicht viele Autos. Es war einfach spät. Nach Mitternacht. Sie hatten sich wieder untergehakt und gingen langsam die breite Straße entlang. Sie bogen um die Ecke und kamen in die kleineren Straßen mit den kleineren Häusern. In der Straße, die nach dem berühmten Dichter benannt war, blieb das Mädchen stehen. Sie wohnte hier. Sie küssten sich, und während das Mädchen im dunklen Hauseingang verschwand, ging Florian zur nächsten S-Bahnstation. Er war so froh. Er war lange nicht so froh gewesen. Irgendwie hatte er zu sich gefunden. Er würde wieder mit sich leben können. Hoffte er.

      Am nächsten Morgen erwachte Florian. Es war ein Sonnabend. Er war für den Abend verabredet. Mit der Krankenschwester. Im Schwesterheim. Dieser Körper einer jungen Frau. Dann war die vergangene Nacht da. Diese ausdrucksvollen Augen. Diese dunkelblonden glatten Haare. Diese Worte. Wie Perlen. Diese Bewegungen. Und dann dieser Moment, als sie ihre Hand seinem Kopf näherte und er die Berührung fühlte. Er wollte diese andere junge Frau nie enttäuschen. Sie hatte ihm ihren Körper gelassen. Sie war enttäuscht worden. Er würde sie nicht enttäuschen. Er hatte noch Zeit. Er sah auf die Uhr. Fast neun Stunden. Eine lange Zeit. Er würde der Entscheidung Zeit lassen. Er musste sich nicht sofort entscheiden. Er machte sich etwas zu essen und nahm ein Buch. Er konnte nicht lesen. Er hatte diese Sache vor sich. Würde er fahren oder würde er nicht fahren? Wenn er nicht fuhr, war es zu Ende. Er hatte nicht gesagt, wo er wohnte. Sie würde ihn nicht finden. Würde sie ihn suchen? Sie würde auf ihn warten. Sie würde erstaunt auf die Uhr sehen. Er war immer pünktlich gewesen. Er hatte sich nie verspätet. Gleich würde es klingeln, und sie würde nach unten gehen und ihm öffnen. Sie würde ihn an sich drücken und seinen Mund suchen. Und wenn sie dann seinen Körper an dem ihren fühlte, würde sie alles vergessen haben. Sie hatte ihm alles gegeben, was sie hatte. Mehr hatte sie nicht. Florian war sich jetzt sicher. Er musste gehen. Er würde diese andere junge Frau vergessen. Sie hatten sich verabredet. Sicher. Es war nur ein Abend gewesen. Ein schöner Abend. Die Nacht hatte sich geöffnet zu einem neuen Leben. Einem Leben voller wunderbarer Geheimnisse. Die junge Frau hatte die Faszination ihres Geschlechts. Sie hatte das, was Männer verrückt machte. Etwas, was Männer nicht hatten und immer suchten. Nicht alle Männer. Es gab welche, die hatten kein Gefühl dafür. Florian hatte dieses Gefühl. Er stand an einer Gabel seines Weges. Noch nie hatte er das so empfunden. Würde die andere Frau weinen? Würde sich ihr Gesicht verkrampfen, wie damals als sie von diesem Arzt gesprochen hatten? Und dann würde sie leise vor sich hin weinen.

      Die Zeit war vergangen. Er war nicht gefahren. Er hatte jetzt ein Gefühl, eine Entscheidung getroffen zu haben. Er hatte sich entschieden, und er fühlte sich auch so. Er hatte sein Leben in seine Hand genommen. Genau im richtigen Moment. Er fühlte eine Schwäche in sich. Eine große Schwäche. Als wäre er meilenweit gelaufen und nun am Ende seiner Kräfte. Er schlief ein. Er träumte wirre Träume. Als er erwachte, war es dunkel. Er war nicht mehr so froh, wie er geglaubt hatte.

      13.

      Es dunkelte schon etwas als Florian in der Straße stand, die nach dem berühmten Dichter benannt war. Er hatte das Haus wiedergefunden, vor dem er sich in der Nacht von dem Mädchen verabschiedet hatte. Die Haustür war noch geöffnet. Er ging die Treppe hinauf. Eine Tür ging auf. Eine junge Frau kam heraus. Sie hatte die ausdrucksvollen Augen und das glatt nach hinten gekämmten dunkelblonde Haar.

      „Da bist du“, sagte die junge Frau. Florian war erleichtert.

      „Ich bin froh, dass ich das Haus wiedergefunden habe. Es war dunkel als wir uns verabschiedet haben. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn ich dich nicht gefunden hätte. Nicht auszudenken.“

      „Wir hätten uns schon wiedergefunden.“

      „Sind