Abrechnung am Meer. Biljana Fenzl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Biljana Fenzl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847695622
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ihm das zerknitterte Stück Papier.

      „Ah, das ist gar nicht weit weg von hier. Sie müssen nur durch den Park. Sehen Sie? Hinter Ihnen. Dort können Sie dann weiterfragen.“

      „Hvala. Danke.“ Nika ärgerte sich über sich. Wie konnte sie so kopflos sein. Das hätte sie auch alleine hinbekommen. Die Röte stieg ihr in die Wangen. Sie verbarg Wut und Scham, indem sie das Gummiband löste und ihre dunklen Haare ins Gesicht fallen ließ. Mit gesenktem Kopf trabte sie davon.

      Sie überquerte die Fahrbahn und stand in einem Wäldchen. Erst jetzt hob sie den Kopf und blickte sich um. Links von ihr befand sich ein Kinderspielplatz, rechts grenzte der Park an eine andere Straße. Nika beschloss auf dem Weg zu bleiben, der geradeaus führte. Sie lief in den kleinen Wald hinein. Die hohen Kiefernbäume spendeten Schatten und dämpften alle Geräusche der Stadt. Parkbänke säumten den Kiesweg. Der Duft von Piniennadeln stieg ihr in die Nase. Mit jedem Schritt wurde Nika ruhiger. Plötzlich klatschte Nika mit der flachen Hand auf ihren Hals. Ein Reflex. Wild fuchtelte sie mit beiden Armen um sich. Was war das? Sie besah sich die roten Punkte auf ihrer Haut und begann unwillkürlich zu kratzen. Mücken. Sie war in einen ganzen Schwarm geraten. Mistviecher, dachte sie. Eine herzliche Begrüßung sah anders aus. Sie rannte los. Sie floh aus diesem Wald, bevor sie aussah wie ein Opfer der Beulenpest.

      Als sie in die Sonne trat, atmete sie tief durch. Der Adrenalinstoß, den ihr die Mückenattacke bescherte, hatte sie aufgerüttelt. Sie nahm den Zettel mit der Adresse in die Hand und marschierte los. Sie brauchte keine Hilfe. Sie würde das Apartmenthaus alleine finden. Nach zehn Minuten Fußmarsch sah sie das gelbe Gebäude mit den blauen Markisen vor sich, das ihre Großmutter ihr beschrieben hatte. Sie ging die Anhöhe hinauf. Die Straße war schmal. Sie erlaubte nur einem Auto die Durchfahrt. Nika entdeckte Balkone, die Haustür befand sich auf der anderen Seite, vermutete Nika. Sie passierte das Haus und bog links in die Einfahrt. Im rechten Bereich erschloss sich ein kleiner Garten. Mittendrin stand eine Dusche, die aus dem Boden zu wachsen schien. Der schwarze Kasten neben dem Duschkopf sollte vermutlich das Wasser warmhalten. Nika schmunzelte über den vorsintflutlichen Boiler. Linker Hand erblickte sie die blaue Haustür. Sie straffte die Schultern, atmete tief durch und marschierte zum Eingang. Darüber prangte in blauer Schrift „Haus Ana“. Eine Klingel fand sie nicht. Nika klopfte. Und wartete. Erneut schlug sie ihre Knöchel gegen das Holz. Hinter der Tür vernahm sie schlurfende Geräusche. Jemand schien sich im Schneckentempo zu nähren. Die Tür ging knarzend auf. Das Scharnier vertrug ein wenig Öl, dachte Nika. Eine Frau, kaum größer als Nika, lugte heraus. Nika schätzte sie um die achtzig Jahre. Ein Netz feiner Fältchen umspannte das Gesicht. Von der Nase führten zwei tiefe Krater links und rechts zum Kinn. Die Haut an den Wangen hing schlaff nach unten. Auch am Hals hatte sie ihre Spannung vor langer Zeit verloren. Die lichten Haare standen in grauen und hellbraunen Löckchen vom Kopf. Das Blau der Augen war so blass, als ob es sich gleich auflösen wollte. Müde Blicke trafen Nika durch das altmodische Metallgestell. Doch dann hoben sich die schmalen Lippen zu einem Lächeln des Erkennens. Das trübe Blau richtete sich auf das Pink ihres Gegenübers.

      „Ti si Nika.“

      „Jesam. Ja, ich bin Nika.“ Sie musste sich erst daran gewöhnen, nach vielen Jahren wieder in ihrer Muttersprache zu reden.

      „Na komm rein, Kindchen. So eine Freude, dass du da bist. Ich bin Ana, die Freundin deiner Oma.“

      Die alte Frau hakte sich bei Nika unter. Halb zog sie Nika hinein, halb stützte sie sich auf Nika. So gelangten sie ins Wohnzimmer. Dunkelheit und eine angenehme Kühle empfingen sie. Nika merkte erst jetzt, dass sie auf dem Weg ins Schwitzen gekommen war. Sie stellte ihren Koffer ab und wuchtete den Rucksack herunter. Die Schultern schmerzten nun merklich. Sie ließ sie ein wenig kreisen und beobachtete Ana in ihrem Revier. Die schwang gerade die Fensterläden zur Seite und Sonnenlicht flutete das Zimmer. Nika scannte ihre Umgebung. Alte, dunkelbraune Möbelstücke dominierten den Raum. Alles sah ordentlich und sauber aus. Über dem Sofa lag eine dunkelrote Häkeldecke ausgebreitet. An einer Wand stand ein Schrank mit mehreren Vitrinen. Porzellangeschirr stapelte sich darin und etwas Glänzendes. Ana folgte Nikas Blick.

      „Willst du einen Kaffee?“ Sie holte das schillernde Gebilde heraus. Es handelte sich um eine Dzezva, eine aus Kupfer gefertigte und auf der Innenseite legierte Mokkakanne. Ana kochte das Getränk auf traditionelle Art. Ein warmes, angenehmes Gefühl breitete sich in Nikas Bauch aus. Ihre Oma bereitete ihren Kaffee genauso zu. Ja, sie wollte unbedingt einen. Nicht weil, sie Bedarf an Koffein hatte. Zumal sie sich erst auf der Fähre, damit die Zunge verbrannt hatte. Aber die Sehnsucht nach ihrer Großmutter und dem Heimatgefühl drohte sie plötzlich zu überrollen. Wenn sie jetzt den Duft von Kaffeepulver riechen und den Geschmack, des in Zucker ertränkten Mokkas erspüren durfte, dann fühlte sie sich wie bei Oma. Dann wäre es wie ein Zuhause.

      Ana sah Nika immer noch an. Sie nickte Ana zu und schluckte heiße Tränen hinunter. Ana verschwand in der kleinen Küche nebenan, goss Wasser in die Kanne, gab reichlich Zucker und zwei Löffel Kaffee dazu. Gedankenversunken blieb sie vor dem Herd stehen und wartete darauf, dass der Mokka zum ersten Mal aufkochte. Als er sich hob, nahm sie das Gefäß von der glühenden Platte, rührte mit einem kleinen Löffel um und setzte die Kanne zurück auf die Kochplatte. Nach dem zweiten Aufkochen schaltete Ana den Ofen aus. Sie griff mit dem Löffelchen den Schaum ab und verteilte ihn auf zwei Tassen, bevor sie den Kaffee eingoss. Als sie damit ins Wohnzimmer kam, hatte Nika sich wieder gefangen.

      Ana stellte den Kaffee auf das winzige Tischchen vor dem Sofa und setzte sich in den Sessel gegenüber von Nika. Eine Weile beobachteten sich beide gegenseitig, während sie ihren heißen Mokka schlürften. Ana kannte den wahren Grund für Nikas Aufenthalt auf Maun. Und Nika sah Ana an, dass sie es wusste. Ana verlor darüber nicht ein Wort und Nika war ihr dankbar dafür. Sie wusste selbst, dass sie erneut in ihrem Leben versagt hatte. Bevor das Schweigen unangenehm wurde, begann Ana Nika ihre Aufgaben zu erklären.

      „Bei uns gibt es keine festen Arbeitszeiten, weißt du. Die Ferienwohnungen betreten wir bei Belegung nur einmal in der Woche. Dann wechseln wir die Bettwäsche, tauschen die Handtücher aus und füllen auf, was fehlt, wie zum Beispiel Toilettenpapier. Der Großputz folgt erst, nach Abreise der Gäste. Ich bin körperlich nicht mehr so fit und bitte dich, mir den Großteil dieser Aufgaben abzunehmen. Ebenso die Besorgungen. Es fällt mir schwer, die Sachen nach Hause zu tragen. Die Wäsche übernehme ich. Bei den Einkäufen wird dir mein Mann helfen. Ivan ist derzeit mit seinem Boot unterwegs, aber du wirst ihn bald kennenlernen.“

      „Wann mache ich denn die Betten? Ich meine, ich möchte ja nicht hereinplatzen, wenn die Leute gerade aus der Dusche kommen, oder so.“

      „Das wird sich schon einspielen. In der ersten Zeit sage, ich dir noch, wann die Zimmer frei sind. Später wirst du den Rhythmus der Gäste selbst herausfinden. Aber das zeige ich dir alles morgen. Jetzt solltest du dein Zimmer beziehen und dich ein bisschen hier eingewöhnen. Komm, ich bringe dich in dein neues Zuhause.“

      Ana erhob sich bedächtig und schlurfte nach draußen. Nika schoss vom Sofa und griff nach ihrem Gepäck. Sie tänzelte wie ein nervöses Pferd hinter Ana her. Es bereitete ihr Schwierigkeiten, sich behäbig zu bewegen. Über eine Außentreppe gelangten sie in den ersten Stock. Dort stießen sie auf eine Tür, die das Treppenhaus zu den Ferienwohnungen verbarg. Sie traten ein und bogen links ab. Zwei Schritte und sie befanden sich vor Nikas Apartment. Ana sperrte auf und ließ Nika den Vortritt. Nika fand sich in einer winzigen Küche wieder. Auf der linken Seite hinter der Küchennische entdeckte Nika eine schmale Tür. Dahinter kam das Bad zum Vorschein. Es war gerade mal so groß, dass Nika sich zwischen Waschbecken, Toilette und Dusche umdrehen konnte. Schlängelte man sich von der Zimmertür durch die Küchenzeile, an dem runden Esstisch mit den beiden Stühlen vorbei, stand man vor zwei nebeneinanderliegenden Türen. Die eine bestand aus dunklem Pressspan und führte ins Schlafzimmer. Es war karg, aber funktional eingerichtet. Ein Schrank an der rechten Wand, ein Doppelbett unter dem Fenster und eine kleine Kommode an der anderen fensterlosen Wand als Ersatz für die fehlenden Nachtkästchen. Links neben der Schlafzimmertür befand sich eine Glastür. Sie gab den Blick auf den Balkon frei. Nika trat hinaus. Sie erkannte den Garten mit der Dusche. Der Meerblick war für die Gäste reserviert. Trotzdem huschte ein Lächeln über Nikas Gesicht. Die leichte Brise vom Meer