Abrechnung am Meer. Biljana Fenzl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Biljana Fenzl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847695622
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Augen. Ana freute sich, dass es Nika gefiel.

      „Kind, wenn du irgendetwas brauchst. Ivan und ich sind immer für dich da. Und heute Abend kommst du um acht zu uns herunter. Du bist zum Essen eingeladen.“

      Ana zog sich zurück und ließ Nika allein.

      Nachdem sie notdürftig ausgepackt hatte, schlüpfte Nika in hellblaue Shorts und zog ein rosa-gelb gestreiftes T-Shirt über. Auf der Fähre im offenen Meer hatte sie gefroren, doch auf der Insel war es angenehm warm. Sie schaute unter ihr Bett, wo sie alle Schuhe hingeschoben hatte. Die weißen Flip Flops mit den rosafarbenen Blüten zwischen den Zehen passten perfekt zu ihrem Outfit, beschloss sie. Schnell noch eine bunte Stofftasche mit den nötigsten Utensilien um die Schulter gehängt und schon startete Nikas erster Rundgang.

      Ihr Weg führte sie zum Strand. Das enge abschüssige Sträßchen trieb sie hinunter zur Strandpromenade, die im 90°-Winkel auf die Gasse traf. Selbst Nika schaffte es nicht, sich in Flip Flops geräuschlos fortzubewegen. Bei jedem Schritt platschte es. Die Arme ruderten raumgreifend durch die Luft. Aus der Ferne sah Nika aus, wie eine flügelschlagende Ente, was sie nicht im Geringsten störte. Die Promenade glitzerte. Die Steine glänzten, von den Sandalen der Touristenmassen blankpoliert. Unterhalb des Weges wuchs ein lichtes Pinienwäldchen. Dahinter erspähte Nika den Strand. Im Wäldchen stand auf Holzplanken eine Strandbar. Rechts davon grenzte ein cremefarbenes Zelt. Nika beschloss, in den nächsten Tagen dort auf einen Kaffee vorbeizuschauen. Heute wollte sie sich einen Überblick verschaffen. An der Strandpromenade gab es noch einiges zu entdecken. Fressbuden reihten sich an Souvenirshops und Zeitungskioske. Sie schlenderte an ihnen vorbei und nach etwa zwanzig Minuten erreichte sie den Abschluss des steingefliesten Weges. Ab hier ging ein schmaler Trampelpfad zur Felsenküste. Sie kraxelte über das scharfkantige Gestein und suchte sich einen glatten Untergrund zum Hinsetzen. Ein kleiner Felsvorsprung bot den perfekten Aussichtspunkt. Dort ließ Nika sich nieder. Sie überblickte den gesamten Strand und erahnte am Ende das Strandcafé im Pinienwäldchen. Der feine Kies, aus dem das Ufer bestand, rollte mit den Wellen hin und her. Das Knirschen der Kiesel, die gegeneinander rieben, erzeugte ein beruhigendes Geräusch. Hörte man länger zu, schlief man unwillkürlich ein oder verfiel in Trance. Bei Nika setzte das Rauschen Gedanken in Gang, die sie im Moment vermeiden wollte. Was sollte sie hier? Sie fühlte sich wie im Urlaub. Das war schön, klar. Aber was sollte danach geschehen? Würde irgendetwas anders werden? Würde sie nach dieser Zeit etwas über sich selbst erfahren, was sie bisher noch nicht wusste? Oder was sie verdrängt hatte? Nein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie Geheimnisse über sich aufdecken würde. Sie kannte sich selbst bis ins letzte Atom. Aber warum war ihr Leben dann so verkorkst? Sie hatte es doch durchgeplant. Nichts davon hatte funktioniert. Was blockierte sie? Nichts, beschloss sie trotzig und wühlte in ihrer Stofftasche nach der Sonnenbrille, die sie aussehen ließ, wie Puck, die Stubenfliege. Die Brille landete mit Schwung auf ihrer Nase. Sie schob ihr Kinn der Sonne entgegen. Sie wollte es sich gutgehen lassen, ein bisschen braun und vielleicht ruhiger werden. War das ihr Problem? Handelte sie zu hektisch? So ein Quatsch. Nicht alle gelassenen Leute waren erfolgreich. Die, die es zu etwas gebracht hatte, standen eher unter Strom - wie sie selbst. Entspannte Menschen sahen anders aus. Warum also hatte es mit ihrer Karriere so gar nicht geklappt?

      „Aaaahh!“ Sie schrie los, stampfte wütend mit den Flip Flops auf den felsigen Untergrund, fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und schüttelte ihren Kopf, bis ihr schwindlig wurde. Als der Ausbruch vorbei war, kreisten ihre Augen noch weiter. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder fokussieren konnte. Das Ganze war nötig, um dem unwillkommenen Gedankenfluss ein Ende zu setzen. Konnte sie nicht einfach nur genießen? Schon nach ein paar Stunden auf der Insel merkte sie, dass ihr zu viel Ruhe nicht bekommen würde. Was wollte ihre Großmutter damit erreichen? Dieses Entspannungsding trieb sie in den Wahnsinn. Sie sollte Oma anrufen und fragen, was sie sich dabei gedacht hatte. Okay, sie sollte sie sowieso anrufen und ihr mitteilen, dass sie gut angekommen war. Resigniert packte Nika ihre Tasche, hängte sie diesmal über die andere Schulter und machte sich auf den Rückweg.

      Zurück in ihrem Zimmer suchte sie nach dem Mobiltelefon. Sie fand es in einem ihrer Schuhe. Wie war es nur dahin gekommen? Nika schüttelte den Kopf. Sie war auch noch schusselig. Kein Wunder, dass sie nichts auf die Reihe brachte. Mit dem Handy in der Hand legte sie sich quer über das Doppelbett und wählte die Nummer ihrer Großmutter. Nach dem vierten Klingeln wurde abgenommen.

      „Hey, Oma, ich bin`s, Nika.“

      „Oh Schätzchen, schön. Bist du gut angekommen?“

      „Ja, Oma. Aber ich weiß nicht, was ich hier soll. Diese Ruhe macht mich nervös. Ich drehe total durch, Oma.“

      „Jetzt warte es doch ab. Du musst dich erst einleben, dann kommt alles von alleine.“

      „Deinen Optimismus möchte ich haben. Wenn ich schon nach drei Stunden einen Wutausbruch am Strand bekomme, was wird dann nach drei Monaten sein? Ich werde ein nervliches Wrack sein, Oma. Willst du das?“

      „Nika, niemand bekommt von zu viel Ruhe einen Nervenzusammenbruch.“

      „Doch, ich schon.“

      „Nika, du hast es mir versprochen. Diese paar Wochen hältst du jetzt durch!“

      „Es sind Monate, mindestens. Nicht Wochen. Und sie kosten mich Jahre meines Lebens.“

      „Es wird alles gut, Kind.“

      Was für ein Spruch. Nika zog eine Grimasse.

      „Jaja, Oma. Ich melde mich wieder.“

      Sie legte auf, ließ das Handy auf das Bett gleiten und trommelte mit den Fäusten auf eines der Kissen ein. Dann sah sie erneut auf das Display und stellte fest, dass sie noch drei Stunden Zeit hatte bis zu dem Abendessen bei Ana und Ivan. Sie überlegte, sich zum zweiten Mal auf den Weg zu machen. Irgendwo in dieser Gegend musste es etwas geben, was ihr ein wenig Ablenkung bescherte. Viele junge Touristen kamen hierher. Die Umgebung bot offensichtlich Attraktionen, die all die Menschen anzogen. Wo verschaffte man sich am besten einen Überblick? Nika sprang vom Bett auf, strich ihre Kleidung glatt und griff nach ihrer Strickjacke, falls es abends abkühlte. So machte sie sich auf, um nach einer Touristeninformation Ausschau zu halten.

      Nach zwei Stunden kam Nika, bepackt mit bunten Flyern, Informationszetteln über Ausflugsmöglichkeiten und einem Buch über die Insel Maun, zurück. Das Material zu sichten würde sie Stunden kosten. Nika war zufrieden. Sie würde ihre Zeit nicht mit Grübeln verschwenden.

      Sie sah auf die Uhr im Display ihres Handys. Eine halbe Stunde blieb ihr noch. Schnell sprang sie unter die Dusche, um den Staub und die Anstrengung eines langen Anreisetages herunter zu spülen. In Unterwäsche kam sie aus dem Bad und suchte im Schrank nach passenden Klamotten. Sie fand eine gelbe, lange Sommerhose und eine Bluse mit kurzen Rüschenärmeln. Darüber zog sie ihre geliebte Strickjacke. Sie drehte sich vor dem Spiegel, der zwischen Bad und Balkontür hing. Etwas fehlte. Sie schlüpfte zurück ins Bad. Dort bürstete sie die noch feuchten Haare zusammen und band sie zu einem Zopf. Fertig. Sie streifte ein Paar gelbe Ballerinas über, schnappte sich ihren Zimmerschlüssel und lief die Treppe hinunter zu der blaugestrichenen Haustür. Als sie diesmal klopfte, dauerte es nicht lange bis sie schwere Schritte hinter der Tür hörte. Immer noch hatte niemand die Scharniere geölt. Ein gebeugter Herr, Mitte achzig, sah Nika an. Er hatte schütteres Haar, das ihm wirr vom Kopf stand.

      „Ah, hallo, Mädchen. Komm doch rein.“ Der Mann, der sich nicht vorstellte, musste Ivan, Anas Ehemann sein. Er hatte einige Zahnlücken und nuschelte ein wenig. Seine Hände zeugten von viel Arbeit. Breit, vom Alter gekrümmt, aber immer noch zupackend und stark. Ivan griff nach Nikas Oberarm und führte sie in ein Zimmer, das Nika am Nachmittag nicht gesehen hatte. Es war klein, grenzte an das Wohnzimmer und diente als Esszimmer. Ana hatte dort bereits den Tisch eingedeckt. Aus der Küche duftete es verführerisch. Nika schnüffelte in der Luft herum.

      „Mmh. Was gibt es denn?“

      „Frischen Fisch. Hab ich selbst gefangen.“ Ivan war sichtlich stolz auf sich.

      „Und Salzkartoffeln und Mangold dazu“, kam es aus der Küche.

      Erst jetzt merkte