Erfahrungen sind gut, mit Realität hat das gar nichts zu tun.
Realität ist hier.
„Echt, du hast gedacht, du bist schwanger? Bissl unwahrscheinlich, oder?"
„Na, du kennst mich doch. Ich steigere mich immer in alles hinein."
Und dann lachen wir, ein ganz vernünftiges Lachen, unserem zukünftigen Leben entgegensehend.
Ich werde die Schule beenden, ein gutes Abi machen, oh ja, das werde ich.
Dann studieren, beim Studieren jemanden kennenlernen. Wir ziehen in eine Berliner oder Leipziger Altbauwohnung. Grünpflanzen und eine Bialettikanne.
Mit 39 entschließe ich mich dann doch noch, Kinder zu bekommen.
Ich trage sie in einem bunten Tuch umher.
Jetzt bin ich wach, mitten in der Nacht und ich frage mich, wer von diesen beiden Ichs ich bin. Bin ich jetzt ich, oder am Tag?
Bald kommt der Tag, denke ich, dann denkst du anders.
Der Tag kommt, am Nachmittag harken meine Eltern im Garten Laub zusammen.
Ich sehe ihnen zu und plötzlich ist es wieder da: Das Wachrütteln, die Bilder,
die Erinnerungen.
Es klingelt, meine Eltern streiten sich, wer zur Tür geht, meine Mutter gewinnt.
„Mensch Christoph, schön dich zu sehen, das ist ja ne Überraschung!", höre ich meine Mutter sagen. Dann höre ich noch eine Stimme, eine Stimme, die mir vertraut ist. Karen.
Ich laufe ins Wohnzimmer und da sitzt sie tatsächlich, mit ihrer blauen Strickjacke und den Adidasschuhen. Es ist wie Nach-Hause-Kommen, ich muss fast heulen.
Wo war ich nur die ganze Zeit, was habe ich gedacht?
„Komm wieder zurück“, sagt Karen, als ich mit ihr in meinem Zimmer sitze.
„Wie stellst du dir das vor, ich muss doch zur Schule."
„Ja, ja“, sagt Karen. „Aber was, wenn ich dir nen Job besorge?"
„Was denn für nen Job?"
„Ach, an der Garderobe im Palace ist was frei geworden."
„Wieso, hört Niko auf?"
„Ja, endgültig, der ist weg für immer.“
„Warum?"
„Der macht sein Vikariat, in Buckow, glaub ich, halt irgendein Kaff in der märkischen Schweiz.
Machst du es?" „Du denkst echt, ich lass mein Abi sausen, für nen Job im Palace?"
„Ja. Du willst das doch alles gar nicht. Du willst Songs schreiben und mit mir Mucke machen. Jetzt sind auch die komischen Typen weg, die uns ablenken, für Kohle ist auch gesorgt...perfekt!"
Ich musste nicht mehr überlegen, es ging nicht mehr um Niko und diffuse Erinnerungen.
Es ging nur darum, nicht länger zweigeteilt zu sein.
Ich wollte mich nicht entscheiden müssen, welche von den beiden Renas ich sein wollte.
In Berlin, das wusste ich, gab es nur eine Rena.
Ich mach’s, wenn meine Eltern einverstanden sind.
Das waren sie natürlich nicht.
In den Herbstferien konnte ich nach Berlin um Karen und Milosch zu besuchen.
Niko wohnte noch in Berlin, war mit dem Umzug beschäftigt.
Wladi hatte Probleme mit seinem Sohn Carlos, der sich mit anderen Jungs prügelte.
Und Karen und Milosch waren einfach glücklich, mich wieder bei sich zu haben.
chillout - Kapitel 2
Wir sitzen rum und suchen nach Worten.
Hier auf dieser alten Holzkiste im Hinterhof von Nikos Wohnung
und ich habe Angst, dass jeden Moment jemand kommt.
Marion oder Lisa oder Tobi. Ich frage mich, warum Niko keine Angst hat.
Gerade habe ich ihm etwas Unglaubliches erzählt. Ich erwarte, dass er mich nun endgültig für verrückt erklärt. Warum auch nicht. Ich erwarte, möchte ein Ende.
Niko sieht mich an, ich sehe Niko an und darin liegt unser ganzes Leben, das sind wir: Zwei Augenpaare, die sich im Dunkeln anstarren. Mehr ist wohl nicht drin.
Jetzt sagt er was und ich höre es halblaut. Ich frage mich, was er will. Er sieht mich fragend an. Ich habe ein Ziel, ich habe einen Gedanken. Ich muss den Song fertig schreiben und Niko stört dabei nur. Doch er geht nicht, so wie er damals nicht gegangen ist. Ein Blick, was ist dabei?
Mir fallen nur die falschen Sachen ein, also sage ich nichts. Plötzlich lacht er laut.
„Das ist doch zu absurd“, sagt er.
„Wir wissen beide nicht, was passiert ist. Da ist einfach was passiert. Vielleicht ist nichts passiert. Niemand weiß es.“
„Nein“, sage ich und lache auch.
„Ich bin auch Schlafwandler“, sagt er.
„Ach...“
„Ja.“
Eine lange Pause und drei Zigaretten später:
„Und ich mache auch komische Dinge im Schlaf. Laufe rum und gehe in andere Zimmer. Du weißt schon.“
„Nein.“
„Meine Beziehungen waren immer nach einer Woche beendet - capisce?“
Ich lache, „ja, jetzt schon.“
Er lacht auch, entspannt sich.
„Also ich fasse zusammen: Wir wissen nicht, was im Park passiert ist.“
„Und trotzdem kann es sein, dass gar nichts passiert ist“, sagt er.
„Ja“, sage ich wieder.
„Aber wir haben beide Erinnerungen - könnte aber auch ein Traum gewesen sein.
Immerhin warst du ja nun doch nicht schwanger.
Wie hättest du sie oder ihn genannt?“
Zuerst starre ich ihn an, denke, dass nur er das kann: So eine vollkommen geschmacklose, deplatzierte Frage zu stellen. Doch ich bin nicht wütend.
Ich muss nur lachen.
Wir lachen weiter, werden immer alberner.
„Wir haben eine imaginäre Tochter“, sagt er.
„Ist doch alles irgendwie imaginär.
Du kümmerst dich gar nicht.“
„Du wolltest doch unbedingt eine unabhängige, coole, alleinerziehende Berlinmittemutti sein.“
„Stimmt auch wieder, ich habe mich durch die Schwangerschaft ja erst selbst gefunden.“
„Ach das, meinte Wladi." Ich dachte an das Gespräch von Wladi und Tamara.
Jetzt machte alles Sinn. "Was denn?" „Sie haben über dich geredet..."
„Was, dass ich nur rumhänge und nichts aus meinem Leben mache?"
„So ungefähr. Und von einer Alina..."
„Meine Schwester-also Halbschwester. Aus der Ukraine."
„Ach..."
„Ja, sie ist nach Berlin gekommen, hat dann kurz Kirchenmusik studiert, hat ne Gesangsausbildung angefangen. Verrücktes Huhn."
Er