Filme fahren. Ulrike Melzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Melzer
Издательство: Bookwire
Серия: Filme fahren
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762467
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eine der Ihrigen erkannt.

      Ich musste schnell verschwinden, das war klar.

      "Also, dann..."

      "Ach Quatsch, Spazierengehen bei der Hitze, hast du heute schon was gegessen"?

      "Nein, aber..."

      Falsche Antwort, denn Marion drückte mich nun in den Sessel.

      "Du isst jetzt mit uns, keine Widerrede. Bist eingeladen. Hab mir schon Sorgen um dich gemacht. So dünn wie du bist.“

      Niko kam aus dem aus dem Restaurant. Als er mich sah, war er kurz geschockt, hatte sich aber schnell wieder im Griff.

      "Ich hab ihr gesagt, sie soll mit uns essen, ist doch ok, oder?" "Ich geh jetzt besser, will euch keine Umstände machen".

      "Nichts da, du bleibst." Niko lächelte mich verkrampft an.

      Marion begann mit der Konversation, so als hätte sie das alles vorher geplant und einstudiert.

      "Sag mal Renate, was machst du eigentlich jetzt? Studierst du?“

      "Noch nicht, ich mach Straßenmusik.“

      "Echt? Das ist ja heiß!“

      Heiß, wieder so ein Wort.

      "Welches Instrument spielst du denn?"

      "Keins, ich singe. Karen spielt Gitarre".

      "Wow, und was singt ihr so"?

      "Alles Mögliche, viel Bob Dylan, halt Singer/Songwriter-Kram.

      Ich schreib aber auch eigene Songs".

      "Bob Dylan, Niko ist der größte Bob Dylan-Fan. Wo spielt ihr denn immer so? Das ist doch was für dich, Schatz"!

      Sie war ganz aufgeregt. "Er hat jedes Album und jede Biographie.

      Er ist echt besessen".

      "Ach, Blödsinn."

      Niko war das offensichtlich unangenehm. Marion wollte jetzt mehr wissen, was meine Eltern machten, wie lange ich bleiben würde, wie es mir in Berlin gefiel...

      Niko schien das nicht zu gefallen.

      Er sagte nichts, lächelte nicht mehr, saß nur da, mit verschränkten Armen.

      "Das muss sie dir nicht sagen"!

      Marion fuhr zusammen. Das passte nicht, bisher war doch alles so harmonisch, nett abgelaufen. Ein junges Ehepaar unterhielt sich nett.

      Doch Marion ließe sich nicht beirren, lächelte mich schief an und fragte: Was machst du hier nochmal genau"?

      "Hat sie doch eben alles schon mal erzählt: Sie macht hier Straßenmusik mit ihrer Freundin.

      Willst du es vielleicht noch schriftlich haben?" Ich nahm mir fest vor, zu gehen, sofort zu gehen.

      Und dann kam da dieser Freund von Niko.

      Er sagte was Witziges, Niko sagte was Witziges, ich lachte.

      Er sah mich an, ich sah ihn an, wir lachten gemeinsam.

      Nur ein ganz kurzer Augenblick.

      Marion hatte das gesehen, Marion sah alles, Marion gefiel das nicht.

      Sie musterte mich kritisch, dann ihn, dann wieder mich, zog die Augenbrauen hoch.

      Ich nahm meine Tasche. "Vielen Dank, ich muss jetzt wirklich gehen.“

      Und ich schwöre, ich wäre gegangen, wirklich.

      Wenn da nicht dieser Freund von Niko gekommen wäre. Eigentlich habe ich keinen Sinn für Witze, das meiste finde ich langweilig und unlustig. Doch Niko hatte einen Humor, den ich verstand.

      Er versuchte niemanden zu beeindrucken, er sagte Dinge, die eine Situation, Menschen, genau erfassten, sein Humor feierte den Untergang und entlarvte so die Schönheit, die da lauert, wo langweilige Menschen die Langeweile vermuten.

      Bei ihm hatte ich nicht das Gefühl, aufzublicken, zu bewundern. Ich teilte, ich gehörte dazu. Und deshalb musste ich bleiben, konnte nicht gehen.

      Und nur weil er mich ansieht und lacht und ich ihn ansehe und lache, mustert mich Marion kritisch, zieht die Augenbrauen hoch.

      Zeit zu gehen, dahin wo es keine bösen Blicke gibt. Zeit, für Wladis Dach.

      Milosch hielt mal wieder eine seiner Reden. "Wer bin ich denn, dass mir irgendwas oder irgendwer Angst macht. Weißte, Renalein, du musst immer denken,

      ich“, sagte er dann, „ich bin alles. Danach kommt nichts. Dann die Anderen unter mir.

      Ich bin der, um den sich alles dreht".

      Wladi schüttelte nur den Kopf. "Allmachtsphantasien des kleinen Mannes, sehr schön, sehr schön."

      Manchmal redete er von Erfurt, unzusammenhängend. Ich hätte gern mehr erfahren, doch Wladi redete nie klar. Er hatte Unvorstellbares erlebt. "In der Dunkelzelle siehst du alles deutlicher, wenn sie dir verwirrende Fragen stellen, musst du auch verwirren", sowas in der Art.

      Ratschläge, Lebensweisheiten. Ich habe Wladi noch nie eine Frage stellen hören.

      Manchmal zeigte er uns alte Fotos. Er hatte lange Haare gehabt, bunte Hemden und Hüte getragen. In seiner Punk Phase, zerschlissene Nietenjacken. Er hatte eine New Wave Band gehabt: "Schattenspiel", Theater gespielt, immer alles ausgesprochen, was ihm gerade so einfiel. Ein Bürgerrechtler war er nicht, nur Einer, der an die Freiheit glaubte und die, erklärte er uns, komme von Gott. Wenn Wladi von Gott redete, konnte ich etwas damit anfangen.

      Wladi sagte, die Kirche war damals ein subversiver Haufen, Underground.

      Doch jetzt fühlte er sich nicht mehr wohl dort, saß mit Apdi und Cem vor dem Haus und spielte Karten, oder organisierte private Gebetssessions in seiner Wohnung.

      Auf den Fotos war auch Niko zu sehen. Auch er trug lange Haare, einen Zopf.

      "Er hat sich nichts getraut" sagte Wladi. Saß immer nur Zuhause rum und hat Joy Division gehört. Ist stundenlang durch die Stadt gelaufen und hat geträumt, immer nur geträumt.

      Wollte Sänger werden, Schriftsteller, Dozent. Du musst mal was tun, hab ich ihm gesagt.

      Ich muss gar nichts, nur sterben, hat er dann gesagt."

      Wladi schüttelte den Kopf. "Und was ist jetzt aus ihm geworden? Taxifahrer, an der Garderobe arbeiten, wie n Student..." Er schlug sich mit der Hand vor den Kopf.

      "Aber du sagst doch immer, man soll seine Träume nicht leben", sagte Milosch jetzt, direkt wie immer.

      "Das hab ich nie gesagt. Ihr müsst mal zuhören wenn ich rede. Sowas wie meine Träume von der großen, weiten Welt", er zeigte auf seine Weltkarte an der Wand, die über seinem Sofa hing und auf der er all die Orte angekreuzt hatte, die er gern sehen würde, "Ja, natürlich. Aber wenns um deine eigene, ureigene Aufgabe in dieser Welt geht, die sich der Schöpfer höchstpersönlich für dich ausgedacht hat...”

      Wladi fuchtelte wild mit den Händen herum, Schweißperlen standen

      auf seiner Stirn, in seinen Augen der Ausdruck eines irren Heiligen.

      „Wladi...komm zum Punkt!“, sagte Milosch.

      „Faden verloren. Na, egal. Jedenfalls das Gefühl am frühen Morgen...

      was man da fühlt, ist real.“

      Ich dachte an die erste Nacht in Berlin, an den Morgen und das Gefühl der Stärke,

      die Gewissheit.

      „Was da passiert, was man da denkt, ist wahr. Das muss man tun, alles unterordnen.

      Du musst das tun, was richtig ist, was du tun musst in dieser Welt.

      Du“,wendete er sich an mich, „musst singen und Songs schreiben.

      Und du“, sagte er zu Milosch, „musst auch deine Texte schreiben.

      Ihr