Ihm fiel auf, dass seine Schmerzen spürbar nachgelassen hatten, seine Beine liefen beinahe so frisch wie in früheren Tagen. Muss wohl am der sonderbaren Umgebung liegen, dachte sich Meldon, dass diese Baumbehausungen aber auch heilende Wirkungen hatten war in keinem seiner gelesenen Bücher oder irgendwelchen Erzählungen benannt. Er hatte nicht bemerkt, dass er inzwischen durch tiefes Gras schlich. Er befand sich auf einer Wiese, die ringsum von farbigen Wäldern umgeben war. Sofort eroberten die verschiedensten Blütendüfte Meldon‘s Nase, die selbst er nicht vollständig auseinander halten konnte.
Der Morgendunst des Spätsommers hob sich von der Wiese ab, vereinzelt nur überragt von Baumwipfeln, die wie in die Luft gestreckte Speerspitzen wirkten. Inmitten der Wiese stand allein der imposante alte Baum und Meldon musste feststellen, dass er tot war. Kein Blatt hing mehr an ihm, wogegen die äußeren Bäume damit äußerst reich gesegnet waren. Seine kahlen Äste wippten im leichten Wind wie dutzende knöcherne Arme durch die Luft, einsam, aber doch im natürlichen Zusammenspiel mit den Anderen.
Meldon ließ sich fallen, aufgefangen von weichem Gras, das ihn vor dem harten Boden bewahrte, beobachtete er den blauen Himmel, der nur leicht von Wolken durchzogen war. Scharen von Vögeln flogen durch die blau- weiß getränkte Sicht und ihr zwitschernder Gesang erfüllte ihn mit Wohlbehagen. Meldon vernahm, dass sich ein Vogel sogar in seiner Nähe im Gras versteckt hielt. Die Geräusche schienen seine Nähe zu suchen, denn kurze Zeit vorher war der Vogel undeutlicher von denen in der Luft zu trennen, bis er sich nun vertraulich wirkend genähert hatte. Meldon, vom Schein des Himmels geblendet, blickte zur Seite um das tollkühne Gefieder zu begrüßen, doch er wurde zutiefst überrascht. Sein Körper zuckte zusammen wie von hundert Blitzen getroffen, die Angst zog sämtliche Kraft aus seinen Muskeln und ließ sein Blut gefrieren.
Direkt neben ihm stand ein Mann. Weder Flügel noch Federn zierten seinen Körper, doch Meldon war sich sicher, dass er mit den Vögeln im Einklang war. Seine grauen, wachsamen Augen starrten direkt in die von Meldon. Er hatte schwarze Locken und war sicherlich seit längerem nicht enthaart. Er trug Kleidung, die Meldon nicht aus Krokas oder den Dörfern, die er besuchte, kannte. Durch die dunklen Farben konnte er sich fast unsichtbar in den umliegenden Wäldern bewegen, doch er schien nicht bewaffnet zu sein. Kein Bogen, kein Schwert, nur einen kleinen Dolch entdeckte Meldon, der bei genauerem Hinsehen mit uralten Runen verziert war.
“Manala erzählte mir von dem Verrat, der an dir begangen wurde”, sagte er nach Sekunden, die Meldon wie Stunden vorkamen.
“Wer seid ihr?”
“Man nennt mich Gared, ich lebe seit Dutzenden von Jahren in diesem Baum, doch diese Zeit neigt sich dem Ende zu”, sagte er bedauerlich.
Meldon raubte der Gedanke, dass mitten im Wald jemand so lange lebte, die Worte. Seine Gedanken fragten ihn, ob dieser Mann ihm bei seiner Rache helfen würde, oder könnte. Der nächste Gedanke fiel darauf, dass er wohl nicht ohne Grund so tief allein im Wald lebte.
“Der schwarze Mann trägt zu viel Schatten im Herzen, Meldon. Seine Gedanken sind trübe und verräterisch. Mir scheint, er trachtet mehr nach Macht als du es dir vorstellen kannst und wie er selbst es ertragen kann. Doch dazu gehört ein Heer, was nur hinter dem König steht. Sein Vorhaben sich zum rechtmäßigen Erben zu morden ist bislang fehlgeschlagen, wären da nicht eine Handvoll Söldner, die sich ihm verschworen haben. Sie folgen dir und werden morgen Abend hier sein.”
“Ha, meine Rache trägt so schnell schon erste Früchte!”, zischte Meldon.
“Übernimm dich nicht, die Früchte von denen du sprichst sind noch im Keim versteckt. Ich werde bei deinem Weg hinter dir stehen. Mit ihnen kannst du es noch nicht aufnehmen, zu frisch sind die Verletzungen. Meine Freunde aus dem Wald werden dich empfangen und für deine Sicherheit sorgen. Auch sie, genauso wie ich, hegen kein Interesse daran, dass sich die Großen Kriege wiederholen und das Land mit Schrecken überzogen wird. Du wirst Morgen in der Dämmerung aufbrechen.”
“Wohin denn? Mir war nicht bekannt, dass in diesem Wald Menschen leben”, überlegte Meldon.
“Doch, doch. Nur niemand weiß über deren Existenz, sie pflegen auch keine Kontakte zu anderen Völkern. Darüber musst du dir keine Sorgen machen Meldon, es sind gute Menschen, obwohl sie anders leben als du es kennst. Aber du wirst es ja sehen...”
Gared ging in Richtung des Baumes, er durchquerte das hohe Gras, ohne es in Bewegung zu bringen. Sein Gang glich dem eines jagenden Tieres. Wieder kam er Meldon nicht wie ein Mensch vor.
“Komm schon, oder hast du nicht genug geschlafen?”, rief er.
Meldon stand auf und folgte dem Mann. Er nahm sich vor ihn zu fragen warum er so lebte und was die Gleichheit zu den Tieren zu bedeuten hatte. Er fühlte sich um einiges sicherer mit der angebotenen Hilfe. Nach wie vor brannte er auf Rache.
“Wir haben nicht viel Zeit Meldon!”, rief Gared.
Er folgte seinem neuen Freund über die Leiter in das obere Stockwerk des Baumhauses. Der Raum schien heller als der Untere zu sein, doch die gleiche Anzahl von den naturentstandenen Fenstern widerlegte dies. Direkt vor ihm stand ein Regal, welches überfüllt mit Büchern und alten Schriftstücken bis zur Decke ragte. An seinen beiden Seiten an den Wänden bot sich dasselbe Bild. Meldon umging das Regal und sah Gared hinter einem Schreibtisch sitzen, auch dieser wirkte überfüllt mit alten Schriften und Rollen. Dennoch war es eine geordnete Unordnung und Gared störte es wohl nicht, jedenfalls ließ er es sich nicht anmerken.
“Setz dich”, sagte er höflich.
Vor Meldon‘s Füßen entstand ein weiterer Sitz aus dem holzigen Boden, der denen in der unteren Etage glich. Er nahm Platz und spürte diesmal mehr als vorher die Energie und Macht, die durch das Holz floss. Er hoffte seine Verletzungen würden nun wieder schneller heilen, wie sie es vorher schon getan hatten.
“Lass uns über Ammon reden und über das, was er vorhaben könnte”, sagte Gared, der Meldon scharf ins Visier nahm.
“Ich weiß nicht was er vorhat, das weiß wohl nur er allein. Mit niemanden redete er, außer seinen engsten Vertrauten. Selbst mein Vater sagte mir bevor wir zur Jagd ritten, dass er spürt die Zeiten würden sich ändern und Ammon macht ihn sehr misstrauisch.”
“Die Zeiten haben soeben begonnen sich zu ändern. Ich hörte, dass Ammon des Nachts durch die Gegenden wandelt und geheime Pläne schmiedet. Ein Teil seines Plans ist bereits eingetreten. Aber dennoch