„Na geht doch“, meint Beatrix.
„Ach, wenn du schon mal da bist, kannst du mir helfen, ich muss unsere Stute untersuchen, sie hat etwas am Vorderlauf, vielleicht nur eine Kleinigkeit. Wenn du bitte mit mir kommst.“
Shoel fühlt sich inzwischen voll im Clan integriert. Jetzt wo er sogar schon mit den Pferden zu tun hat. Eigentlich das „Allerheiligste“ des Clans.
Shoel konnte helfen und gerade ist er damit beschäftigt sein kleines Schränkchen weiter zu bearbeiten, da läutet die Mittagsglocke. Der Gang zum Wassertrog ist bereits zur Gewohnheit geworden. Hier trifft er auch wieder auf Franco. „Lass dich mal ansehen“, meint dieser. „Ich würde deinen Rat brauchen, da gibt es ein Problem mit dem Radlager eines alten Peugeots, den wir heute hereinbekommen haben.“
Shoel lacht Franco an, „Jetzt kannst du mich wieder gebrauchen, aber vorher schlägst du mich zusammen.“
„Das war doch nur das übliche Kräftemessen, dass nimmst du mir doch nicht wirklich übel?“
„Nein, schon vergessen. Nach dem Essen werde ich mir dein Radlager ansehen.“
Beim Mittagessen wird dann gleich der nächste Sperrmülltag besprochen, diesmal müssen sie bis Perpignan fahren. Dort soll es immer eine gute Ausbeute geben, meint der Vater. Weiter ermahnt der Vater Franco, dass immer noch die Abrechnung für den verkauften Wagen ausstünde. „Ich erwarte, dass du mir bis heute Abend das Geld gibst mit einer Abrechnung. Oder hat es sich diesmal nicht gelohnt?“ Die Stimme des Vaters klingt verärgert, Franco entschuldigt sich, dass er es vergessen hat. „Das Geld ist in einem Kuvert, dass hab ich schon auf deinen Schreibtisch gelegt.“
Shoel muss erkennen, dass der Vater alles im Griff hat. Er muss ein Gedächtnis wie ein Buch haben. Außerdem duldet er keine Schlamperei, besonders wenn es ums Geld geht.
Franco hat es nicht gefallen, dass ihn sein Vater vor versammelter Mannschaft ermahnt hat. Er sitzt nun schweigend am Tisch und spielt den Beleidigten.
Dann wendet sich der Vater plötzlich an Shoel. „Hast du da nicht ein Bild vom Markt mitgebracht?“
„Ja ihr habt es doch alle gesehen. Du sagtest doch selbst, dass es keinen Wert habe und ich es zurück lassen soll.“
„Trotzdem will ich es nochmals sehen, vielleicht bringt es ja doch etwas auf dem Markt in Nizza. Du weißt ja, so eine große Familie will ernährt werden. Da brauch ich jede Einnahme.“
Shoel merkt, dass auch er nicht vor Maßregelungen verschont bleibt. „Es hängt in der Laube, kannst es dir holen.“
Darauf bekommt Shoel keine Antwort mehr. Eigentlich ist er hier Gast und wenn er ein wertloses Bild auf dem Sperrmüll mitnimmt, dann ist er der Meinung, dass es seines ist. Er wartet ab und überlegt, wie er vorgehen soll.
Dann meint der Vater plötzlich: „Ach behalt es, aber das nächste Mal musst du wissen, alles was wir einsammeln gehört der Familie.“
Janines Augen wechseln vom Vater zu Shoel und Beatrix sieht auf ihren Teller. Der Vater spürt, dass er einen Fehler gemacht hat. Prostet nun mit seinem Weinbecher aus lauter Verlegenheit in die Tischrunde. „Prost! Auf dass Perpignan ein gutes Geschäft wird.“ Mehr sagt er nicht und nun prosten alle in die Mitte des Tisches. Die Becher für den Wein sind aus der Werkstatt von Janines Mutter. Sie werden nochmals gefüllt und dann wird noch die Arbeit des Nachmittages besprochen.
Shoel geht gemeinsam mit Franco in die Halle um sich das Problem anzusehen. Die Angelegenheit ist schnell geklärt, da es nur ein Ring ist, der gebrochen ist.
So widmet sich Shoel wieder seinem kleinen Schränkchen. Bis zum Abend will er es bereits mit einer Lasur eingelassen haben. Am nächsten Morgen will er die zweite Politur aufbringen. Shoel ist von seiner Arbeit richtig begeistert und überlegt bereits ob er diese Arbeit nicht zu seinem neuen Beruf machen sollte. Er könnte von unterwegs Kunden besuchen und ihre alten Möbel auf Vordermann bringen.
Shoel wird in seinen Gedanken gestört, als plötzlich Beatrix neben ihm steht. „Hättest du Lust auf eine kleine Feier. Freunde von uns feiern ihren neuen Dachstuhl, bei euch in Deutschland heißt es wohl Richtfest?“
„Ja gerne, wer kommt denn noch mit?“
„Ich wollte nur dich mitnehmen, für Janine ist es noch zu anstrengend. Außerdem hat sie keine Lust mit zu kommen.“
„Ach ja“, meint Shoel ganz beiläufig und hat den Verdacht, dass es zwischen den beiden Schwestern vielleicht wegen ihm ein Problem geben könnte.
Das will er auf keinen Fall. Zwischen die Fronten geraten, das liegt ihm nicht. Er wird vorher mit Janine sprechen, vielleicht schließt sie sich ja ihnen an.
Als er von seiner Arbeit in die Richtung der Pferdeställe geht, sieht er Janine mit einem jungen Mann. Der junge Mann legt seinen Arm um ihre Schultern. Dann dreht er sich zu Janine und beginnt sie zu küssen. Ach sieh mal einer an, Janine hat also doch einen Freund. Shoel hat sich schon immer gewundert, da sie doch so gut aussieht, wird doch irgendwo ein Verehrer sein?
Beatrix steht plötzlich neben ihm. „Denk dir nichts, dass ist nur Michele, den kennt sie schon seit Jahren. Der war mit uns zusammen in Österreich.
Er hat auf dem benachbarten Hof gearbeitet. Janine und er waren sogar schon mal verlobt, aber dann haben sie sich wieder getrennt. Jetzt versucht er es erneut, da er sich einen kleinen Hof ganz in der Nähe gekauft hat. Er will mit Janine eine kleine Pferdezucht aufmachen, aber unser Papa ist dagegen.“
„Aha, warum? Der junge Mann ist doch recht ordentlich und wenn er auch schon ein Haus gebaut hat, spricht doch nichts dagegen.“
„Er ist aber keiner von uns, vielleicht ist das der Grund. Also gehen wir jetzt auf das Fest, oder muss ich alleine gehen?“
„Lass uns gehen!“
Beatrix ist bereits einige Meter von Shoel entfernt, da kehrt sie plötzlich um und gibt ihm einen Kuss auf den Mund.
Shoel weiß nicht recht, wie er das verstehen muss. Natürlich hat er seit einigen Tagen bemerkt, dass Beatrix ihn aufmerksam beobachtet.
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