Brian Micklisch
Das Medaillon
Band 1
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Inhaltsverzeichnis
6. Die Dinge nehmen ihren Lauf
Prolog
Langsam und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den Anderen. In den Händen zuckte sein Schwert in jede Richtung, wo ein Geräusch oder Knacken entstand. Laute von anderen Lebewesen vernahm er keine, obwohl er sich durch einen sonst sehr belebten Wald bewegte. Es war Nacht. Er stellte sich an einen Baum, um die nähere Umgebung zu beobachten. Durch seine sehr weit zugekniffenen Augen erkannte er nichts außer annähernd schwarz gefärbte Stämme, die ihm die weitere Sicht verdeckten. Einzig durch ein paar schwach schimmernde Sterne am Nachthimmel musste er sich nicht durch die komplette Dunkelheit tasten.
Er verließ sein vorübergehendes Versteck und setzte sich wieder in Bewegung. Für seine Feinde war er schwer auszumachen, denn er schritt zum einen sehr langsam, und gab so, wenn dann kaum hörbare Geräusche von sich, zum anderen war er komplett in schwarz gekleidet. Er trug hohe, feste Stiefel, die seine Hose mit einschnürte. Unter seinen langen Rock schimmerte an wenigen Stellen ein schützendes Kettenhemd hervor, welches von seiner Haut durch eine dicke Lederweste getrennt wurde. Darüber lag ein langer, ebenfalls schwarzer Mantel über seinen breiten Schultern. Als Kopfbedeckung wirkte ein einzigartig gefertigter, schwarz-gefärbter Stahlhelm mit drei kurzen spitzen Zacken, die seine imposante Gestalt vervollständigten. Mit seinen Händen führte er ein kräftiges Langschwert mit sorgfältig gefertigtem Ledergriff, der speziell für seine Hand geformt und schon viele Leben von Monster beendete. Mit diesem stärkenden Gefühl schritt er weiter durch den dunklen, angsteinflößenden Wald, bis er in einiger Entfernung eine kleine Lichtung entdeckte.
Langsam näherte er sich und schien noch wachsamer zu sein. Doch alles blieb still. So bewegte er sich vorsichtig auf die Lichtung um der nächtlichen Jagd ein Ende zu bereiten. Er ging bis in die Mitte der kahlen Stelle, richtete sich in voller Größe auf und streckte sein Schwert in den Nachthimmel. Silber blitzte es gut sichtbar für seine Beobachter in den Verstecken auf.
"Zeigt euch ihr Gesindel!", sagte er ruhig und selbstbewusst und es war weithin zu Gehör gekommen.
Die nächtliche Stille war vorüber, von allen Seiten schossen wilde Bestien aus dem Dickicht, bewegten sich aber nicht näher auf der Lichtung. Es waren kleine, dreckige Kobolde auf ihren Reittieren, den Sknavs, die eher wildgewordenen Wölfen glichen, die am Rand der Lichtung lauerten. Wild zischend und gehässig grunzend begrüßten sie ihren Jäger, der immer noch in der Mitte verharrte.
“Nun seid nicht allzu hochtrabend, ihr seid bereits besiegt. Seht es ein!”, sagte er in Richtung eines Kobolds, der sich in der Größe deutlich von den Anderen unterschied. Der Mensch wusste, dass er der Anführer war.
“Mein Volk wird euch alle vernichten. Doch nur ihr könnt diese Gewissheit abwenden”, fügte er hinzu in der Hoffnung, dass diese Kreaturen noch ein Stückchen Hirn besitzen. “Gebt mir eure Seelen”, bei diesen Worten kramte er gezielt in einer seiner Taschen und holte ein uraltes, Macht ausströmendes Medaillon heraus. Er öffnete es, hielt es für alle sichtbar in die Höhe und drängte weiterhin auf Antwort.
“Hier hinein!”
Die Kobolde und auch die Orks, die inzwischen dazugekommen waren, konnten ihre drohende Vernichtung nicht mehr abwenden, das war ihnen bewusst, was ihre eher zurückhaltende Art begründete. Sie würden eigentlich niemanden am Leben lassen, doch schließlich gaben sie ihre Seelen preis.
“Nehmt unsere Seelen von dieser Welt”, grunzte der Anführer. Der Mensch schloss die Augen, murmelte ein paar Worte in einer uralten, vergessenen Sprache, selber ungewiss ob dem was kommen mag. Er schloss das Medaillon und öffnete wieder die Augen. Auf der Lichtung stand er nun allein. Weit und breit nichts zu sehen oder zu hören von den Bestien, die ihn eben noch umzingelten.
Sein Schwert fand den Weg zurück in die Scheide und er verließ die Lichtung. Das Medaillon knotete er an eine Kette, die er von nun an um seinen Hals trug.
1. Erkal
Unaufhaltsam lief das Wasser auf die Felsen zu. Begrub den fast getrockneten, lehmigen Boden nach dem Zyklus der Ebbe wieder unter sich und drang zu der Küste Erkals vor. Auf einem dieser Felsen saß Merna, die ihre nackten Füße ins ansteigende Wasser hielt und in der Morgensonne badete, die sich langsam hinter dem Meer erhob. Sie war eine Frau unglaublicher Schönheit. Ihre schwarzen langen Haare wehte leicht im warmen Wind, der vom Meer kam. Ihm schien die Anwesenheit Mernas zu gefallen. Den Weg durch das dünne Stoffkleid bahnend umschlängelte er ihren Körper. Sie war diese Aufmerksamkeit gewohnt. Wo immer Merna war, wurde nur über sie geredet. Viele falschen Liebeleien wurden ihr von den anderen Weibern der Stadt angereimt, zum einen des Neides wegen und zum anderen um Merna endlich aus dem Kopf von Meldon zu treiben, der über diese Lästereien nur schmunzeln konnte. Sein Herz würde doch auch noch wenn möglich in zehntausend Jahren ihr gehören und das wusste Merna, was sie natürlich sehr freute.
Soweit sie sich erinnern konnte, verbrachte sie ihre Zeit an seiner Seite. Jede freie Sekunde genossen sie ihre Zweisamkeit. Als Kinder spielten sie stets zusammen, selbst das Laufen lernten beide gemeinsam. So entstand ein innerliches Band der tiefsten Verbundenheit und Zuneigung.
Im Nordosten hörte Merna laut die Hörner von Krokas schallen, die wie jeden Tag die Stadt mit Leben erweckte. Aber es war ein ganz besonderer Tag. Wie jedes Jahr am vierten Morgen, nachdem die Sonne am höchsten stand, wurde durch die Hörner der Tag der Jagd eingeläutet. In Krokas bereiteten sich jetzt schon viele darauf vor.
Auch Mernas Spannung stieg und ihre tiefen, leuchtenden Augen blickten suchend auf das Meer. Tief unten lag das Reich der Nixen und Meermenschen. Meldon besuchte oft alte Freunde und Bekannte, die diesen Weg des Lebens wählten, anstatt ihre Kräfte an Erkal oder anderen Ländereien zu verkaufen.