Zerrissen. Andreas Osinski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Osinski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847689928
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auf die Seite. Lisa hatte ihn einmal betrogen. Ein einziges Mal nur in der ganzen gemeinsamen Zeit. Eine kurze Affäre, mehr nicht. Ganz am Anfang ihrer Beziehung. Er hatte es herausbekommen, denn Lisa war unachtsam gewesen. Er hatte sie dann eine zeitlang überwachen lassen, durch einen Privatdetektiv. Vorsorglich. Da die Affäre zu diesem Zeitpunkt allerdings schon wieder beendet war, hatte er leider nicht in Erfahrung bringen können, wer der andere war. Hätte er es herausbekommen, dann hätte er den Nebenbuhler zur Strecke gebracht. Vernichtet. So etwas macht man nicht mit ihm. Nicht mit ihm! Er hatte Lisa nichts davon gesagt, daß er von ihrem Seitensprung wußte. Und er hatte es ihr auch nicht verziehen. Bis heute nicht. Er hatte es ernsthaft versucht, aber es hatte nicht geklappt. Dann hatte er es verdrängt, einfach beiseite geschoben. Aber seit damals hatte sie ihn nicht mehr betrogen, da war er sich sicher. Es war nur dieses eine Mal. Klaus-Dieter Warbs drehte sich auf die andere Seite und zog die Beine dicht unter den Bauch. Lisa schlief noch immer tief und fest. Er mußte an die vergangenen Jahre mit ihr denken. Bis auf diese kleine Geschichte hatten bis eine wunderbare Zeit miteinander verlebt.Natürlich es hatte es zwischen ihnen auch Differenzen gegeben, denn das gehörte doch einfach zu einer guten Beziehung dazu. Aber sie hatten immer Lösungen gefunden, für ihre Probleme. Zumindest aber Kompromisse. In den meisten Fällen hatte sich Lisa irgendwann seinem Willen gebeugt und er hatte es belohnt. Er hatte ihr dann etwas Schönes gekauft. Ein Schmuckstück, ein Sportwagen oder etwas Hübsches zum Anziehen. Als Ausgleich, sozusagen. Und sie hatten sich den notwendigen Freiraum gelassen und waren sich -wenn nötig- auch mal für eine Zeit aus dem Weg gegangen. Bereits damals, beim Einstellungstermin hatte es zwischen ihnen beiden heftig gefunkt. Es war da, dieses ganz bestimmte Prickeln. Er hatte es sofort gespürt. Lisa hatte es erst am Verlobungstag eingestanden, daß sie sich auch schon damals in ihn verliebt hatte. Bis zu diesem Tag war es jedoch ein weiter Weg gewesen. Er konnte sich noch gut an ihr erstes Zusammentreffen erinnern. Er hatte kurz zuvor seinen gutbezahlten Job beim hiesigen Boulevardblatt aufgegeben und einen eigenen Verlag gegründet. In der Anfangszeit hatte er alle anfallenden Arbeiten selbst erledigt. Er war zum Telefon gerannt, hatte Briefe getippt und Termine vereinbart, hatte zahllose Gespräche geführt und sich seinen Kaffee selbst gekocht. Dann hatte er eine Assistentin gesucht. Jemand, der ihm einen Teil dieser Arbeiten abnehmen konnte. Auf das Zeitungsinserat hin hatten sich ein Menge junger Dinger gemeldet. Und Lisa. Sie hatte zunächst den Eindruck einer schüchternen grauen Maus auf ihn gemacht. Eine graue Maus ohne Selbsbewußtsein und in einem hellblauen Sommerkleid. Aber ihre Referenzen waren exzellent gewesen und er hatte dieses Prickeln gespürt. Dieses eine bestimmte Prickeln. Die Entscheidung sie einzustellen, war ihm schließlich leicht gefallen. Zu zweit hatten sie seinen Verlag an die Spitze geführt. Es hatte ein paar Jahre gedauert, aber er hatte es geschafft. Dabei hatte er Lisa nie als bloße Assistentin oder Sekretärin angesehen oder behandelt, sondern als Partnerin. Zwar nicht gleichberechtigt, aber doch schon nahe dran. Er war der Chef, das hatte er gleich klargestellt. Einer mußte schließlich das Sagen haben und die Last der Verantwortung tragen, wenn es funktionieren sollte. Waren sie über eine Angelegenheit einmal nicht einer Meinung, so lag es in seiner Kompetenz, eine abschließende Entscheidung zu fällen. Dieses Recht hatte er sich nicht nehmen lassen. Nicht einmal von ihr! Lisa hatte sich dann im Lauf der Jahre sehr positiv verändert und war zu einer selbstbewußten Persönlichkeit herangereift. Bescheiden, bodenständig und herzensgut. Zuweilen aber auch ein wenig aufsässig. Manchmal hatte er Schwierigkeiten gehabt, mit ihrer Entwicklung Schritt halten zu können, denn Lisa hatte sehr schnell gelernt. Schneller, als es ihm eigentlich lieb war. Denn eine Treppe nahm man auch Stufe für Stufe, wenn man nicht stolpern wollte. Das was sie war, hatte sie letztlich ihm zu verdanken. Er hatte sie geformt. Von der kleinen grauen Maus zur selbsbewußten Frau. Er hatte sie in die feine Gesellschaft eingeführt und er hatte ihr auch die nötigen Umgangsformen beigebracht. Er selbst hatte sich seinen Platz in der Gesellschaft hart erkämpfen müssen. Mit Fleiß, Ehrgeiz und Arbeit. Keiner hatte ihm etwas geschenkt. Dann war er aufgestiegen. Von einem kleinen Zeitungsmitarbeiter bis zum einem Machtfaktor in der Stadt. Und niemand hatte ihm dabei geholfen. Darauf war er stolz. Eines Tages hatte er sich auf einer gemeinsamen Geschäftsreise nach Italien dann ein Herz gefaßt und sie gebeten, seine Frau zu werden. Eine Ehefrau war doch etwas anderes, als eine Lebensgefährtin. Und es klang auch einfach besser, wenn er Lisa seinen Geschäfspartnern als seine Ehegattin vorstellen konnte. Sie hatte ihm nur lapidar und mit gespielter Langeweile geantwortet, daß sie ihre Hoffnung schon beinahe aufgegeben hatte, diese Frage jemals aus seinem Munde zu hören. Dann hatten sie geheiratet und die anschließenden Flitterwochen in Venedig verbracht. Zwei Wochen, mehr Zeit hatte ihnen der enge Terminkalender nicht gelassen. Kurz darauf hatte Lisa ihn mit der Nachricht überrascht, daß sie ein Kind erwarteten. Zunächst hatte er sich an den Gedanken gewöhnen müssen, war dann jedoch glücklich gewesen. Er hatte einfach ein wenig Zeit gebraucht, sich mit dieser Sache zu beschäftigen. Außerdem war sein Kopf voll mit geschäftlichen Dingen. Danach hatten sie beschlossen, daß Lisa ihre Mitarbeit in der Leitung des Verlages zunächst für ein paar Jahre unterbrechen und sich ausschließlich um die Erziehung ihrer Tochter kümmern sollte. Eine Kinderfrau war für sie beide damals nicht in Frage gekommen, denn sie hatten Claudias Erziehung nicht einfach in die Hände einer wildfremden Person legen wollen. Heute dachte er ein wenig anders darüber. Jetzt, wo Claudia ihr eigenes Leben lebte und kläglich gescheitert war. Vielleicht wäre einiges in ihrer persönlichen Entwicklung besser verlaufen, hätten sie damals eine professionelle Kraft mit der Erziehung betraut. Möglicherweise hätte sie die Entführung dann besser verkraftet. Klaus-Dieter Warbs drehte sich wieder auf den Rücken und öffnete langsam die Augen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen! Und da Lisa nach Claudias Geburt ausfiel, hatte er kurzerhand Frau Busch als seine neue Assistentin eingestellt. Eine kurzhaarige Mittdreißigerin, die sich im Laufe der Zeit als vollwertiger Ersatz herausgestellt hatte. Lisa sollte ihre Tätigkeit im Verlag zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen. Sobald Claudia aus dem gröbsten heraus wäre und eine Kindertagesstätte besuchen könnte. Dazu war es dann jedoch nicht mehr gekommen, denn seine Frau hatte neben Claudias Erziehung angefangen zu schreiben und sich als Kinderbuchautorin mittlerweile einen Namen gemacht. So hatte er Frau Busch behalten. Auch wenn Lisa nicht mehr aktiv in der geschäftlichen Leitung seiner Firma tätig war, so hieß das jedoch nicht, daß sie sich überhaupt nicht mehr um die Belange des Verlages kümmerte. Sie hatte ihr Betätigungsfeld einfach verlagert und sah ihre Aufgabe jetzt eher darin, ihm in allen erdenklichen Situationen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und ihm den erforderlichen Rückhalt zu geben. Hinter jedem erfolgreichen Mann steckte eine starke Frau, hatte er im Managermagazin gelesen. Und es stimmte. Lisa war seine Kraft und Energie. Sie war sein Motor. Hatte er geschäftliche Probleme, so konnte er mit ihr reden. Sie hatte die Lösungen. Sie hörte aufmerksam zu, hinterfragte oder gab ihm einen Rat, der die bis dahin unerreichbar erscheinende Lösung zumindest ein Stück näherbrachte. Zudem war Lisa dank seiner Schule eine charmante und brilliante Gastgeberin bei den unzähligen Cocktailparties und Arbeitsessen in ihrem Haus. Stockte eine geschäftliche Unterredung, so war oftmals sie es, die neue, einfallsreiche Aspekte aufzeigte, das fehlende Puzzleteil lieferte oder eine Alternativlösung aufzeigen konnte. Nichts desto trotz konnte Lisa auch hart sein, wenn es sein mußte. Er hatte diese Härte schon ein paarmal deutlich zu Spüren bekommen. In den meisten Fällen war es um Claudias Erziehung gegangen. Manchmal hatten sie einfach zu unterschiedliche Ansichten gehabt. Aber er hatte im Laufe der Zeit gelernt, daß es besser war, Lisa in solchen Situationen einfach aus dem Weg zu gehen. Er war nicht sonderlich versessen darauf, ewig mit ihr zu streiten. Denn bei dieser Thematik zog er regelmäßig den Kürzeren! Klaus-Dieter Warbs setzte sich langsam in seinem Bett auf, verharrte noch einen Moment wie regungslos und wandte sich schließlich wieder nach links zu Lisa. Das Gewicht seines Oberkörpers ruhte auf seinem linken Ellenbogen, den Kopf hatte er in die linke Handfläche gelegt. Behutsam strich er mit seiner Rechten über das kastanienbraune Haar, das ihre eine Gesichtshälfte wie ein schützender Vorhang fast völlig verbarg. Er nahm es vorsichtig zur Seite, beugte sich ganz zu ihr herunter und berührte mit seinen Lippen sanft und liebevoll ihre rechte Wange. Er liebte diese Frau und er war süchtig nach ihr. Und hoffentlich würden sie noch viele Jahre miteinander verbringen dürfen. Klaus-Dieter Warbs warf sich schwungvoll auf die andere Seite des Bettes und schlug mit einem gezielten Ruck die blaugeblümte Decke zur Seite. Es wurde Zeit für ihn. Und wenn er heute schon aufstehen mußte, so konnte er es auch gleich tun, ging es ihm durch den Kopf, als er mit langsamen Schritten in das gegenüberliegende Bad schlurfte. Auf dem Weg dorthin fuhr er sich noch kurz