Nurfürdich. Anne Meller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Meller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738044553
Скачать книгу
sein", hörte ich ihn noch sagen, bevor er durch die Haustür verschwand.

      Lächelnd nahm ich seine aufrichtige Freude über die guten Neuigkeiten zur Kenntnis. Ich wusste, dass er Anne sehr gern hatte, obwohl ihn auch mit Alexander, Anne's Exmann, eine innige Freundschaft verband.

      Wir hatten beide bedauert, dass die Ehe von Anne und Alexander nicht mehr zu kitten gewesen war, und der anschließende erbitterte Scheidungskrieg hatte auch uns ganz schön zugesetzt. Nun traf sich Alexander in der Regel mit meinem Mann, während ich natürlich meiner besten Freundin beistand. Es war schon eine komische Situation, wenn man bedenkt, wie viele gemeinsame Pärchen-Abende und Urlaube uns vier verbanden.

      Gerade als ich den Auflauf in den Ofen schob, sah ich Sam auf seinem Fahrrad um die Ecke biegen. Fröhlich verabschiedete er sich von Felix, dem Nachbarsjungen, der zwar nicht in Sams Klasse ging, aber den gleichen Schulweg hatte.

      "Hi Sam, wie war die Schule?", fragte ich, nachdem ich ihm die Tür geöffnet und ihm seinen Schulranzen abgenommen hatte. Er grinste mich breit an uns strahlte aus den gleichen dunkelbraunen Augen seines Vaters, um mit stolzgeschwellter Brust zu sagen: "Wir haben die Mathe-Arbeit zurückbekommen und rate mal, was ich habe?"

      "Hm, eine 3?", riet ich vorsichtig.

      "Mama", tadelte er mich, "doch keine 3. Ich habe eine 2 geschrieben!"

      Er hüpfte auf und ab wie ein Flummi und freute sich unbändig, dass er uns endlich mal eine solche Note in dem von ihm so verhassten Fach Mathe präsentieren konnte.

      Stolz schloss ich ihn in die Arme, wuschelte durch seine kurzen blonden Haare und versicherte ihm, wie stolz auch sein Vater auf ihn sein würde.

      Liebevoll betrachtete ich meinen Sohn, während er seine Jacke auszog und sie auf den Korbstuhl schmiss, der neben der Garderobe stand. Er war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Er hatte die gleichen blonden, leicht gewellten Haare und seine Augen hatten ein genauso tiefes Braun wie die von Andy. Auch war Sam für sein Alter schon ziemlich groß und da Andy mit 1,94m auch nicht der kleinste Mann war, vermutete ich, dass Sam auch hier mit ihm gleichziehen würde. Na ja, dann würde ich später mit meinen 1,69m wohl zu meinen beiden Männern aufblicken müssen, dachte ich amüsiert.

      "Was gibt es denn zu essen?", fragte Sam und schaute neugierig um die Ecke in die Küche, "ich habe Bärenhunger!"

      "Es dauert noch ein paar Minuten, leider war ich heute Morgen etwas zu beschäftigt und ich habe ein bisschen die Zeit vergessen. Vielleicht fängst Du schon mit Deinen Schularbeiten an und ich rufe Dich, sobald das Essen fertig ist?," schlug ich ihm vor.

      Nachdem Sam sich nach oben in sein Zimmer verzogen hatte, räumte ich die Küche auf, deckte den Tisch und schaute in den Ofen, um nachzusehen, wie weit der Auflauf war.

      Als ich am Abend mit einem Glas Wein auf der Terrasse saß, ging ich nochmal die Steuererklärung durch. Leider hatte ich nach dem doch etwas hektischen Nachmittag mit Arztbesuch, Fahrt zum Fußballtraining und diversen noch zu erledigenden Einkäufen, völlig vergessen, die Steuererklärung abzugeben. Einige Kleinigkeiten waren mir nun noch aufgefallen, die es zu korrigieren galt und ich ging rüber ins Büro, um mir die notwendigen Schreibutensilien zu holen.

      Aus Sam's Zimmer klangen die Stimmen einer Hörspiel-CD herunter, die Sam sich abends immer anmachte, wenn er ins Bett ging. Vermutlich war er längst eingeschlafen.

      Im Büro fiel mein Blick auf den Computer. Zögernd ging ich näher, als mir meine morgendliche Aktion wieder in den Kopf kam. Ob Tom bereits auf meine Mail reagiert hatte?

      Selbstverständlich konnte er gar nicht wissen, wer ihm geschrieben hatte. Extra für diese Mail hatte ich mir nämlich ein neues Facebook-Profil mit dem Namen "Nurfürdich" angelegt. "Nurfürdich" war mit niemandem befreundet, hatte keinerlei Aktivitäten, außer der einen: Eine Mail an "Tom Riedel" zu schreiben, die ich heute Vormittag im Eifer des Gefechts tatsächlich versendet hatte.

      Ich schaltete den Rechner ein und wartete, bis das fröhliche Gesicht meines Kindes auf dem Bildschirm erschien. Nachdem ich die Facebook-Startseite geöffnet hatte, tippte ich "Nurfürdich" und mein dazugehöriges Passwort ein. Unruhig wartete ich den Anmeldevorgang ab und erstarrte Augenblicke später, als Facebook mir rot leuchtend eine ungelesene Nachricht anzeigte.

      Aufgeregt rutschte ich auf dem Bürostuhl hin und her. Natürlich war die Nachricht von ihm ... von niemand anderem konnte sie sein. Ich klickte neugierig auf das Briefkasten-Symbol.

      Tatsächlich, Tom hatte geantwortet, bereits eine Stunde nachdem ich meine Nachricht an ihn heute Vormittag mehr oder weniger aus Versehen versendet hatte.

      Seine Nachricht enthielt nur drei kurze Worte:

       Wer bist Du?

      2

      Tom und ich lernten uns im Frühjahr vor 12 Jahren kennen.

      Ich arbeitete damals schon in dem gleichen Autohaus, in dem ich auch heute noch - allerdings nur noch auf Teilzeitbasis - tätig bin. Ich habe immer gern dort gearbeitet, allerdings gab es zu dieser Zeit ein paar Umstände, die mir das Arbeiten nicht so angenehm machten.

      Mein damaliger Vorgesetzter, Herr Konrad, gerade 50 geworden und mächtig in den Midlife-Crisis, hatte nichts Besseres zu tun, als jedem verfügbaren Rock hinterherzusteigen. Leider gehörte auch meiner dazu, was die Zusammenarbeit mit ihm nicht wirklich leicht machte.

      Da ich seit geraumer Zeit Single war und ich damals befürchtete, dass dieses Dasein sich auch auf absehbare Zeit leider nicht ändern würde, sah er das sozusagen als Freibrief dafür an, mich ständig mit Einladungen zum Abendessen, anzüglichen Witzen und ähnlichem auf den Nerv zu fallen.

      Ich erwog ernsthaft, mich in der obersten Chef-Etage über ihn zu beschweren, war mir aber bewusst, dass seine Arbeit gut war und die Inhaber sicher kein Interesse daran hatten, einen ihrer fähigsten Männer zu verlieren. Wohl oder übel biss ich also in den sauren Apfel und erledigte meine Arbeit weiterhin gewissenhaft und versuchte Herrn Konrad so gut es eben ging zu ignorieren, was natürlich nicht einfach war, wenn man in seinem Vorzimmer saß.

      Als ich schon nicht mehr damit rechnete, ihn jemals loszuwerden, wendete sich das Blatt.

      An einem Montagmorgen kam ich ins Büro, um erstaunt festzustellen, dass Herr Konrad nicht wie gewohnt schon hinter seinem Schreibtisch saß. Ich ging in sein Büro, um nachzusehen, ob im Ausgangskorb Notizen für mich lagen, musste aber feststellen, dass der komplette Schreibtisch leergeräumt war. Sogar die Bilder seiner Frau und seiner Kinder, die immer einen Großteil seines Schreibtisches eingenommen hatten, fehlten und auch weitere persönliche Gegenstände waren verschwunden. Verwirrt drehte ich mich gerade in dem Moment wieder zur Tür um, als Herr Konrad plötzlich im Türrahmen erschien.

      "Schau mich nicht so an, Du dumme Kuh", fauchte er mich direkt erbost an und in seinen Augen funkelte es streitlustig.

      Ich zuckte zusammen und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

      Er ging an mir vorbei zu dem großen Regal am anderen Ende des Raumes, vor dem noch eine kleine Umzugskiste stand, die mir vorher noch gar nicht aufgefallen war. Wutschnaubend riss er sie hoch und kam auf mich zu.

      Er baute sich dicht vor mir auf und funkelte mich wütend an: "Da habt Ihr Schlampen es also tatsächlich geschafft, mich feuern zu lassen. Ich muss schon sagen, ich bin beeindruckt! Aber glaub mir eins, ich bin noch nicht fertig mit Euch!" Er warf mir einen eiskalten Blick aus seinen ohnehin schon kühlen grauen Augen zu. Auch wenn ich wusste, dass diese Worte vermutlich nur leere Drohungen sein würden, zog ich unwillkürlich den Kopf ein.

      "Und eins lass Dir gesagt sein: Eine wie Du kriegt eh keinen mehr ab, so prüde wie Du bist. Schau Dich nur an ... diese verstaubten Klamotten, als kämen die direkt aus dem Schrank Deiner Oma." Verächtlich schnaubte er und deutete mit dem Kopf auf meine hochgeschlossene cremefarbene Bluse und die weite schwarze Hose, die, wie ich zugeben musste, wirklich etwas unvorteilhaft war. "Du hättest Dich lieber ein bisschen mit mir vergnügen sollen, um wenigstens mal zu wissen,