»Sie neigen zwar nicht dazu, Menschen anzugreifen, doch sie sind hinterhältig und klüger, als man meint. Mir hat eines dieser Biester meine Reisetasche ausgeräumt, während ich schlief. Weil es nichts zu fressen fand, hat es mir aus Bosheit in die Tasche gekackt. Das war eine schöne Sauerei.«
»Ich werde mich vorsehen«, versprach Luves und unterdrückte ein Grinsen, um nicht respektlos zu erscheinen.
Riudan trat an einen Tisch heran, auf dem drei Lederbänder lagen, an denen münzartige, schmucklose Metallplättchen befestigt waren, deren Oberflächen matt schimmerten. Zwei waren aus Eisen gefertigt, das Dritte aus Silber. Dieses hob der Meister zuerst auf und reichte es dem Magier, der die eingravierten Runen betrachtete, die den Zauber an den Anhänger banden.
»Ich habe ein paar Zauber eigenhändig für dich vorbereitet. Ein Schutzzauber vor den dunklen Geistern, damit sie dich nicht mit ihren Flüchen belegen können. Du kannst sie dir nicht vom Leib halten, aber so wirst du wenigstens nicht verhext.«
Er bedankte sich für die Mühe, die Riudan auf sich genommen hatte, und legte die Kette an, während ihm bereits die Nächste gereicht wurde.
»Hier hast du einen Schattenzauber, der dich verbirgt, damit du dich unbemerkt anschleichen kannst. Das kann sehr nützlich sein, vor allem, wenn man es mit einer solch hinterlistigen Kreatur zu tun hat wie einem Faun. Außerdem brauchst du noch einen Maskenfluch, falls du deine äußere Gestalt verändern musst.«
»Ich beherrsche den Zauberspruch dafür. Da werde ich das wertvolle Amulett nicht benötigen«, warf Luves ein und wollte es zurückgeben, doch der Meister winkte ab.
»Mit dem Anhänger wird er dich jedoch kaum Kraft kosten. Nimm ihn lieber mit. Solche Dinge haben sich schon öfters als nützlicher erwiesen, als du es dir vorstellen kannst.«
Er legte auch die dritte Kette an und ließ sie unter seinem Hemd verschwinden, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen. Die Metalle der Anhänger legten sich kühl auf seine Haut. Er benötigte einen Moment, um sich an die Energien zu gewöhnen, die sie verströmten. Es waren zweifellos starke Zauber, die er selbst niemals hätte anfertigen können. Deshalb dankte er Meister Riudan nochmals von ganzem Herzen dafür.
»Du warst nie der beste Schüler, doch du besitzt Ehrgeiz, Kraft und ein hohes Maß an Bauernschläue. Aber überschätze dich nicht! Das Land Aestra ist nicht die Stadt Cimala. Dort herrschen andere Regeln und Gesetze, als du sie gewohnt bist. Willst du noch einen guten Rat, mein Junge?«, fragte der Meister mit einem freundlichen Lächeln zum Abschied und Luves nickte. »Komm einfach nur wieder heil und gesund zurück.«
Der junge Magier versprach ihm, sich vorzusehen und entbot ihm einen respektvollen Abschiedsgruß.
Er entschied sich, für seinen Rückweg zur Gilde der Jäger, einen Pfad zu wählen, der an der Stadtmauer entlang führte, anstatt sich erneut in das Getümmel zu stürzen. Nur gedämpft drang der Lärm aus den Straßen zu ihm. Luves genoss es, durch das hohe Gras zu gehen anstelle des holprigen Pflasters der Straßen und Gassen. Vor ihm erstreckten sich die Wiesen mit den tiefen Wäldern dahinter, die bis zum Horizont zu reichen schienen. Es war schwer sich vorzustellen, welche Welt sich dahinter verbarg und welche Abenteuer und Gefahren dort auf ihn warten mochten. Aus den Büchern in der Bibliothek glaubte er, alles über dieses Land zu wissen, jede Region und ihre Eigenheiten zu kennen. Er war sich sicher darüber, jedes Detail über die geächteten Wesenheiten, die sich in Aestra angesiedelt hatten oder dort herumstreunten, angeeignet zu haben. Aber das waren nur Worte und Karten auf vergilbtem Pergament. Nun erwartete ihn die Realität. Morgen früh würde er sich aufmachen und feststellen, ob er den Anforderungen der Gilde gewachsen war und er sich beweisen konnte. Eine Mischung aus Aufregung und Angst stieg in ihm auf, ließ seinen Bauch kribbeln. Er fühlte sich bereit dazu, seine Mission zu erfüllen und in die Ränge der Jäger aufzusteigen. Selbst der Gedanke an seinen mürrischen Begleiter konnte ihm in diesem Moment die Stimmung nicht verderben. Er holte tief Luft und lächelte dem Horizont entgegen. Morgen würde er in genau diese Richtung reiten und als Jäger zurückkehren.
Als er die staubige Landstraße erreichte, auf der sich die Karren noch immer in einer scheinbar unendlichen Karawane hintereinander reihten, hörte er eine Stimme, die lauthals seinen Namen rief. Er wandte sich um und entdeckte Toge, der seinen Umhang um sich raffte, damit er schneller laufen konnte. Keuchend rang er nach Luft, als er Luves erreichte.
»Hast du bei den Veteres vorgesprochen?«, japste Toge und sah ihn erwartungsvoll an.
»Allerdings«, erwiderte Luves grinsend. »Möchtest du raten, worum es ging?«
»Man hat dir eine Strafe wegen irgendeiner Nichtigkeit verpasst.«
»Nein. Du darfst noch einmal raten.«
»Hat man dir etwa einen Auftrag erteilt?«
»Ich habe mir gerade meine Ausrüstung zusammengestellt. Morgen breche ich auf.«
»Heiliger Trollmist! Das ist großartig. Endlich steht dir nichts mehr im Wege, zu den Jägern aufzusteigen. Was für ein Wesen sollst du fangen?«
»Es geht um einen Faun.«
Toge verzog das Gesicht und verdrehte die Augen.
»Ein Faun? Dass man dafür extra einen Jäger auf eine Mission schickt.«
»Nicht nur einen Jäger. Ich reise zusammen mit Meister Friebert.«
Toge erstarrte und seine Augen weiteten sich vor Schreck.
»Heilige Urgewalten! Da hast du wirklich das große Los gezogen. Für mich wäre es der reinste Albtraum. Lieber lasse ich mich von einer Horde Untoter jagen, als nur einen Tag mit diesem fürchterlichen Griesgram zu verbringen. Aber du wirst schon mit ihm fertig.«
Freundschaftlich klopfte er Luves auf die Schulter, während sie nebeneinander hergingen.
»Wohin werdet ihr reisen?«
»Zu den Sommerfeldern. Wir müssen schnell aufbrechen, bevor sich seine Spur verliert.«
»Du schaffst das schon. Ein Faun ist ja kein allzu gefährlicher Gegner. Ich wünschte, ich wäre schon so weit und könnte hinausziehen in die Welt.«
Sehnsüchtig seufzte Toge und blickte an den Fuhrwerken vorbei hinaus auf die Landschaft. Luves konnte ihm ansehen, dass er alles dafür gegeben hätte, um mit ihm zu tauschen.
Kapitel 6
Es war ein seltsames Gefühl, sich dem Gelände der Gilde der Jäger zu nähern. Toge ging neben ihm her und plapperte munter vor sich hin. Luves hörte nur halbherzig zu und nickte gelegentlich. Stattdessen blickte er auf die grauen Mauern, die die Gebäude und Anlagen von der Außenwelt abschirmten. Dahinter lag sein Heim und er fragte sich, ob er es vermissen würde. Der Wachposten öffnete ihnen das massive Holztor. Sie betraten den Innenhof, der erfüllt war von den Rufen der Schüler und Anwärter, die sich noch immer im Schwertkampf übten. Das helle Klirren der aufeinander treffenden Klingen stach ihm in die Ohren. Sie bewegten sich am Außenrand des Platzes entlang, um nicht zwischen die Kämpfenden zu geraten. Vielleicht würde es heute einem Schüler gelingen, einen Anwärter zu besiegen und so eine der Prüfungen zu absolvieren. Luves lächelte, als er daran dachte, wie er seinerzeit diese Aufgabe bewältigt hatte. Sein damaliger Gegner hatte nur für die Dauer eines Wimpernschlages seine Deckung vernachlässigt. Er dachte, Luves wäre erschöpft und würde sich jeden Moment ergeben. Doch Luves hatte ihn überlistet. Er hatte dafür gesorgt, dass der Kampf lange genug andauerte und so getan, als ob er die Waffe kaum noch halten konnte. Dann hatte er die Lücke in der Deckung erkannt und dem Anwärter das Schwert aus der Hand geschlagen.
So ähnlich war es bei allen seinen Prüfungen abgelaufen. Mit Geduld, Fleiß und Schläue hatte er sich mühsam vorangearbeitet. Nun erhielt er die Belohnung für die jahrelange Plackerei. Abenteuer und Ehre. Das war es, was nun auf ihn wartete. Der Großteil seiner Vorbereitungen war getroffen und er verabschiedete