„Bist du verärgert, dass wir dich ohne zu fragen voll in die Arbeit integriert haben“, fragt Janine vorsichtig.
„Ach lass mal, ich hab es mir ja selber eingebrockt.“
„Jetzt lass uns erstmal anstoßen, schließlich bin ich heute aus dem Krankenhaus entlassen worden.“ Janine versucht die Stimmung zu heben, indem sie Shoel zuckersüß anlächelt. „Prost, du wirst sehen, morgen geht es dir schon leichter von der Hand.“
Shoel ist sich da nicht so sicher, er ahnt, dass er einen mächtigen Muskelkater haben wird. Janine beginnt Shoel vorsichtig auszufragen. Natürlich weißt sie längst von ihrer Mutter, dass Shoel verlobt ist. Aber Janine wäre nicht Janine, wenn sie da nicht ihre Überredungskünste einsetzen würde. Sie bittet Shoel ihr den Nacken etwas zu massieren. Das ewige Stillsitzen tut ihr nicht gut, meint sie. Shoel geht zum Sessel und beginnt vorsichtig ihren Nacken zu streicheln. „Ich meinte massieren und nicht streicheln“, kommt es von Janine auffordernd.
Shoel meint gelassen: „Ich glaube ich bringe dich besser zurück zu deinem Clan. Ich will nicht, dass deine Eltern meinen, da wäre etwas zwischen uns.“
„Okay, wenn du meinst, dann bring mich zurück!“
Shoel sitzt noch lange in seinem Lehnstuhl und betrachtet den Sternenhimmel. Er überlegt, wie er es anstellen könnte. Vielleicht einfach einen Vorwand finden? Ein Telefonat? Einen Termin vorgeben und dann nichts wie weg? Nein, er ist Shoel und er wird sich wenn, dann höflich verabschieden. Er entscheidet, noch einige Tage zu bleiben, aber dann wird er die Weiterreise antreten.
Am nächsten Morgen begrüßt ihn sein Muskelkater. Kaum ein Körperteil, was nicht schmerzt. Aber er wird es sich nichts anmerken lassen. Pünktlich um acht steht er am Frühstückstisch. Schnappt sich ein Haferl Kaffee und trinkt es zügig aus. Sofort geht er in den Stall und beginnt mit dem herausführen der Pferde. Die meisten Pferde sind sowieso über Nacht im Freien. Dann schnappt er sich die Mistgabel um auszumisten.
Plötzlich steht Janine mit ihrem Rollstuhl im Stall. „Möchtest du nicht mal eine Pause machen?“
„Keine Zeit, bis Mittag muss ich fertig werden“, antwortet Shoel kurz.
„Heute ist Freitag und da sitzen wir immer gemütlich nach dem Abendessen zusammen, wirst du an meiner Seite sitzen“, fragt Janine.
„Wenn es dir gut tut, warum nicht“, antwortet Shoel kurz aber ohne ihr einen Blick zu schenken. Hoffentlich ist sie nicht traurig, wenn er so kurz angebunden ist.
Aber sie wird ihn schon verstehen bei dieser Arbeit. Inzwischen ist es Abend geworden, er steht unter der Dusche. Lange lässt er das frische kühle Wasser über seinen Körper fließen, ein Traum. Greift dann in seinen Wäscheschrank und sucht und findet ein frisches Hemd. Mal sehen, was der Familienclan unter „Geselligem Beisammensein“ versteht.
Als Shoel zum Treffpunkt kommt, hört er schon von weitem leise Gitarrenmusik, es singt dazu entweder der Vater oder sein Schwager. Als er auf die Gruppe zukommt, begrüßt ihn ein runder Tisch, gefüllt mit vielen Leckereien. Weinflaschen, Gläser und Wasserkaraffen.
Shoel wird von der Runde herzlich begrüßt und wird gebeten sich irgendwo hinzusetzen. Eine feste Sitzordnung gibt es anscheinend nicht. Shoel wählt den Platz neben dem Bruder, dem er schon bei der Autoreparatur geholfen hat. Es wird sich zugeprostet und dann wird ein Schinken samt einem langen Messer in die Runde gereicht. Shoel schneidet sich einen schmalen Streifen herunter. Es ist eine besonders gute Qualität. Shoel lässt sich das gute Stück auf der Zunge zergehen.
Dann aber steht plötzlich Janine mit ihrer Mutter am Tisch. Janine blickt kurz die Runde und meint dann zu ihrem Bruder, dass er sie doch bitte mit dem Rollstuhl neben Shoel schieben soll.
Janine greift nach Shoels Hand und drückt sie kräftig. Shoel erkennt erst jetzt, dass der Verband um ihre Hand entfernt wurde. „Es scheint dir besser zu gehen“, fragt er kurz.
„Jetzt kannst du mich etwas streicheln. Natürlich nur, wenn du Lust dazu hast.“
Shoel schiebt seinen hölzernen Klappstuhl etwas näher an Janines Rollstuhl und greift nach ihrer Hand, beginnt ihren Arm zu streicheln. „Lieber hätte ich es am Hals“, meint Janine auffordernd.
„Du schaffst wohl gerne an“, meint Shoel lächelnd.
Dann aber geschieht etwas Seltsames, Janine sagt nichts mehr und genießt es gestreichelt zu werden. Das Stimmengewirr vom Tisch stört sie nicht. Sie beachten es einfach nicht. Janine dreht ihren Kopf zu Shoel und spitzt ihre Lippen.
Eine Aufforderung, denkt Shoel und küsst sie. „Lass uns zu deinem Auto gehen!“ flüstert Janine Shoel zu.
Janine ergreift zwei Gläser und schnappt sich noch eine Flasche vom guten Roten.
Dann ziehen sie ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben, in die Richtung des Fahrzeuges von Shoel. Hier sind sie ungestört und Janine entschuldigt sich dafür, dass sie ihn so eingespannt hat.
Aber sie wollte einfach sehen, ob Shoel zupacken kann. Denn mit einem Weichei, kann sie nichts anfangen. „Hast du noch starken Muskelkater“, fragt sie mit weicher Stimme.
„Geht schon, aber ich muss zugeben, ich war schon nah dran, einfach abzufahren.“
„Das wusste ich doch, aber ich wollte sehen, wie du dich entscheidest.“
Inzwischen ist es halb zwölf und es wird kühl, so fragt Janine ob er nicht eine Jacke zum Überziehen hätte. Shoel holt ein großes Schultertuch und hängt es ihr um.
„Danke, morgen ist frei. Meinst du nicht, dass wir einen kleinen Ausflug machen sollten. Ich könnte dir die Schönheiten der Camarqué zeigen.“
„Ja klar, warum nicht. Ich muss nur noch den Sitz für dich einstellen. Möchtest du
heute Nacht hier bleiben. In der Laube ist eine bequeme Liege.“
„Wenn du mir hilfst, dann bleibe ich gerne. Du musst aber dann auch hier schlafen.“
Shoel bettet Janine und richtet sich ein Nachtlager gleich neben der Liege am Boden.
Am Sonntag stehen Shoel und Janine sehr früh auf und richten alles für einen Tagesausflug. Das Frühstück werden sie an einem weitläufigen Sandstrand einnehmen. Nur das Baguette hierfür müssen sie noch einkaufen.
Zuerst zeigt Janine Shoel die weitläufigen Gehege für die Wildpferde. Sie erklärt, die verschiedenen Rassen, die sich hier zusammen gefunden haben. Jedes Pferd eine Schönheit für sich. Wenn sie so wild durch das Gelände toben. Mit einander raufen und um die Wette laufen. Shoel ist begeistert. Gesehen hat er sie schon vor etlichen Jahren, nur wusste er nicht, dass sie auf eingezäuntem Gelände sind.
Sie sind gemeinsam den ganzen Tag unterwegs. Janine hat Shoel gezeigt, wie man ein Mittagessen improvisiert und Shoel hat sie sogar bis an den Strand getragen, so dass Janine sogar ihre Füße ein wenig ins Wasser halten konnte. Er nimmt Janine auf den Rücken und trägt sie so ein Stück am Strand entlang.
Gegen Abend kehren dann beide zum Clan zurück. Kein Wort wird gesprochen, auch wenn es Janines Mutter gerne wissen würde, wo sie den ganzen Tag verbracht haben. Janine lässt sich an den Tisch bringen und beginnt zu essen. Ihr Hunger scheint unendlich zu sein.
Inzwischen hat sie das dritte dicke Brot mit Schinken verschlungen. Shoel flüstert ihr ins Ohr: „Die Meeresluft hat dich wohl sehr hungrig gemacht?“
Janines Brüder beginnen sie aufzuziehen. Shoel kann aber nicht verstehen, was sie reden. Wenn sie unter sich sind sprechen sie ihren Zigeunerkauderwelsch. Ein Gemisch aus Französisch, Rumänisch und Österreichisch.
Shoel beobachtet, wie Janine von Minute zu Minute ärgerlicher wird. „Was ist hier los, wenn ihr sie aufziehen wollt, dann lasst es mich hören und wenn ihr Streit sucht, dann legt euch mit mir an“, ruft Shoel mit lauter Stimme in Richtung der beiden Brüder.
Die Runde hält