Abends, wenn sie dann in Simons Armen lag, schämte sie sich innerlich für ihren wieder vergeudeten Tag, von dem sie nichts, jedenfalls nichts geltendes vorzuweisen hatte. Sie dachte dann an Milan, sie dachte an Frank, Milans fiktive Figur, der wohl letzte Mensch, der, statt Milan, der selbst an dem Versuch gescheitert war, noch die Freiheit lebte, wie Frank dafür im Schatten der Menschen leben musste und sie fragte sich, wie Milan sich wohl in die Gesellschaft hinein finden würde. Manchmal saß sie da, bis Rapha am späten Nachmittag nach Hause kam oder Simon sie anrief, wenn er fertig mit all der Arbeit und dem Studieren war. Die Zeitungsausschnitte vom Morgen waren eine gute Tarnung, denn trotz Nachsicht, wusste Paulette, dass diejenigen, die gerade von der Arbeit kamen, von der Rechtfertigung, am Leben teilhaben zu dürfen, dies auch von anderen erwarteten. Der Druck versteifte Paulettes Glieder. Sie wollte nicht rausgehen und tat stattdessen manchmal auf beschäftigt. Manchmal ging sie auch einkaufen, nur, damit Rapha sah, dass sie etwas tat, denn den Wolken nachsehen und die Zeit, die sie von einem zum anderen Ende des Fenstern brauchten, war keine Daseinsberechtigung. Simon merkte bald, dass sie auf Fragen nach ihrem Tag abgeneigt, zum Teil trotzig reagierte und ließ es bald bleiben, um Ärger zu vermeiden. Er genoss stattdessen ihre innige Zuwendung und auch das Gefühl, dass Paulette, wenn er mit seinen Sachen fertig war, vielleicht schon auf ihn wartete, und wollte keine Unruhe in der Beziehung stiften und Simon war es schließlich auch, der Wohnungsbesichtigungen organisierte und dafür sorgte, dass sie eine passende zweieinhalb Zimmer Wohnung im Prenzlauer Berg, die nicht zu teuer war, gefunden hatten. Er freute sich über das baldige Liebesglück in der eigenen Wohnung.
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Das kleine Apartment bestand aus einem großen Raum, der gleichzeitig als Küche, Schlaf- und Wohnzimmer diente. Trat man ein, stand man in einem kurzen Gang, der gerade genug Platz für zwei bis drei Paar Schuhe und einen Haken an der Wand für eine Jack ließ. Auf der linken Seite öffnete sich der Raum zu einer Küchenzeile. Es gab einen Gasherd mit drei Platten, ein hüfthohes Küchenregal, in dem Kochutensilien und Geschirr standen, und einen kleinen Kühlschrank, der sich auf dem Regal befand. Die Küchenzeile wurde durch eine aufstellbare Wand vom Rest des Raumes getrennt. Der Raum hatte ein Bett, das ganz hinten platziert war, einen Kleiderschrank zur rechten Seite und einen Tisch mit zwei Stühlen zur linken. Ein Badezimmer, in dem gerade eine Stehdusche und ein Spülbecken hinein passten, bildete den Abschluss der Runde auf der linken Seite des Eingangs. Überraschend war, dass diesem zweckdienlichen Wohnraum ein Balkon, natürlich ebenfalls sich der Größe der Wohnung anpassend, mit einem kleinen Tisch und einem Gartenstuhl, angehörte. Als Milan vom Flughafen Köln durch die Stadt hierher gefahren und in das Zimmer geführt wurde, überkam ihm ein Gefühl der Leichtigkeit. Er bedankte sich bei der Frau, die sich als Frau Mühlental und Verantwortliche für die Verwaltung und alle weiteren Belange der hier Wohnenden, vorstellte. Frau Mühlental war eine mittelgroße schlanke Frau mit glänzenden schwarzen Haaren. Ihre Augen leuchteten lebhaft grün kleine Bernsteinfarbene Punkte verzierten die Iris. Wahrscheinlich sprach sie deswegen so geschäftlich, dachte Milan, weil sich sonst niemand auf das Konzentrierte, was sie sagte, weil die meisten, die hier ankommen, nichts und niemanden kennen und oftmals noch dazu sich selbst verloren haben, Frau Mühlental viel lieber gefragt hätten, ob es auch einen Vornamen zu Mühlental gab und ob sie heute Abend vielleicht Zeit hätte, ein wenig die Stadt zu zeigen. Doch der Ton, in dem Frau Mühlenteil geschäftlich artikulierte, ließ keinen Ausflug in das Private zu. Sie war nicht schroff, nicht kalt, doch zeigte sie wohl absichtlich kein Interesse an dem Schicksal der Bewohner. Sie erklärte Milan, dass es nicht möglich war, eine Wohnung außerhalb der Anlage zu finden und dass es nach dem Gespräch mit seinem zuständigen Psychologen, Dr. Harris, eine passende Anlage, wie sie es immer förmlich und ausweichend aussprach, für ihn sei. Während sie sprach, ging sie Milan voran den Weg vom Verwaltungsgebäude, in dem ihr Büro war, durch die Grünflächen und Häuser, in welchen sowohl Mehr- als auch Einzimmer Apartments waren. Sie sprach von dem Prinzip, von der, wie sie es nannte Philosophie, des Konzeptes vom betreuten Wohnen. Dass er hier alle Freiheiten genießen konnte, ein eigenes Zimmer mit Kochmöglichkeit bekäme und sich natürlich frei bewegen durfte, wie er wollte. Doch sollte er sich doch einmal unwohl fühlen, sei es, dass er krank war oder auch einsam, dann hatte er hier die Möglichkeit jederzeit einen Psychologen oder Arzt aufzusuchen. Die sind in der Verwaltung zu finden, fasste Frau Mühlental kurz und bündig zusammen, wie sie es bereits etliche Male zuvor verkündet hatte. Natürlich spielt auch das Miteinander eine große Rolle, sprach sie weiter und grüßte dabei lächelnd einen Mann in weißem Kittel, der ihnen entgegenkam. Dafür gibt es das Gemeinschaftsgebäude, in dem man Billard spielen konnte und zusammen sitzen. Dort ist auch ein Restaurant, wenn man keine Lust zum kochen hat. Milan nahm kaum auf, was sie erzählte. Er sah von der Seite die kleine, etwas spitz zulaufende Nase und den mäandrierend geschwungenen Mund von Frau Mühlental an. Als sie schließlich in seinem Apartment