Shoel nimmt im Wagen auf der Rückbank Platz. So kann er die beiden Damen gut beobachten. Mutter und Tochter sind sich sehr ähnlich. Es sind nicht nur die krausen Haare, der kantige Kopf, es ist auch die Art zu reden. Ein herrischer Ton, ruckartige Handbewegungen, die Damen lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie den Clan fest im Griff haben. Sie sind soeben damit beschäftigt, die Arbeit, die eigentlich von Janine erledigt wird, auf die restliche Familie zu verteilen. Vor allem scheint es um die Arbeit mit den Wildpferden zu gehen.
Sie müssen täglich im Training sein und benötigen auch viel Zuwendung. Da ist ein Tag schnell herum. Das Futter besorgen und verteilen, alleine eine Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist. Shoel stellt sich bildlich Janine bei der Arbeit vor. Wie kann diese zierliche Frau das alleine bewältigen.
Inzwischen sind wir vor dem Krankenhaus angekommen und es geht nur noch darum einen geeigneten Parkplatz zu finden. Es stehen zwar über fünfzig Parkplätze
zur Verfügung, aber die Chefin meint, dass sie schon einen ganz besonderen Platz für Janine braucht. So stellen wir dann in der dritten Reihe das Fahrzeug ab, also wenige Meter vom Haupteingang.
Shoel zwängt sich durch die schmalen Hintertüren des Fahrzeugs und steht nun direkt neben der Schwester Janines. Sie dreht ihren Kopf zu Shoel, dabei wirft sie ihm einen Blick zu, dass Shoel ganz seltsam wird. Ihre Augen sind umwerfend, ganz exakt, wie bei Janine, schwarz wie die Nacht. Sie sagt mit kurzen Worten: „Los gehen wir!“
Während die Mutter an die Rezeption geht und die Papiere ausfüllt, geht Shoel mit Janines Schwester zum Lift. Gesprochen wird nichts, anscheinend sind beide mit ihren Gedanken gerade an einem anderen Ort.
Die Zimmertüre zu Janines Krankenzimmer steht bereits offen. Eine braune Tasche steht auf dem Krankenbett und ein Rollstuhl wird gerade herbei gerollt. „Wo ist Janine, wo bist Du“, fragt Shoel.
„Hier bin ich, bin gleich fertig!“, kommt es aus dem Badezimmer.
Shoel ist erstaunt, als Janine vor ihm steht. Die Schürfwunden sind fast gänzlich abgeheilt.
An der rechten Hand hat sie nur noch einen leichten Verband, der linke Arm hingegen ist immer noch in einer Schiene ruhig gestellt. Das linke Bein ist nach wie vor in Gips. Aber wenigstens ist das Rechte bereits voll einsatzfähig.
Janine setzt sich in den Rollstuhl und macht auch gleich einen Witz, in dem sie nach den PS fragt. „Wo wird getankt und bekommt er Super?“
Ihre Schwester meint trocken, „Hier steht dein Antrieb, Shoel wird dich schieben.“
Dann aber betritt die Mutter den Raum. „Alles fertig? Dann gehen wir mal.“
Die Mutter schnappt sich die Reisetasche, Shoel greift zum Rollstuhl und die Schwester hält die Türe auf.
Das Prozedere des Einsteigens in den kleinen Wagen gestaltet sich fast Filmreif.
Nicht dass es Janine mit ihrem Gipsbein wäre, nein es ist die Schwester, der es nicht gelingen will sich auf die Rückbank zu platzieren.
Shoel nimmt den Platz hinter Janine. Die Mutter muss ihren Sitz fast bis zum Lenkrad schieben, damit Janines Schwester einsteigen kann. Anschließend rammt sie ihrer Mutter ihre Knie in den Rücken.
„Wir hätten halt doch Papas Auto nehmen sollen.“ Meint verärgert die Mutter.
Janine fragt auch gleich nach den Pferden und wer sich in den nächsten Wochen darum kümmern wird. „Überlass das uns! Du sollst nur bald gesund werden. Aber du kannst ja in der Töpferei arbeiten und die kaputten Haferl wieder herstellen, da das Geschäft auf die Ware wartet.“ Meint ihre Schwester etwas bissig.
„Klar, das mach ich doch, im Sitzen kann ich doch tatsächlich arbeiten.“
Shoel beobachtet die drei und enthält sich eines Kommentars. Eigentlich wollte er seine Arbeitskraft anbieten, aber dann kommt ihm die Idee, ob es wirklich klug ist, hier noch länger zu verweilen. Er wird die nächsten Stunden abwarten und dann endgültig eine Entscheidung fällen.
Am Tor steht schon der Vater und begrüßt seine Tochter. Shoel fällt auf, dass er dies besonders herzlich macht. Anscheinend ist es seine Lieblingstochter. Als der Wagen zum stehen kommt, reißt er den Wagenschlag auf und hebt seine Tochter aus dem Wagen. Ein bereitstehender Schaukelstuhl dient für sie als vorübergehende Ablage. Janine macht es sich bequem und meint: „Endlich wieder daheim!“
Shoel richtet den Rollstuhl und stellt ihn neben Janine. Ohne abzuwarten bittet Janine Shoel sie in den Rollstuhl zu setzen. „Und jetzt will ich dein Wohnmobil sehen, ich will doch wissen wie und wo du haust.“
Der Weg ist holprig und es geht nur langsam voran. Dann aber steht Janine mit Shoel vor dem Wohnmobil.
Shoel schiebt die breite Türe zur Seite und so bekommt Janine einen Eindruck von diesem besonderen Fahrzeug. Jetzt erkennt sie auch den Steg in die angrenzende Laube. „Ach, sieh mal einer an, du hast dich ja schon ziemlich häuslich eingerichtet.“
„Das war dein Bruder!“ verteidigt sich Shoel. „Deine Mutter hat sogar eine Kerze hinzugegeben.“
Janine möchte nun gerne den Wagen von innen sehen, so hebt Shoel sie aus dem Rollstuhl und hievt sie über die Stufe in das Gefährt. Janine bekommt den bequemen Sessel, der neben dem Fahrersitz ist. Er lässt sich schwenken und drehen. „Ziemlich gemütlich bei dir“, meint sie aufgeregt.
„Darf ich dir etwas anbieten? Kaffee, Tee oder einen Saft“, fragt Shoel.
„Lass mal, ich muss dann zur Familie. Ich wollte nur sehen wie mein Lebensretter wohnt?“
„Übertreibst du da nicht ein bisschen“, kontert Shoel. Beide sehen sich lange in die Augen. Shoel stellt fest, dass Janine schmalere Augen hat als ihre Schwester.
Sie wirkt dadurch noch feiner in ihren Gesichtszügen, nicht ganz so kantig wie ihre Schwester.
Aber dann sind sie auf dem Weg zum Familientisch. Der Clan ist damit beschäftigt die Arbeit festzulegen. Shoel hat sich etwas abseits gesetzt, da er ja nicht wirklich etwas damit zu tun hat. Dann aber wird er von Janine gefragt, ob er nicht bei den Pferden helfen könnte. Der Einwand, dass er keine Ahnung von Pferden hat wird gar nicht gehört. Er wird die Anweisung von Janine erhalten und müsste dann nur noch die Anweisungen in die Tat umsetzen. Shoel muss nun doch erkennen, er wird nun zukünftig im Familien Clan ein fester Bestandteil sein.
Janine überlegt nicht lange, greift nach dem Rollstuhl und lässt sich erklären, was als nächste Arbeit ansteht. Janine schafft wohl gerne an, muss Shoel feststellen. Sie erteilt Anweisungen und pfeift auch ihre Brüder in der Gegend herum. So wie das auch die Mutter und die Schwester tun. Das Heu muss verteilt werden, die Ställe müssen ausgemistet werden.
Shoel spürt nach drei Stunden des ununterbrochenen Arbeitens seinen Rücken. Er stellt die Mistgabel auf die Seite und überlegt, wie er sich aus dieser Verantwortung verabschieden kann. Inzwischen weiß er, dass er die Arbeit nicht länger wie eine Woche machen wird. Aber eines muss er akzeptieren, um die Familienstrukturen zu erkennen, gibt es keine bessere Gelegenheit.
Gegen Abend zieht er sich zurück in seine Behausung und macht es sich gemütlich. Geduscht und ein frisches Glas Wein richten sein Gemüt wieder auf. Im Dämmerlicht erkennt er eine Gestalt im Rollstuhl auf ihn zurollen.
Langsam schiebt sie sich an sein Gefährt heran.
„Kann ich behilflich sein“, fragt Shoel vorsichtig. Eigentlich ist er ein bisschen sauer, dass er ohne gefragt zu werden voll in die tägliche Arbeit einbezogen wird. Er hätte sich ja auch verabschieden können und seine Reise