Am Ende des Ganges hielt er vor der Tür inne und sammelte sich für dieses letzte Gespräch. Während seiner gesamten Ausbildung war es nie mit etwas Gutem verbunden gewesen, die Räumlichkeiten des Meisters aufzusuchen. Selbst heute breitete sich ein mulmiges Gefühl in seinem Magen aus. Zögerlich klopfte er an und der Meister rief ihn ungeduldig herein, als ob er nur auf ihn gewartet hätte. Luves betrat den kleinen, schmucklos eingerichteten Raum, der von zwei Feuerschalen beleuchtet wurde. Zudu erhob sich hinter seinem massiven Arbeitstisch aus dunklem Holz. Ehrfürchtig verneigte sich Luves und entbot ihm seinen Gruß.
»Du kommst spät«, wies Zudu ihn streng zurecht.
»Vergebt mir, Meister. Ich habe zuvor Meister Bukov und Meister Riudan aufgesucht und von ihnen Instruktionen und meine Ausrüstung erhalten.«
»Diese Schwätzer!«, knurrte Zudu.
Erstaunt hob Luves den Kopf, denn er hatte niemals zuvor erlebt, dass sein Meister sich derartig abfällig über andere Magier äußerte. Er biss sich verstohlen auf die Unterlippe, um ein Grinsen zu unterdrücken, doch seine Miene entging Zudu nicht und er sah ihn strafend an. Schnell senkte Luves wieder seinen Kopf und starrte auf den Steinboden.
»Wie man dir bereits mitgeteilt hat, sollst du zu den Sommerfeldern reisen. Hast du dir die Karten gut eingeprägt?«
»Ja, Meister.«
»Das Gebiet, in dem der Faun gesehen wurde, ist sehr groß. Auch wenn Meister Friebert dich begleitet, musst du dich genau umhören und auf jede Kleinigkeit achten. Hast du dazu noch Fragen?«
»Meister Bukov sagte, es gäbe keine Beschreibung des Wesens …«
»Nur, weil er sie nicht kennt, heißt es nicht, dass sie nicht vorhanden ist. Die Informationen des Händlers sind spärlich, aber dennoch geben sie dir einige Anhaltspunkte«, unterbrach Zudu ihn ungehalten. »Bei dem Wesen handelt es sich um ein recht junges Exemplar, das ungefähr in deinem Alter ist. Lass dich davon jedoch nicht täuschen, denn ein Faun ist bereits in jungen Jahren hinterhältig und verschlagen. Sie geben vor, arglos und schwach zu sein, um das Mitgefühl der Menschen zu erregen. Doch sie nutzen jede Gelegenheit, um anderen Schaden zuzufügen. Der Händler, den die Kreatur ausgeraubt hat, beschrieb ihn als schmal, mit blondem Haar und von mittlerer Größe. Er nannte sich selbst Semingion.«
Luves nickte und prägte sich alle Einzelheiten genau ein. Zudu hieß ihm mit einer Geste sich zu nähern und er trat an den Arbeitstisch heran. Der Meister überreichte ihm mit ausdrucksloser Miene ein Schwert, das in einem ledernen Futteral steckte. Luves stockte der Atem, als er seine erste eigene Waffe entgegennahm. Mit ihr würde er sein Leben verteidigen und den Faun stellen. Seine Hände zitterten vor Aufregung, als er den Gurt anlegte. In den Augen seines Meisters zeigte sich ein Anflug von Ungeduld über seine Ungeschicklichkeit.
»In deiner Kammer hat der Quartiermeister bereits die Reisekleider und alles, was du an weiterer Ausrüstung benötigst, zurechtlegen lassen.«
»Ich danke Euch, Meister«, sagte Luves und deutete eine Verbeugung an.
Meister Zudu händigte ihm eine Geldbörse aus.
»Darin befinden sich zwanzig Goldkreuzer für deine Reise, damit deine Unterkünfte und Verpflegung gesichert sind. Teile dir das Geld gut ein und verprasse es nicht am ersten Tag.«
»Das werde ich nicht, Meister«, versprach Luves.
»Da wärst du nicht der Erste, dem das passiert.«
Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf Zudus Mund, doch es verschwand sogleich wieder.
»Damit wäre alles gesagt und du darfst gehen. Erfülle deine Gilde mit Stolz!«
Luves verbeugte sich vor seinem Meister und dankte ihm respektvoll. Bevor er sich zum Gehen wandte, hielt er inne.
»Habt Ihr noch einen Rat für mich, bevor ich aufbreche?«, fragte er zaghaft.
»Nein«, entgegnete Zudu und hob erstaunt die Augenbrauen. »Du wirst wissen, was du zu tun hast, wenn es soweit ist. Nun geh!«
Mit einer Geste unterstrich er seine Aufforderung und Luves verließ eilig den Raum. Das Schwert fühlte sich schwer und ungewohnt an seiner Seite an, denn er hatte niemals außerhalb des Unterrichtes eine Waffe bei sich getragen. Während er die Korridore in dem Flügel mit den Schlafkammern durchschritt, bemerkte er die bewundernden Blicke der anderen Schüler und Anwärter, denen er begegnete.
Er betrat den kleinen Raum, der gerade genug Platz für die vier Personen bot, die ihn sich teilten. Auf der hölzernen Truhe neben seinem Bett lag ein Stapel mit Kleidung und eine lederne Tasche. Beinahe andächtig faltete er jedes der Stücke auseinander und betrachtete es eingehend, bevor er sie nebeneinander auf seinem Bett ausbreitete. Seine Ausrüstung für die Reise unterschied sich kaum von der, die er trug. Sie bestand aus zwei hellen Leinenhemden, zwei braunen Hosen, Unterkleidung, einer gegerbten Jacke aus schwarzem Leder und einem Umhang aus schwerer Wolle. Der einzige Unterschied bestand darin, dass diese Kleidung neu war und nicht gebraucht, so wie die Schüler sie trugen. Er strich über die Stoffe und war versucht, sie bereits jetzt zu tragen, um sie seinen Mitschülern bei ihrer letzten gemeinsamen Mahlzeit vorzuführen. Doch er untersagte sich dieses Zeichen von Hochmut und Eitelkeit.
Schließlich legte er die Sachen wieder sorgfältig zusammen und verstaute alles bis auf das, was er am kommenden Morgen benötigte, in der Tasche. Unter ihr lag ein Gurt, in dem sich ein kleineres Messer und ein Dolch befanden. Luves setzte sich auf sein Bett und prüfte die glänzenden Klingen, bevor er alles zurück auf die Truhe legte. Darin bewahrte er seine wenigen Habseligkeiten auf. Viel konnte er nicht sein Eigen nennen. Die Ersatzkleidung gehörte der Gilde. Ansonsten enthielt sie nur ein paar Blätter Pergament mit Zaubersprüchen oder Karten, die er während seiner Ausbildung angefertigt hatte. Ganz zuunterst lag ein kleiner Kieselstein, den er als Kind eingesteckt hatte, als er mit seiner Mutter den elterlichen Hof verlassen hatte. In den ersten Nächten, die er in Cimala verbracht hatte, hielt er ihn fest in der Hand, damit ihn das Heimweh nicht so sehr plagte wie die anderen Jungen, die sich in dem Saal in den Schlaf geweint hatten. Genutzt hatte es ihm wenig. Er war zu jung, um zu verstehen, warum man ihn an diesen Ort gebracht hatte. Doch er hatte schnell begriffen, dass das Leben für ihn leichter wurde, wenn er sich den Anordnungen seiner Ausbilder fügte, anstatt dagegen aufzubegehren.
Die Tür knarrte leise und das Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Kilian stand im Türrahmen und musterte erst ihn, dann die Tasche auf der Truhe. Der Magier erhob sich, als er eintrat. Der Schüler deutete auf die Waffe, die er trug.
»Ist das dein Schwert?«, fragte der Junge neugierig und Luves nickte, geschmeichelt durch die Aufmerksamkeit. »Darf ich es mir ansehen?«
Er zog die aufwendig gearbeitete Waffe aus der Scheide und reichte sie dem Schüler. Ehrfürchtig betrachtete der die glänzende Klinge und den Widerschein des Lichtes darauf.
»Eines Tages wirst du auch deinen ersten Auftrag erhalten und als siegreicher Jäger zurückkehren«, sagte Luves.
Kilian ließ das Schwert sinken und reichte es zurück an ihn. Er wich dem Blick seines Gegenübers aus und senkte niedergeschlagen den Kopf.
»Eigentlich möchte ich nicht der Jägergilde beitreten, aber ich habe keine Wahl.«
Der Magier trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ich kenne deine Fähigkeiten, Kilian. Du beherrschst die Kräfte der Elemente und hast ein Gespür für Zaubersprüche. Die von dir angefertigten Amulette und gebrauten Tränke brauchen sich nicht hinter denen von Meister Riudan zu verstecken. Was dir beim Schwertkampf fehlt, wirst du mit der Zeit lernen.«
Der Junge ließ die