4. Kapitel
Winter 1588, Bedburg bei Köln
«Vielleicht hatte sie Glück, und er würde dort draußen erfrieren.»
Katharina verbiss sich die Schreie. Entspannen. Locker lassen. Gleich ist es vorbei. Peter lag schwer auf ihr, stieß sie hart und grunzte dabei wie ein Tier. Katharina spürte die Nässe zwischen ihren Schenkeln, aber es war keine Erregung, es war Blut. Ein dumpfer Schmerz wühlte in ihren Eingeweiden. Er hatte ihr die Kleider vom Leib gerissen, was sie normalerweise in Erregung versetzte. Doch diesmal hatte er sie fast mit den Bändern ihrer Haube erwürgt, und das Knirschen des Stoffes, als ihr Unterkleid an der Naht aufriss, hatte sie immer noch im Ohr. Sie würde es flicken müssen, dabei war vom Zwirn kaum mehr als eine Elle übrig. Und seine Augen. Ungezügelte Lust, ja, aber vermischt mit etwas Tierischem. Ausdruckslos, teilnahmslos. Die Augen eines Stiers, der eine Kuh begattete. Hatte er getrunken? Sie kannte ihn betrunken. Er wurde weinerlich, wenn er trank, und bejammerte Gottes Ungerechtigkeit und das eigene erbärmliche Leben. Also, was war los mit ihm? Er drehte den Kopf und biss sie in die Brust, erwischte die empfindliche Warze und grub seine Zähne in ihr empfindliches Fleisch. Jetzt schrie sie doch, und sofort steigerte er seinen gnadenlosen Rhythmus. Sie versuchte, ihn von sich zu drängen, doch sein schwerer, schwitzender Körper hielt sie gnadenlos unten.
Neben sich im Stroh hörte sie Sybille rascheln. Sie sah zur Seite und erkannte das blasse, eingeschüchterte Gesicht der Kleinen, die zu ihr hinüberstarrte .Katharina hatte keine Kraft für ein tröstendes Lächeln. Endlich, endlich kam er und verströmte sich mit einem heiseren Schrei in ihr. Er richtete sich über ihr auf. Spuckefäden hingen ihm von den Lippen. Er keuchte schwer. Seine Augen trugen ein beängstigendes Funkeln. Dann, nackt wie er war, sprang er vom Lager, riss die Tür auf und rannte hinaus in den Wald.
Vielleicht hatte sie Glück, und er würde dort draußen erfrieren.
5. Kapitel
Herbst 2012, Frankfurt am Main
«Ich brauche einen Mann!»
„Ich brauche einen Mann!“ Erhitzt strich ich mir Haare aus der Stirn. Alexa, unter deren Tür ich stand, musterte mich amüsiert.
„Dafür gibt’s das Internet, Schätzchen.“
„Dauert zu lange. Kannst du mir deinen ausleihen? Ich muss einen Schrank aufbauen.“ Natürlich war das alles geplant. Eine Frau mit einer halben Million in Aktien und Sparbriefen musste sich nicht einen Transporter mieten, um ein sperriges Paket vom nächsten Möbelhaus in ihre Studentenbude zu schaffen. Immerhin hatte ich noch versucht, das schwere Paket in den Lift zu schleppen. Jetzt blockierte es die Haustür, und ich brauchte dringend Samuels Hilfe. Er war da; ich hatte sein Fahrrad unten stehen sehen.
Jetzt kam er an die Tür und sah über Alexas Schulter.
„Probleme?“
„Nein. Nur einen unglaublich sperrigen, schweren Schrank... und... hast du einen Akkuschrauber?“
„Ja, aber ich weiß nicht, ob der aufgeladen ist.“ Alexa tauchte unter Samuel weg und verschwand in ihrer Wohnung. Wir sahen uns an.
„Wo steckt das Biest denn?“ Er strich sich die Ärmel hoch und entblößte kräftige, gebräunte Unterarme.
„In der Haustür.“ Er grinste.
„Na, dann mal los, bevor Frau Meier mit ihrem dicken Dackel da durch will.“
Zu zweit gelang es uns tatsächlich, das schwere Paket bis ins Dachgeschoss zu hieven, denn in den Lift passte es natürlich nicht rein. Schließlich hatten wir es im Wohnzimmer. Ich keuchte und rieb mir die Arme, um nicht aufzufallen, und hoffte, Sam würde nicht bemerken, dass ich gar nicht schwitzte.
„Möchtest du etwas zu trinken?“, fragte ich ihn.
„Gerne. Ein Wasser, wenn du hast.“ Während ich ihm in meiner kleinen Küche ein Glas eingoss, schnitt er die Verpackung meines neuen Möbels auf und begann, Bretter zu sortieren. Inzwischen kam auch Alexa mit dem Akkuschrauber rüber. Wir machten uns an die Arbeit. Während Alexa frei Schnauze begann, Bretter aneinanderzulegen, las Samuel sich die Aufbauanleitung durch und dirigierte Alexas Bemühungen. Ich beobachtete aufmerksam, wie die beiden sich kabbelten. Ihr Umgang miteinander war sehr vertraut, sie mussten schon lange ein Paar sein. Nach einer Weile klingelte mein Handy. Es war jemand von der Uni. Etwas in meinen Anmeldeunterlagen stimmte nicht. Ich schluckte einen Anflug von Panik hinunter. Seit die Zeiten so modern waren, dass ich für jedes neue Leben einen Haufen neuer gefälschter Papiere brauchte, war ich schrecklich nervös, wenn die Bürokratie etwas von mir wollte.
Ich ging auf den Balkon, um in Ruhe zu telefonieren. Es stellte sich heraus, dass ein Teil meiner Unterlagen, den ich per Mail geschickt hatte, irgendwie nicht angekommen war und nun fehlte. Ich wurde gebeten, mein Abiturzeugnis nachzureichen. Puh. Ich war erleichtert. Mein Abiturzeugnis war sogar echt: Ich hatte das Abi im vergangenen Sommer auf einer Abendschule gemacht. Zum dritten oder vierten Mal in diesem Leben. Keine echte Herausforderung mehr. Ich versprach der Dame von der Studentenkanzlei, mich darum zu kümmern, und legte auf. Im Wohnzimmer war die Arbeit zum Erliegen gekommen, weil die dritte Frau zum Festhalten fehlte. Stattdessen beugten Sam und Alexa sich gemeinsam über einen Pappkarton.
„He! Das ist aber indiskret, was ihr da macht.“ Sam sah zu mir hinauf, Fotos in den Händen. Fotos meiner früheren Leben. Hätte ich es doch lieber übers Herz gebracht, sie zu vernichten.
„Wow. Wer ist das?“ Er hielt mir ein Foto entgegen, das mich bei einem Shooting zeigte. Bienenkorbfrisur, damals noch in Dunkelbraun, Minirock, hohe Stiefel. Eindeutig 60er Jahre.
„Das ist eine Schwester meiner Mutter. Meine Tante Annette. Sie war Fotomodell.“
„Nicht schlecht.“ Er pfiff anerkennend durch die Zähne. „Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Sicher, dass das deine Tante ist, nicht deine Mutter?“ Ich grinste humorlos. „Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Deshalb, ja, ganz sicher.“
„Da sind noch mehr von ihr.“ Alexa kramte in der Kiste. Fotos von mir im Badeanzug, auf einem Bootssteg mit einem hübschen Dunkelhaarigen, im Etuikleid vor dem Casino in Monaco. Ja, ich wusste schon, wie man lebte. Wenn ich hier mit meinem Studentenleben fertig war, würde ich wieder eine glanzvollere Identität wählen. Mein Leben war einfach zu lang, um es ohne gute Hotels zu verbringen.
„Diese Ähnlichkeit“, staunte Alexa. „Kaum zu glauben, dass das nicht du bist!“
„Das Foto ist vierzig Jahre alt! Da müsste ich mich aber gut gehalten haben.“
„Wo lebt denn deine Tante Annette heute?“, wollte Sam wissen.
„In Amerika“, sagte ich schnell. „In einem Vorort von L.A. Sie ging in den Achtzigerjahren nach drüben, wegen ihrer Karriere. Heute ist sie Seniormodel für verschiedene Designer.“
„Cool. Ich würde gerne mal sehen, wie sie heute aussieht. Können wir sie mal googeln?“
„Sie arbeitet unter einem Pseudonym. Ich weiß nicht, unter welchen.“
„Lass uns einfach mal ihren bürgerlichen Namen eingeben.“
„Ich dachte, du bist hier, um mir zu helfen?!“, fauchte ich.
„Das bin ich“, sagte er und sah mich lange an. „Wenn du meine Hilfe brauchst. Okay, vergiss die Tante.“
„Genau. Lieber neue Schränke als alte Schachteln“, sagte Alexa fröhlich und ließ den Akkuschrauber schnurren. „Können wir dann?“
Als mein Schrank stand und meine Helfer sich nach einer letzten Tasse Kaffee verabschiedet hatten, packte ich den Karton und ging damit auf den Balkon. Mein Vormieter hatte seinen