»Was willst du mir damit sagen? Es klingt, als ob du zu den Aufständischen überlaufen wolltest.«
»Das habe ich nicht behauptet, aber man muss vorsichtig sein, wem man vertraut.«
Reget beschrieb eine hilflose Geste. Hatte er zuvor in der Bibliothek noch überlegen und stolz gewirkt, so war er nun verunsichert und seine Bewegungen fahrig.
»Sieh dich einfach nur vor«, sagte er schnell.
Luves holte tief Luft. Es gab viele Gerüchte darüber, dass besonders die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten mit der Herrschaft der Magier unzufrieden war. Niemand in der Hauptstadt nahm ihr Murren und Zetern ernst. Was sollte auch eine Horde Bauern mit ihren Ackergäulen und Mistgabeln gegen Hunderte von gut ausgebildeten und kampferfahrenen Magiern ausrichten? Die Gilden regierten seit Jahrhunderten dieses Land und daran würde sich auch nichts ändern. Trotz dieser Gewissheit beschlich Luves ein mulmiges Gefühl und er nahm sich vor, auf seiner Reise besonders aufmerksam zu sein.
»Ich werde vorsichtig sein und mich umhören«, sagte er.
»Darf ich dir als Jäger einen guten Rat geben?«, fragte Reget versöhnlich.
»Gerne«, sagte Luves, in der Hoffnung von ihm einen hilfreichen Hinweis zu bekommen, wie er vorgehen konnte.
»Sobald du den Faun siehst, brate ihm einen Blitz über den Balg und schick ihn in die Unterwelt.«
Verdutzt sah Luves ihn an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und erklärte seinem Begleiter, dass Meister Bukov ihm einen sehr ähnlichen Rat gegeben hatte.
»Wenn dir zwei das Gleiche sagen, solltest du dich vielleicht auch daran halten«, sagte der Jäger grinsend.
Er entbot Luves einen letzten schnellen Gruß und wünschte ihm viel Glück für seinen Weg. Misstrauisch sah der Magier ihm nach, als er sich zwischen die Menschen drängelte und rasch von der Menge verschluckt wurde. Luves überlegte, ob er dem Jäger folgen und ihn doch noch zur Rede stellen sollte, denn dessen Andeutungen gaben ihm zu denken. Doch er hatte wichtigere Dinge zu erledigen. Er konnte nur darauf hoffen, Reget später erneut im Haus der Gilde zu treffen, um ihr Gespräch fortzusetzen.
Kapitel 5
Durch das östliche Tor gelangte Luves in die Siedlung der Zauberwirkenden, die man auch die Kesselrührer nannte. Auf einen Außenstehenden mochte diese Ansammlung von Häusern und Werkstätten wie ein kleines Dorf wirken, das sich jenseits der Mauern von Cimala angesiedelt hatte. Grauer Rauch stieg von den Schornsteinen der aus roten Ziegeln gemauerten Häuser in den Sommerhimmel auf. Geschäftiger Lärm drang aus einer der Schmieden hervor. Als er eines der Gebäude passierte, in denen man Zaubertränke braute, stieg ihm der intensive, würzige Duft der Kräuter in die Nase, hüllte ihn dicht wie eine Wolke ein. Er hustete, bis ein Windhauch die Dämpfe vertrieb. Unruhe entstand im Inneren des Hauses, Stimmen wurden laut. Die Tür sprang auf; ein junger Schüler stürmte an ihm vorbei, rannte durch den Spalt zwischen zwei Häusern und verschwand. Ein Meister der Gilde der Zauberwirkenden wankte hustend zur Türschwelle und lehnte sich gegen den Türrahmen. Weißlicher Rauch kroch gleich einem feinen Nebel bis auf seine Kniehöhe aus dem Inneren nach außen.
»Du verdammter Idiot!«, brüllte er dem Jungen nach und hob drohend seine Faust. »Zwei Becher Weißhäubchen! Nicht zwei Eimer!«
Sein Gesicht leuchtete rot und er rang keuchend nach Luft. Er entdeckte Luves, deutete auf das Haus, aus dessen Tür- und Fensteröffnungen immer dichtere Wolken drangen.
»Dieser verdammte Bengel hat wieder nicht zugehört und den ganzen Trank verdorben! Drei Wochen Arbeit sind jetzt für die Katz!«
Er zog ein Tuch aus seiner Tasche und verdeckte damit Mund und Nase, bevor er im Haus verschwand. Luves zögerte und überlegte seine Hilfe anzubieten, aber da stürmten bereits andere Magier und ihre Gehilfen herbei. Allen vorweg der Schüler, der das Unglück verursacht hatte. Grob drängten sie ihn beiseite, um das Haus zu betreten. Jemand brüllte einen Wasserzauber und das Feuer erlosch mit einem wütenden Zischen, das an eine bösartige Schlange erinnerte. Ein letzter Schwall Rauch quoll aus dem Gebäude hervor, der in einer Windböe zerstob. Die Stimmen der Anwesenden wurden übertönt von dem Gezeter des Meisters, der den schuldigen Schüler beschimpfte.
Luves wandte sich ab und setzte seinen Weg zum anderen Ende der Siedlung fort. Er sprach einen vorbeigehenden Schüler an, der neugierig nach dem Unglücksort Ausschau hielt, und fragte ihn, wo er Meister Riudan finden konnte. Der verwies ihn auf eine der Holzhütten, in der sich eine kleinere Schmiede befand, wo man Amulette anfertigte. Luves dankte ihm für die Auskunft und näherte sich dem Gebäude. Hier statteten sich die Jäger mit Schutzzaubern und Tränken aus, die sie auf ihren Reisen im Kampf gegen die geächteten Wesen benötigten. Vieles wurde auch auf den Märkten im Umland verkauft. Talismane, die gegen den bösen Blick der Hexen schützten, Liebestränke, die eine unerfüllte Liebe zum Guten wendeten, Tinkturen gegen Warzen und Amulette, die krankes Vieh heilen sollten. Alles, was die Magier an die Menschen verkauften, war nicht besser als der Schund, den Wunderheiler feilboten und kaum wirksamer, aber sie fanden ihre willigen Abnehmer, die dafür mit klingender Münze bezahlten.
In der kleinen Hütte schlug ihm die Hitze eines Schmiedefeuers entgegen. Daneben stand ein groß gewachsener Mann mit den breiten Schultern eines Schmiedes, der am Amboss arbeitete. Die Zauberkräfte der gefertigten Gegenstände erfüllten den Raum mit ihrer Energie, die Luves beinahe körperlich spürte. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Er hätte sich am liebsten wie ein Hund geschüttelt, um das unangenehme Gefühl zu vertreiben.
»Sei gegrüßt, Luves«, rief ihm Meister Riudan munter zu und schlug den Hammer erneut auf das glühende Eisen. Funken stoben auf und das helle Klingen stach in Luves' Ohren. »Ich habe dich bereits erwartet. Hat der alte Schwätzer Bukov dich aufgehalten?«
»Vergebt mir die Verspätung. Ich musste mich erst mit den Karten der Sommerfelder vertraut machen.«
»Soll er zwischen seinen staubigen Büchern verrotten«, sagte der Meister heiter. »Du hast Glück, dass dich dein erster Auftrag in diese Gegend führt.«
»Es soll dort sehr schön sein.«
»Die Landschaft soll dir egal sein, aber das Bier darfst du dir nicht entgehen lassen. Die Frauen dort sind auch nicht abgeneigt, wenn man ihnen hübsche Augen macht. Schon gar nicht bei euch jungen Burschen.«
Luves verkniff sich eine Erwiderung und nickte lediglich stumm. Aufmunternd klopfte ihm Riudan auf die Schulter.
»Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich gegen einen Troll kämpfen musste. Damals war ich ungefähr so alt wie du.« Er grinste breit unter seinem rostroten Vollbart, als er die verblüffte Miene des jungen Mannes bemerkte. »Auch wenn du mir nicht glaubst, aber ich habe nicht immer nur in Schmieden gehockt oder Tränke angerührt. Ich bin viel durch das Land gereist und habe Abenteuer erlebt. Du wirst sehen, es wird dir gefallen. Außerdem wird es dir guttun, dir den Wind um die Nase wehen zu lassen. Sonst verweichlichst du wie einer dieser Spruchweber in ihrer moderigen Bibliothek. Das willst du doch nicht, oder?«
»Nein, Meister«, sagte Luves schnell und Riudan lachte dröhnend.
»Möchtest du einen guten Rat von mir bekommen?«
»Es ist meine erste Jagd. Da bin ich für jeden Hinweis dankbar, den ich bekommen kann.«
»Sobald du diesen verdammten Faun siehst, jag ihm einen Blitz in seinen hässlichen Hintern und schick ihn in die Tiefen der Unterwelt.«
»Ich werde mir Euren Ratschlag zu Herzen nehmen«, murmelte Luves irritiert.
»Und gib auf die Nachtmahre acht, wenn du in den Wäldern eine Rast einlegst.«
»Es sind doch nur kleine Tiere.«