Auferstanden aus Ruinen. Florian Lettre. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Florian Lettre
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742771698
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      Sie gingen die Straße entlang. Die junge Frau hatte ein dunkelblaues Kostüm an. Florian hatte nur Jeans und eine Jacke an. Er kam sich nicht richtig angezogen vor.

      „Du hast dich so fein gemacht. Hast du etwas vor?“

      „So kann man das nennen.“ Florian war jetzt etwas unruhig. Was hatte das zu bedeuten?

      „Was muss ich tun?“

      „Du musst nichts tun. Nur zuhören. Wenn du willst.“ Sie gingen durch mehrere Straßen und blieben vor einer Kirche stehen.

      „Hier ist es. Kommst du mit?“

      „Wenn ich darf.“ Die junge Frau in ihrem dunkelblauen Kostüm ging voran. In der Kirche war es dunkler als auf der Straße. Sie drehte sich zu Florian:

      „Bis später.“ Florian setzte sich in eine Bank. Er sah jetzt, dass die Kirche etwa zur Hälfte mit Besuchern gefüllt war. Und dann kam der Chor. Frauen in dunkelblauem Kostüm. Auch die Chorleiterin. Das Konzert begann. Zunächst ein Choral von Bach dem Vater. Florian suchte die junge Frau. Sie stand in der zweiten Reihe ganz links. Er hatte nur Augen für sie. Er konnte sie beobachten. Er konnte ihre Stimme in der Masse der Töne nicht hören. Alle hatten Notenblätter in der Hand. Sie muss sich konzentrieren, dachte er. Die Chorleiterin hört jede Stimme. Er sah die anderen Frauen kaum an. Es waren jüngere und auch ältere. Die junge Frau und ihre Nachbarin sahen sich manchmal an. Sie schienen sich zu kennen. Die Stimmen der Frauen gefielen Florian. Es gab ein Lied, das ihn rührte. Das Schönste war die junge Frau. Die er in der Nacht geküsst hatte. Die „Vielleicht“ gesagt hatte. Mit der er so gut sprechen konnte. Die wieder Freude in sein Leben gebracht hatte. Sein Leben, aus dem die Freude verschwunden war. Es gab eine Pause, in der der Chor durch eine Seitentür verschwand. Und dann war Schluss und viel Beifall. Die Sängerinnen gingen auseinander zu ihren Angehörigen und Freunden. Die junge Frau kam durch den Hauptgang auf ihn zu. Neben ihr die Frau, die im Chor neben ihr gestanden hatte.

      „Das ist Bettina. Sie passt auf mich auf, wenn wir singen.“ Sie gaben sich die Hand. Die Frau war etwas älter als seine junge Frau. Vielleicht drei oder vier Jahre. Oder fünf. Sie gingen zusammen aus der Kirche auf die Straße, die jetzt dunkel war. Bis auf die Straßenlaternen. Sie gingen nebeneinander. Die andere Frau lächelte Florian an. Er hatte das Gefühl, dass sie ihn beobachtete. Sie hatte ihn noch nie gesehen. Sie war wohl neugierig auf den jungen Mann von dem ihr erzählt worden war. Bald standen sie vor dem Haus der jungen Frau.

      „Kommt ihr noch mit rauf?“ Die etwas ältere Frau war einverstanden und Florian sowieso. Sie gingen die Treppe hinauf und dann standen sie in dem Korridor der Wohnung und schließlich in dem Zimmer der jungen Frau. Es war richtig eingerichtet. Ein Regal mit Büchern. Florian kannte einige. An der Wand Zeichnungen. Sie setzten sich um den flachen Tisch. Drei Gläser. Ein Flasche mit Rotwein. Sie prosteten sich zu.

      „Sie sind also nun Florian“, sagte die etwas ältere junge Frau. Florian nickte.

      „Studieren sie auch?“ sagte Florian.

      „Ich habe studiert. Jetzt bin ich bei einem Verlag.“

      „Gefällt ihnen die Arbeit?“

      „Es ist ein kleiner Verlag. Er bringt nur Kunstbände heraus.“

      „Das würde ich auch gern machen.“

      „So interessant ist das nicht. Viel Routine.“

      „Kennen sie sich schon lange?“

      „Wir haben uns im Chor kennen gelernt. Wir haben unsere Plätze nebeneinander.“

      „Das ist mein Glück“, sagte die junge Frau. „Ohne dich wäre ich schon lange rausgeflogen.“

      „Das stimmt nicht. Du hast eine schöne Stimme.“

      „Es muss schön sein, zusammen in einem Chor zu singen“, sagte Florian. „Frauenstimmen klingen wunderbar.“

      „Jetzt verstehe ich, dass Vera sie mitgebracht hat. Sie sind ein Mann der Komplimente. Diese Männer sind besonders gefährlich.“

      „Meine Freundin ist geschieden“, sagte die junge Frau. „Sie hat keine guten Erfahrungen gemacht.“

      „Sehen wir uns am Sonntag zum Gottesdienst?“ sagte die etwas ältere junge Frau.

      „Ich glaube nicht. Ich habe noch viel zu tun wegen meiner Klausur.“

      „Schade. Ich freue mich, wenn du mitkommst. Sind sie religiös?“ Sie hatte sich an Florian gewandt. Florian befürchtete einen Moment, die beiden seien religiös.

      „Ich war früher in der jungen Gemeinde. Seit ich studiere, habe ich keine Zeit mehr dafür.“ Er musste vorsichtig sein. Religion sollte nicht von Bedeutung zwischen ihnen sein. „Ich weiß gar nicht, wie du zu Gott stehst“, sagte er zu der jungen Frau, die Vera hieß und die er schon geküsst hatte. Die junge Frau hatte jetzt Falten auf der Stirn.

      „Das ist ein weites Feld. Wie schon der Dichter sagte, in dessen Straße wir sind.“

      „Warst du in der jungen Gemeinde?“

      „Bei uns gab es so etwas nicht.“ Sie sprachen nicht weiter über Religion. Später sagte Vera von sich aus, dass Religion für sie nicht von Bedeutung sei. Sie wolle nur die Frau, die im Chor neben ihr stand, nicht enttäuschen. Die gehe jeden Sonntag zum Gottesdienst. Florian war erleichtert. Er verabschiedete sich zusammen mit der etwas älteren jungen Frau.

      15.

      Florian machte eine zusätzliche Ausbildung, um sich als Lehrer zu qualifizieren. Er hatte nie Lehrer werden wollen. Aber nun blieb ihm nichts anderes übrig. Er musste ein Schulpraktikum machen. Drei Monate. Eine Schule nördlich der Hauptstadt. Er fuhr jeden Tag mit der S-Bahn bis zum Bahnhof O. Von dort musste er mit dem Bus noch vier Stationen fahren. Die Schule war ein großes Gebäude aus roten Ziegeln. Der Schulhof lag vor dem Schulgebäude. In den Pausen waren die Kinder hier zu sehen. Die Mädchen hatten einen Kreis gebildet. Die Jungen rannten durcheinander. Über der Eingangstür stand: Für das Leben lernen wir. Florian ging die Treppe hinauf und dann noch eine Treppe. Ein Schild: Schulleitung. Er klopfte. Nichts. Er öffnete die Tür. Zwei Schreibtische. Eine Frau. Vertieft in eine Akte. Schließlich aufsehend:

      „Sie sind bestimmt Herr L. oder irre ich mich?“ Florian ging näher.

      „L.“

      „Aha, also doch. Wir haben schon auf sie gewartet. Der Herr Direktor ist nebenan.“ Die Frau stand auf und ging durch eine Tür, die sie offen lies. Florian sah einen Mann in mittleren Jahren. Groß mit graumeliertem Haar. Die Frau winkte.

      „M. Herr L., ich begrüße sie in unserer Ernst-Schneller-Schule. Sie kommen zum Schulpraktikum. Ich hoffe, dass es ihnen bei uns gefällt. Wir können gleich losgehen. Sie hospitieren heute bei der Kollegin K. im Fach Deutsch. Es ist eine zehnte Klasse.“

      Sie gingen durch die Gänge. An den Wänden Wandzeitungen. Ein Kasten mit Mitteilungen der Schulleitung. Und dann im Klassenzimmer. Der Direktor voran und Florian hinterher. Die Lehrerin Frau K. wird begrüßt. Florian bekommt einen Platz in der letzten Reihe. Der Unterricht geht weiter. Es geht um Heinrich Heine. Frau K. ist in den Vierzigern. Rock und Bluse. Routiniert. Die jungen Leute antworten auf ihre Fragen. Sie sind interessiert. Heine ein Dichter, der auch junge Menschen fesselt. Gedichte werden vorgelesen. Kein hämisches Lächeln über diesen Dichter, der vor über hundert Jahren starb. Die jungen Leute tragen fast alle Jeans und T-Shirts. Manche sind klein und manche groß. Die Jungen haben oft Pickel im Gesicht. Die Mädchen haben ganz kleine Brüste oder Brüste wie bei einer jungen Frau.

      Und dann ist Pause. Einige Schüler stürmen durch die Tür nach draußen. Andere verstauen ihre Sachen, bevor sie langsam nach draußen gehen. Manche gehen allein, manche in Gruppen. Manche reden auf ihren Nachbar ein, manche sagen kein Wort. Florian geht nach vorn zu Frau K. Sie stehen nebeneinander. Frau K. packt ihre Sachen zusammen.

      „Eine nette