Zerrissen. Andreas Osinski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Osinski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847689928
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und bemerkte, wie sich die schwere Holztür im Morgenwind leicht hin und her bewegte. Als ob dies ein Zeichen war, auf das zu reagieren war, griff er mit seiner Linken hinter den metallenen Türöffner und zog diesen kräftig zu sich heran. Vorsichtig, so als hinge alles von dieser bevorstehenden Aktion ab, stemmte er seinen linken Ellenbogen gegen das dunkle Leder der schweren Wagentür. Ein lautes und durchdringendes Quietschen durchschnitt die morgendliche Stille, als die Fahrertür seines Volvos dem Druck schließlich nachgab und mit einem Satz aufsprang. Der Mann hielt abrupt inne. Eine unerträgliche Hitze schoß plötzlich in ihm hoch. Sein Kopf schien zu glühen und das Herz pochte wild. Er wagte es nicht mehr, zu atmen. Schlagartig wurde ihm bewußt, daß die gesamte Umgebung dieses Geräusch gehört haben mußte. Wenn er schon bisher nicht aufgefallen war, so mit Sicherheit jetzt! Wie regungslos verharrte er zunächst auf dem Sitz, atmete dann mehrmals tief durch und sah sich wieder prüfend zu allen Seiten um. Alles war unverändert. Kein zeterndes Hundegebell, keine zurückgezogenen Gardinen. Nur diese eine geöffnete Eingangstür zu seiner Linken. Er schloß für einen Moment die Augen, drückte den Nacken gegen das kühle Leder der Kopfstütze und versuchte sich wieder zu beruhigen. Nochmal gutgegangen, ging es ihm durch den Kopf. Was würde er jetzt für eine Zigarette geben. Nur eine einzige Zigarette. Aber dafür war jetzt leider keine Zeit mehr. Ein letztes Mal sah er sich prüfend um und schlich im Zeitlupentempo aus seinem Wagen, die Eingangstür zu seiner Linken stets im Auge behaltend. Sofort suchte er Deckung hinter der halbgeöffneten Fahrertür, nachdem er diese noch ein wenig mehr aufgedrückt hatte. Sein Herz schlug noch immer schnell und pulsierend. Es klang so, als bearbeitete man mit einem schweren Hammer einen Amboß, um diesen von irgendwelchen verborgenen bösen Geistern zu säubern. Durch das geöffnete Seitenfenster hindurch lugte er auf das gegenüberliegende schwarze Eingangstor. Vielleicht zehn Meter trennten ihn jetzt noch von dieser Barriere. Der Mann wartete einige Sekunden, machte dann einen kurzen Schritt zur Seite und schob mit seiner Rechten die schwere Wagentür ins Schloß. Er atmete tief durch, hielt die Luft an und schlich in geduckter Haltung auf die andere Straßenseite. Die noch nicht ganz gewichene Morgendämmerung gab ihm den nötigen Schutz. Sofort suchte er wieder Deckung hinter der rechten Klinkersäule, nachdem er die breite Vorortstraße mit einigen kurzen Schritten überquert hatte. Wieder hielt er die Luft an, verharrte für einen Moment wie regungslos und wandte sich dann wenige Zentimeter nach rechts. Von dieser Position aus war der gesamten Eingangsbereich gut zu überblicken. Es hatte sich nichts verändert. Sein Herz schlug wie wild. Nur noch wenige Meter trennten ihn jetzt von der geöffneten Eingangstür, seinem Ziel. Von seinem Standort aus wirkte das mächtige Tor rechts in seinem Rücken noch gewaltiger, noch unüberwindbarer. Er mußte mehrmals schlucken. Und im Vergleich zu diesem hochherausragenden Tor fühlte er sich winzig. Winzig und irgendwie unscheinbar.Wie im Zeitlupentempo griff der Mann in die Seitentasche der Jacke und zog die Walther heraus. Er spürte, wie seine Hand wieder zu zittern anfing, ihm einfach nicht mehr richtig gehorchte. Hoffentlich würde er diese Waffe nicht benutzen müssen, ging es ihm durch den Kopf, als er sich ein letztes Mal nach rechts umschaute. Nachdem er sich mit einem prüfenden Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite vergewissert hatte, daß ihn auch von hier aus niemand beobachtete, sprang er mit zwei kurzen Sätzen auf die Mitte des wuchtigen Metalltores zu. Ehrfürchtig drückte er mit seiner Linken die massige Eisenklinke herunter und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den linken Torflügel. Schwer und geräuschlos setzte sich der Metallkoloß in Bewegung und schwang langsam nach innen auf. Ein knirschendes Geräusch drang an sein Ohr, als er mit langsamen Schritten das Anwesen betrat. Und ihm wurde schlagartig bewußt, daß es nun keinen Weg mehr zurück gab. Er hatte die sichere Welt vor dem Tor verlassen und war im Begriff -wenn auch nur für einen kurzen Moment- in diese für ihn so fremde Welt einzudringen. Nur solange, wie dieser Job dauerte. Keine Sekunde länger. Hier hatte er nicht das geringste zu suchen und es gab keinerlei Verbindung zwischen ihm und dieser Welt. Mal abgesehen von ihr, die Frau die er liebte und die hier aufgewachsen war. Er hatte die allerletzte Warnung mißachtet, dem erhobenen Zeigefinger keinerlei Beachtung geschenkt und war durch dieses Tor marschiert. So einfach war das. Er befand sich auf der Zielgeraden und keiner konnte ihn mehr stoppen. Vorsichtig und in geduckter Haltung schlich der Mann die Auffahrt zu den Garagen hinauf, machte einen kleinen Schwenk nach rechts, bis schließlich das gemauerte Eingangspodest vor ihm lag. Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich, atmete nochmals tief durch und drückte den Rücken eng an die rechte Marmorsäule. Er spürte die durchdringende Kühle des Mauerwerks durch den Stoff seiner Jacke hindurch, als er den Kopf hob und den Sicherungshebel der Walther umlegte.

      Die reliefartig verglasten Metalltüren schwangen lautlos zur Seite und gaben den Blick ins Innere der riesigen Gepäckabfertigung frei. An der gegenüberliegenden Seite der Halle fielen ihr sofort zahlreiche große Poster mit fernöstlich aussehenden Landschaften und Motiven ins Auge. Ein buddhistischer Tempel, ein Bild mit zwei freundlich dreinblickenden Reisbauern und einem Ochsen in der Mitte, das Portrait einer asiatischen Schönheit mit weißblitzenden Zähnen und braunen Mandelaugen. Davor zusammengeschobene Gepäckwagen an einem Automaten. Links neben der Durchgangstür der lange Tresen der Zollabfertigung mit einem uniformierten Beamten dahinter. Die Hände hatte der graubärtige mit wichtiger Mine auf dem Rücken gefaltet und er wippte auf den Zehenspitzen leicht hin und her. Aus den unsichtbaren Lautsprechern in der Halle drangen fortwährend schlecht verständliche Ankündungen der Flughafenansage zu ihr herüber. Es waren nur Wortfetzen, die sie vernehmen konnte. Aber es ging um verspätete Flüge und vermißte Passagiere. Das konnte sie durch den Lärm und das Stimmengewirr heraushören. Durch die geöffneten Türen hindurch erblickte sie Beatrice schließlich in einer kleinen Menschentraube an einem der zahlreichen Kofferbänder. Darüber eine gelbe Leuchttafel mit der Aufschrift „Air Canada 872 Toronto“ Beatrice trug wie immer Jeans, eine leichte Sommerjacke und eine blaue Baseballkappe. Ihr rotkariertes Holzfällerhemd hing über der Hose und lugte lang unter der hellen Jacke hervor. Nachdem sie ihren kleinen Lederkoffer schließlich vom Band gefischt hatte, kam sie winkend zu ihr herüber. Der Zollbeamte nickte mit freundlicher Mine und geleitete sie mit einer schnellen Handbewegung durch die Kontrolle. Beatrice sah müde aus. Die verquollenen roten Augen hatten etwas kaninchenartiges. Sie fielen sich wortlos in die Arme und hielten sich lange fest. „Schön Dich endlich hier zu haben!“ flüsterte sie schließlich leise in Beatrice Ohr. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich freue, Dich zu sehen.“ fügte sie nach einer kurzen Pause noch hinzu.Sie lösten sich voneinander und hielten sich weiterhin an den Händen. Eine Freudenträne rann ihr über die Wange, als sie tief in das Gesicht ihrer Freundin blickte. Beatrice nahm kurzerhand den Handrücken hoch und wischte mit einer behutsamen und liebevollen Geste über ihr gerötetes Gesicht. „Hallo wie geht es Dir!“ entfuhr es Beatrice mit leiser Stimme. „Gut!“ antwortete sie, nachdem sie sich beruhigt hatte.„Wie war der Flug?“ „Anstrengend. Ich bin ziemlich müde.“ antwortete Beatrice kopfschüttelnd. „Wir hatten eine Menge Turbulenzen über Grönland. An Schlaf war da nicht zu denken!“ „Das kann ich mir gut vorstellen.“ antwortete sie mit einem verständnisvollen Unterton in der Stimme. „Möchtest Du etwas essen oder möchtest Du einen Kaffee?“ „Nein danke. Sehr lieb von Dir!“ antwortete Beatrice. „Aber ich hatte im Flieger schon eine Kleinigkeit!“ „Okay, dann bringe ich Dich jetzt in Dein Hotel. Ich habe Dir ein Zimmer gemietet.“ sagte sie und griff nach dem hellen Lederkoffer auf dem Steinfußboden.„Schlaf ` ein bißchen. Du mußt erst später kommen.“ „Das kann ich jetzt wirklich gut gebrauchen!“ sagte Beatrice, während sie gemeinsam durch die endlos erscheinende Eingangshalle schlenderten. Sie verließen das Ankunfterminal und gingen den überdachten Weg zu den Parkplätzen entlang. „Am besten Du nimmst dir später ein Taxi und fährst direkt zur Halle.“ schlug sie vor, während sie in ihrer kleinen Handtasche nach den Autoschlüsseln suchte. „Gut“ antwortete Beatrice kurz. „Hat er sich schon gemeldet? „Ich habe gerade vor ein paar Minuten noch mit ihm telefoniert und ihm ein bißchen Mut gemacht.“„War er wieder so neben der Spur?“ fragte Beatrice besorgt. „Ja, aber ich konnte ihn beruhigen.“ antwortete sie kurz. Sie blickte zu Beatrice auf dem Beifahrersitz. „Mach Dir keine Sorgen. Er wird es schaffen. Ich weiß es!“ fügte sie hinzu, während sie den Motor des Ford startete.

      Kapitel 2

      Der machanische Wecker auf Klaus-Dieter Warbs Nachttisch klingelte laut und ohne Erbarmen. Stärker und stärker drang