Milans Weg. Franziska Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Thiele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738002904
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doch hätte gerne Ken die Worte eines jeden übernehmen können. Milan verlor sich den Gedanken an die Roth haarige und an den miefigen Bus, an die vielen vielen Menschen, die das gleiche Gespräch führte, das er heute morgen selbst zu sich gedacht hatte, eben ganz ohne nachzudenken. Wie programmiert wie ablaufen, dachte Milan, wie einfach unser Körper mechanisiert das Programm abspielt, in dem die ganze Gesellschaft mitspielt. Es bedarf zu einem solchen Smalltalk keinen einzigen Gedanken, kein Funken Energie muss erzeugt und umgesetzt werden. Wir lassen einfach den Selbstverwalter laufen, so, wie ein Flugzeug, dass auch stundenlang selbst fliegt. In der Uni würde Ken sie dann auf einen Kaff zum mitnehmen einladen, und beide wären sicher, dass es noch sehr früh sei und einen Kaff dringen nötig hätten. Dann würden sie sich im Hörsaal nebeneinander setzten und ab und zu belustigte Kommentare zu der Vorlesung und dem Professor in flüsternder Weise und würden sich dabei ein wenig so fühlen, als tauschten sie Geheimnisse aus. Dabei wären ihre Köpfe nahe beieinander, sie würden sich in die Augen sehen und ein leicht mulmiges Gefühl in der Bauchregion verspüren. Auch das war ein ablaufenden Programm und vielleicht wussten es sogar beide, wusste es die Rothaarige und der Ken sowieso, da es seine Masche war. Vielleicht hatten auch beide die Ahnung, dass es so sein musste, sie, die hübsche, von allen bewunderte und er, der dunkelhaarige Ken, der fast täglich den Schweiß von seiner Muskulatur tropfen ließ und selbstbewusst wie Herkules durch die Gegend lief, bei wussten, dass sie ein zwei Treffen ausmachen würden, bevor sie mehr oder weniger betrunken bei einen von ihnen landen würden und dann eine kürzere oder längere Beziehung führen würden, die dann scheitern würde, wenn die Weg sich trennen, würden, da das Programm einen Karriereweg enthielt, dass beide in verschiedene Städte schlug. Wenn die Beziehung so lange anhalten würde. Wahrscheinlicher würden beide aneinander geschweißt die nächsten Tage und Nächte verbringen, bis er dann doch wieder seine Zeit im Fitness Center bräuchte und sie die Zeit für ihre Freundinnen und es dann kontinuierlich parallel zu den linear abklingendem Bauchgefühl auch linear weniger werdende Treffen geben würde und schließlich die Trennung käme. Die Freundinnen würden der Rothaarigen, welche durch den leidenden Ausdruck für viele noch interessanter wirken und Beschützerinstinkte hervorrufen würde, erklären, dass sie einen besseren Ken verdiene und Ken würde an seinem Körper schleifen, wie ein Schnitzer an seinem Stück Holz, nur mit weniger Kunstgefühl. Noch immer lag Milan in seinem Bett. Es dachte, dass wir eigentlich immer unter einem Programm liefen, wenn wir so unserem Leben nachgingen. Dachte, dass wir fast nie Entscheidungen aus der Situation heraus treffen, da wir ja selten wirklich da sind. Die grauen Wolken trugen dicke Tropfen mit sich, dicke Dinger, dachte Milan, wie die Euter einer Kuh. Es erleichterte ihn, dass das Wetter so schlechte war, denn er wollte eigentlich auch gar nicht mehr durch die Straßen gehen, wieder hatte ihn schleichend seine Angst, seine Neurose, sich vor der Gesellschaft für sein Dasein rechtfertigen zu müssen eingeholt. Wieder war er an dem Punkt angelangt, an dem er sich am liebsten aus der Welt all der programmierten Menschen, die noch beängstigender als programmierte Maschinen, Roboter oder Computer waren, weil sie doch zu so viel mehr fähig waren, weil das Programm eines jeden nur Teil eines kollektiv ablaufenden Programms war und ein paar, nur ganz, ganz wenige Menschen, stolz darauf sind, wie gut das klappt. Dann dachte Milan, dass er diesmal nicht so einfach davonlaufen konnte, dass er sich aber auch nicht wieder anfangen wollte zu rechtfertigen, nicht jetzt, noch fehlte ihm die Kraft dazu, mit all jenen zu diskutieren, warum er jetzt nicht wie zum Arbeitssystem beitragen wollte. Denn hätte Milan gesagt, dass es so nicht aufginge, ihr System, dass sie doch merken müssten, dass sie nicht für sich arbeiteten, dass sie mehr zahlen als einnehmen und dass das Geld, dieses wichtigste, warum alle unter den Programmen laufen, doch eines dieser Programme war, an das sich alle hielten, das alle Widerspruchslos annahmen und dass es aber nichts, gar nichts mit gerechter Verteilung oder dem Wert einer Arbeitsleistung zu tun hatte. Milan stellte sich vor, wie er all das sagte, versuchte, sich auszudrücken, ohne als Irrer bezeichnet zu werden und wenn er dann noch sagte, dass er hier, beim betreuten Wohnen für psychologisch angegriffene, wie man es ihm so schön erklärt hatte, lebte, dann wäre jedes Gespräch ohnehin umsonst gewesen und es würde sich herumsprechen und beim nächsten Spaziergang in der Stadt würden sie ihn anschauen. Die neurotischen Vorstellungen, manche Ärzte sprachen von schizophrenen Störungen, sie hielten Milan an solchen Gedanken fest und immer wieder stellt sich die Frage, wer der Kranke war und wer nicht. Und wenn die große Mehrheit ein paar ganz wenige, welche aber vielleicht den Durchblick hatten, die Gefahr einer Massenprogrammierung erkannt hätten, aufgrund ihres Gedankenguts, welches all die Lebensweise in Frage stellte, diese einfach als psychisch krank abschieben würden, so werden sie nicht mit diesem Gedanken, die einige vielleicht bereits in dunklen Zeiten erahnt hatten, konfrontiert. Milan stand langsam auf, ging sich die Zähne putzen und machte sich einen Kaff Dann blickte er wieder aus dem Fenster und freute sich über die Wolken. Allzu lange war es auf Mallorca eintönig sonnig und blau gewesen. Allzu oft hatte er sich unter all den Touristen zu guter Laune verpflichtet gefühlt. Allzu sehr hatte ihn diese Scheinwelt in seine eigene Scheinwelt getragen. Milan setzte sich an den Tisch und trank kleine Schlückchen aus seinem Instant-Kaffee Noch nie hatte er die deutsche Leidenschaft für Filterkaffee verstanden. Er verspürte den Drang, den er hatte, als er auf Mallorca seine Wohnung verlassen hatte und nicht mehr wieder kehrte, als er der Gesellschaft seinen Austritt damit zeigen wollte, dass er sie nicht mehr brauchte, nichts von ihr mehr in Anspruch nehmen würde. Ihm war klar, dass er hier, in Köln, entweder zu einem verwahrlosten Penner werden würde oder schnell zurückkehren würde. Milan dachte an Paulette, dachte daran, dass sie ihm vorschlug, ihr zu schreiben. Dachte daran, dass sie gerne etwas von Frank haben wollen würde. Milan genoss den Gedanken daran, dass er seine Vorstellungen eines Lebens, das sich nicht der programmierten Gesellschaft unterwirft, teilen zu können. Milan dachte an den Kuss und sah durch die Wolken. Hunderte Kilometer weiter, den ersten Tag in der eigenen Wohnung, die Simon gerade für die Arbeit verlassen hatte, sah auch Paulette dem Verlauf der Wolken zu und hatte mit einem Mal ein gewisses Gefühl im Bauch, nicht ganz so allein zu sein.

      -7-

       Frank war wieder alleine, sein Intermezzo mit der verführerischen Wilden ließ er wie eine dem Traum entsprungene Seifenblase zurück. Das Alleine sein, was zuvor sein größter Wunsch gewesen war, erschien ihm nun als unabwendbare Notwendigkeit. Frank ging weiter, am Strand entlang und hing seinen Gedanken nach. Er versuchte zu zählen, wie viele Tage vergangen waren, als er zuerst auf die wundersame Frau stieß. Der erste Abend, er war ihm besonders in Erinnerung geblieben – am ersten Abend hatten sie zusammen ein Lagerfeuer gemacht und sind im Licht der Flammen getanzt. Jedenfalls ist sie getanzt. Er wusste noch, wie er ihr zusah, die sich wieder und wieder zu der Stille, die nur durch das Rauschen der Wellen unterbrochen wurde, drehte, sich so oft im Kreise drehte, dass ihm, Frank, schon vom Zusehen komisch wurde. Die Tage vergingen damit, dass die schöne Wilde ihrem Alltag nachging, der so besonders, so entfernt von allem, was er bereits gesehen hatte, las, dass Frank den Großteil seiner Zeit damit verbrachte, sich an einen schönen Platz zu setzen und ihr zuzusehen. Gegen Abend versuchte ein jeder der beiden, was er konnte, um sich um etwas zu Essen sowie Brennholz zu kümmern. Einmal zeigte sie ihm, wie sie mit einem einfach Netz fischen konnte. Sie war sehr lieb zu ihm, ließ ihn an ihrem Leben teilhaben, ohne ihn verpflichtend mit ein zu beziehen, ohne etwas von ihm zu verlangen. Nachts teilte sie ihr Bett mit ihm. Ihr Körper war weich, so weich, als könne er durch ihr Haut hindurch greifen. Ihr Atem war warm, ihr Haar, das zerzauste, knotige Haar, es roch leicht süßlich nach Lavendel. Vielleicht waren es drei, vielleicht waren es auch sieben Tage, die er mit dieser geheimnisvollen Schönen verbrachte. Es war ganz so, wie er es sich immer gewünscht hatte – nichts verlangte sie von ihm, nichts erwartete sie, und trotzdem ließ sie ihm gewähren, gab ihm den Eindruck nicht zu stören. Dann blieb Frank stehen. Er sah einer kleinen Katze zu. Die Katze lag lauernd im Gras, auf der Suche nach einem kleinen Vogel oder einer Maus. Nie hatte er gedacht, dass ein Mensch wie eine Katze leben kann – frei und einzelgängerisch, sich selbst versorgend. Mehr noch: Die Wilde schien , so kam es ihm in seiner Vorstellung jedenfalls vor, sie schien die Berührungen zu genießen, doch schien sie ihn nicht zu brauchen, seine Gegenwart nicht zu verlangen. Sie strahlte eine so große Ruhe, eine so große Einigkeit mit sich und ihrem Leben aus, dass ihm, der noch zerrissen im Inneren herum streunte, bange vor so viel Einigkeit wurde. Eines wurde ihm bewusst. Er konnte bleiben, doch sah er vor sich, wozu er noch nicht bereit war: Ein Leben selbstbestimmt an einem Ort, einem spärlich eingerichteten