Filme fahren. Ulrike Melzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Melzer
Издательство: Bookwire
Серия: Filme fahren
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762467
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mit Schlag, dazu ein Negligé aus dem Secondhandladen Und ganz viel Glitzer für s Gesicht, Kajalstift und dann waren wir fertig.

      Milosch hatte sich die Haare grün gefärbt und trug seine alte Lederjacke und weite, zerrissene Jeans. Eigentlich hatte ich ihn nie in anderen Klamotten gesehen.

      Er war genervt von uns, liebte aber dieses Sonntagsritual.

      Immer musste Trash-Euro-Dance gehört werden, diese peinliche Musik, auf die wir doch irgendwie alle standen: Culture Beat, 2Unlimited, die alten Sachen von Ace of Base. Und es gab Aldisekt. Ein Glas für jeden zum Wachwerden. Wenn wir dann überdreht und auf gekratzt durch die Nacht stolperten, auf der Suche nach einem Taxi, ging die Sonne auf.

      Nie hatte ich mich stärker gefühlt, als an diesem Sonntagmorgen.

      "Kommt, lasst uns ne Party crashen", meinte Milosch.

      "Irgendwo in…Zehlendorf".

      "Kommt jetzt, ich will tanzen." Karen hielt ein Taxi an.

      Milosch wollte noch nicht weiter. "Nee, lass mal, lass mal den Tabak kaufen.

      Den, der so Halluzinationen macht."

      "Komm hilf mir mal, Rena." Gemeinsam zogen wir ihn von der Straße. Das Taxi wartete.

      Diesmal nicht der Palace, sondern eine Bar an der Spree, ein Strand, die Leute tanzten draußen.

      Karen schwebte selbstbewusst durch den Club, grüßte Leute, ich kam mir dumm neben ihr vor.

      Sie wusste wie das ging, kannte die Feiersprache und all diese gesellschaftlichen Geheimcodes. Milosch und ich schlurften unbeholfen hinter ihr her.

      "Komm wir tanzen", Milosch zog mich auf die Tanzfläche, tanzen war seine Antwort auf alles.

      Tanzen, das konnten wir, als wäre tanzen unsere Aufgabe auf dieser Welt, unsere Mission.

      Ich dachte an Mönche, vielleicht sind ihre Gebete auch wichtig, um diese Welt in Balance zu halten und wir sind wie diese Mönche, wir sind Tanz-Mönche.

      Irgendwann kam der Nachmittag, zwischendurch gingen wir aufs Klo zum Pillenschlucken und Wassertrinken. Pillen wollte ich nicht, ich war auch so high.

      Am Nachmittag hingen wir dann im Mauerpark ab, holten Falafel.

      Milosch sah nachdenklich in die Sonne." Was ist, wenn wir uns eines Tages nicht mehr verstehen? Einer von uns wird Scheiße bauen und dann werden wir so tun, als wär das ok, aber eigentlich hassen wir uns. Und dann werden zwei über den Dritten ablästern und so tun, als ob alles gut ist. Du kannst dich doch auf nichts verlassen, auf gar nichts, scheisse.

      Wenn du dich nicht mehr auf deine Freunde verlassen kannst, was bleibt dann noch?" Die Zweifel, die Gedanken, die ich verdrängen wollte, konnten nicht länger verdrängt werden.

      Ich wollte nicht weg, wollte nicht weg aus dieser Welt.

      "Ach, der hat nur ‚Kleine Morde unter Freunden‘ gesehen ", sagte Karen, die meine Unsicherheit bemerkte.

      Ich erhob mich am nächsten Morgen langsam von der Matratze, um Kaffee zu machen. Karen kam in die Küche, rieb sich verschlafen die Augen. “Morgen“ nuschelte sie. Es war 12 Uhr mittags, noch so was, das meine Eltern nie verstehen könnten. Früh schlafen gehen, früh aufstehen, das hält Geist und Körper gesund, das ist das Motto meines Vaters. „Wie isses gelaufen?“ fragte Karen.

      „Ich soll den Sommer hier bleiben und dann nach Hause kommen.

      Ich hab immer wieder gesagt, dass ich in Berlin leben will, doch meine Mutter hat nur gelacht.“

      „Und jetzt?“

      „Es interessiert mich nur was diesen Sommer passiert. Es gibt doch nur diesen Sommer.“

      Der Sommer schien endlos, Zeit gab es hier nicht mehr. Es gab nur Sonne, die sich abends in der Spree spiegelte, es gab etwas das passierte, es passierte einfach, ich tat nichts, gar nichts dafür. Ich ließ mich treiben. „Also hast du gesagt, OK, machen wir so?“

      „Ja, genau. Ach komm, Karen ich will nicht mehr davon reden. Ich will leben.

      Nur wovon weiß ich nicht. Ich lebe vom Geld meiner Eltern.

      „Wie viel haste denn noch?“

      „20 DM…“

      „Du schreibst doch immer Songs.“

      „Ja und?“

      „Mach doch Straßenmusik.“

      „Ich kann nicht Gitarre spielen.“

      „Aber ich.“ Karen holte eine Gitarre und stimmte sie. „Ich kann zwar nicht richtig spielen, aber wenn’s dir hilft…“

      „Was kannst du denn spielen?“

      Sie antwortete nicht, doch ich erkannte „Whats up“ von den „4NonBlondes“. Und dann sangen wir all diese Lieder von Oasis, Blur, Doors, Bob Dylan.

      „Wir sind gut!“

      „Naja“

       Karen , die sich für nichts begeistern konnte, lächelte wenigstens etwas.

      „Jaja, wir gehen jetzt Geld verdienen. Komm.“

      Wir verdienten 20 Dm, es war so leicht. Ich fand uns gut, ich hatte keine Angst, im Gegenteil. Die Leute blieben stehen, manche machten sich über uns lustig, doch das war mir egal. In dieser Stadt konnte ich 24 Stunden ich selbst sein.

      Feiern - Kapitel 8

      Es war heiß in Berlin, ich lief nach Hause, es war spät geworden, gestern im Palace. Wir waren danach noch im Wohnzimmer gewesen, Milosch versuchte, sich mit Judith zu verabreden, doch die blieb weiterhin undurchschaubar, lächelte, war nett zu ihm, doch wenn sich Felix, der etwas seltsam wirkende Metal-Typ und sehr wachsame Bruder, näherte, hatte sie plötzlich keine Zeit mehr.

      Auch nicht 18 Uhr, auch nicht nach Dienstschluss.

      Heute hasste ich Berlin, doch ich mochte das Laufen.

      Diese weiten Straßen, die Leere.

      Keine Menschen nur Häuser, eine Wüste.

      Keine Cafés, nur Straßen.

      Ich wusste nicht mehr, wo ich war, irgendwo, Prenzlauer Berg.

      Oderberger Straße, las ich dann auf einem Straßenschild. Ich lief weiter und sah dann doch Menschen. Sie saßen vor einem Indischen Restaurant, Alternative mit Dreads und Hunden.

      "Naan". Dunkel erinnerte ich mich an eine Karte vom Naan in Nikos Auto. Eine Frau fiel mir auf. Sie hatte ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen, trug gestreifte Shorts und war barfuß, die Beine nicht rasiert.

      Hey!" rief sie plötzlich, winkte, als würden wir uns kennen.

      Sie schüttelte meine Hand. "Ganz allein hier?" fragte sie und versuchte ihre Tochter davon abzuhalten, Chilisauce zu essen.

      "Kennen wir uns?" fragte ich

      "Ach, wir kennen uns doch, Rena. Wir haben uns doch schon öfter gesehen, wenn du mit deinen Eltern den Christoph besucht hast. Da warst du noch ganz klein, aber genauso dünn. Ein mitleidiges Lächeln.

      "Na, Marion, Marion Goretzki!"

      Aha, Marion also. Bisher war sie nur Nikos Frau gewesen.

      Namenlos, gesichtslos. Mit Niko war sie nie bei uns gewesen. Für mich nur eine von vielen unbekannten Frauen, die in unserem Wohnzimmer saßen und Rotwein tranken.

      "Du, ich wollte eigentlich gerade gehen, bin nur so spazieren gegangen." sagte ich und ärgerte mich über meinen Zwang, Gesten, Slang und Verhalten anderer Menschen nachzuahmen. Menschen, bei denen es so leicht war, sich ihnen anzupassen.

      Bei Ökotussis wie Marion kam vor jedem Satz ein: „Du“, „Grüß dich“ als Begrüßungsformel, „weißte“, „klaro“, „wa“.

      Und