Gerd und Friedrich
An einem meiner freien Tage, es waren die ersten schönen Sommertage des Jahres 1952, hatte ich es mir gerade auf meiner Decke im Schwimmbad bequem gemacht und ein Buch aufgeschlagen, da kamen zwei junge Männer, vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich, auf mich zu und stellten sich als Gerd und Friedrich vor. Sie verwickelten mich in ein Gespräch über das Buch, das ich gerade las, und bald saßen wir Decke an Decke. Wir verstanden uns auf Anhieb und verbrachten schließlich den gesamten Nachmittag gemeinsam. Wir gingen schwimmen, schlenderten über die Wiesen und quatschten, und am Ende des Tages verabredeten wir uns wieder. Einen ganzen Sommer lang traf ich mich an jedem freien Tag, der mir zustand, mit den beiden und im Laufe der Zeit wurden wir richtig dicke Freunde. Wir waren ein schönes Dreierteam, gingen gemeinsam ins Freibad oder Eisessen und die beiden jungen Männer waren nie zudringlich zu mir, zeigten aber freundliches Interesse. Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, erinnere ich einen wunderschönen, unbeschwerten Sommer, wobei es gegen Ende des Sommers zwischen mir und Gerd ein bisschen zu knistern begann. Eines Nachmittags, an einem meiner freien Tage, kam Friedrich mit seinem Roller bei Familie Schuster vorgefahren. Frau Schuster, der ich von den jungen Männern erzählt hatte, bat ihn ins Haus. Mir war die Situation zunächst etwas peinlich und ich genierte mich, doch ich lud Friedrich, der einen sehr traurigen Eindruck machte, in die Küche auf eine Tasse Kaffee ein. Dort angekommen brach es aus ihm heraus: “Gerd ist gestorben.” Mir wurde schwarz vor Augen. Ich musste mich setzen. Friedrich erzählte mir, dass sein Freund Gerd ganz plötzlich und unerwartet im Haus seiner Mutter, gerade von der Arbeit zurückgekehrt, an Herzversagen verstorben war. Ich benötigte einige Zeit, bis ich seine Worte fassen und wieder klar denken konnte. Als Frau Schuster nach einer Weile zu uns in die Küche kam und mich kreideblass, wie ein Häufchen Elend dasitzen sah, schickte sie uns, nachdem wir sie über das Geschehene informiert hatten, los, doch ein bisschen spazieren zu gehen, um frische Luft zu schnappen und auf andere Gedanke zu kommen.
Das taten wir. Und wir hielten den Kontakt. Immer wieder holte mich Friedrich nun an meinen freien Tagen ab. Unser Zusammensein war anders ohne Gerd, seltsam, doch die Trauer um ihn verband uns. Zudem liebten wir beide Bücher und fanden darin eine Ebene, auf der wir uns austauschen konnten. Mit der Zeit verspürte ich Besitzansprüche von Seiten Friedrichs, als hätte sein Freund Gerd mich nun an ihn abgetreten. An einem meiner freien Nachmittage organisierte er ohne mein Wissen mit meiner Chefin, mich etwas später nach Hause zurückzubringen, da er mich mit zu seiner Mutter nehmen wolle. Frau Schuster stimmte zu – und ich, ich ließ wie gewohnt geschehen. Ich nahm das, was mit mir passierte, mit Neugier und Offenheit auf und hin, immer interessiert, wie es wohl weitergehe, ganz so als wäre ich selbst die Protagonistin eines Romans, den ich gerade lese und würde gespannt die kommende Seite aufschlagen. So war es auch an diesem Nachmittag. Gemeinsam mit Friedrich fuhr ich zu seiner Mutter und seiner Schwester Else in die Wohnung, in der auch Friedrich lebte, nach Schwetzingen, und er stellte mich dort mit folgendem Satz vor: “Das ist die Frau, die ich heiraten werde.”
Ich war mehr als erstaunt, während seine Mutter mich kritisch musterte und uns dann zu Kaffee und Kuchen einlud. Es folgten weitere freie Nachmittage, die wir zusammen verbrachten und an denen ich noch weitere Familienmitglieder Friedrichs, so auch seine Schwester Erika, kennenlernen sollte. An einem dieser Nachmittage suchte Friedrich das Gespräch mit den Schusters und legte auch ihnen offen, er wolle mich heiraten. Eine Verlobung in der Wohnung seiner Mutter folgte kurz darauf. Schließlich setzte Friedrich auch das Jugendamt davon in Kenntnis, mich heiraten zu wollen, wobei die Hochzeit am 7. Dezember 1953 stattfinden sollte. Das Jugendamt stellte sich aber gegen die geplante Hochzeit, solange ich nicht meine Volljährigkeit erreicht hatte. Der 7. Dezember 1953 sollte aber dennoch ein Tag mit Bedeutung in meinem Leben sein. Es war der erste Abend, an dem ich bei Friedrich übernachten durfte, und wir wurden zu “Mann und Frau”, wie Friedrich es so schön formulierte. Ich habe die Nacht in einer schönen Erinnerung – Friedrich war ein erfahrener, gefühlvoller und zärtlicher Mann, und über die eineinhalb Jahre unserer Begegnungen war von meiner Seite ein Vertrauen zu ihm gewachsen, welches eine zarte Zuneigung ihm gegenüber mit sich brachte.
Von diesem Tag an übernachtete ich mit Erlaubnis meiner Arbeitgeber immer öfter bei Friedrich und schließlich stimmte auch das Jugendamt zu, dass ich meine Arbeitsstelle aufgeben konnte und ganz zu Friedrich, seiner Mutter und Friedrichs Schwester Else zog. Es dauerte nicht lange, da hatte ich die Gewissheit, ich erwartete ein Kind. Ich freute mich darüber, auch, da es uns ermöglichte, nun zu heiraten. Im April 1954 folgte die Hochzeit.
Friedrich und ich
Am Tag unserer Hochzeit sollte sich ein Thema offenbaren, dass meine gesamte Ehe mit Friedrich überschattete und ihr schließlich ein Bein stellte. Den Tag unserer Eheschließung feierten wir in sehr kleinem Rahmen. Obwohl mein Mann katholisch war und ich ungetauft, erklärte sich ein evangelischer Pfarrer in unserer Nähe dazu bereit, uns kirchlich zu trauen. Im schwarzen, eleganten Kleid, das ich mir mit einer grünen Jacke von unserer Bekannten Ilse geliehen hatte, trat ich gemeinsam mit meinem zukünftigen Mann vor den Traualtar. Neben uns waren noch weitere sechs Hochzeitsgäste anwesend, alles befreundete Paare. Friedrichs Mutter war nicht erschienen. Schon nach wenigen Begegnungen hatte sich herausgestellt, dass sie nicht viel von mir hielt. Sie, eine Frau, der materielle Güter sehr wichtig waren, hatte sich für ihre Kinder immer eine ‘gute Partie’ gewünscht und aus diesem Grund auch ihre beiden Töchter an Amerikaner verheiratet. Ich, ein mitelloses Mädchen ohne gutes Elternhaus, passte nicht in ihre Vorstellungen einer Ehefrau für ihren ältesten Sohn Friedrich. Doch Friedrich lies sich, vielleicht auch mit dem Drang sich von seiner Mutter zu lösen, in seiner Wahl für mich nicht beirren. Er bestand darauf mich zu heiraten.
Nach der Hochzeit gab es Kaffee und Kuchen bei uns in der Wohnung, in der ich inzwischen mit Friedrich alleine wohnte, da seine Schwester, frisch verheiratet, gemeinsam mit meiner Schwiegermutter zu ihrem Mann in ein neues Haus in unserer Nachbarschaft gezogen waren. Noch während wir mit unseren Freunden zusammensaßen, klingelte es an der Haustür. Ich ging, um zu öffnen – und vor mir stand eine junge, gutaussehende, stark geschminkte Dame, die danach verlangte, Friedrich zu sprechen.
“Wer sind Sie?”, fragte ich sie erstaunt.
“Ich bin Friedrichs Freundin.”, antwortete mir die blonde Frau fast ein wenig ungeduldig.
“Friedrich, kommst Du mal.”, rief ich doch etwas aufgeregt ins Wohnzimmer.
Friedrich trat zu uns, dicht gefolgt von Ilse, unserer gemeinsamen Bekannten, die ich von Anfang an sehr gemocht hatte.
“Hallo Friedrich”, liebäugelte die junge Dame vor der Tür, “ wir haben uns schon eine Weile nicht mehr gesehen, da dachte ich, wir könnten mal wieder miteinander ausgehen.”
Die aufgeweckte Ilse übernahm, da Friedrich erst einmal etwas perplex dastand, das Wort. “Na kommen Sie doch erst einmal herein.”, sagte sie zu der Unbekannten und dann, an mich und Friedrich gerichtet: “Ladet die Gute doch erst einmal zu einem Kaffee ein.”
Friedrich lief knallrot an, wandte aber nichts dagegen ein, so gingen wir tatsächlich alle zusammen Richtung Wohnzimmer. Als unser neuer Gast ins Wohnzimmer trat und den schön gedeckten Kaffeetisch vorfand, fragte sie in die Runde: “Feiert ihr etwas? Wem darf ich denn zum Geburtstag gratulieren?”
Ilse setzte spöttisch hinzu: “Na Friedrich, willst Du uns nicht mal vorstellen?”
Nun blieb Friedrich nichts anderes übrig als nach und nach die Namen der Runde aufzuzählen und zu guter Letzt auf mich zu zeigen: “… und das ist … das ist meine Frau Doreen.”
Verdattert, verblüfft, fast entsetzt sah mich die junge Dame an – sie zögerte ein paar Sekunden und machte dann auf der Stelle kehrt, verließ das Wohnzimmer und schließlich die Wohnung. Es herrschte Stille im Raum, die Haustür knallte.
Ilse war erneut diejenige, die die verlegene Stille durchbrach: “Ich glaube, da ist jetzt eine Erklärung fällig”,