Silber. Hans.Joachim Steigertahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans.Joachim Steigertahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034127
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Halle. Ein noch recht junger, hochgewachsener Ritter, deutlich gekennzeichnet durch das luxemburger Wappen, den aufrechtstehenden roten Löwen auf grauem Grund, erhob sich aus dem Hochsessel. „Was wünscht ihr?“ Heinrich von Hohnstein neigte wie die anderen seinen Kopf und sprach für alle: „Wir sind thüringische Ritter, geschickt von meinem Vater Cuonrad von Hohnstein, dem Münzmeister des Landgrafen von Thüringen, um diesen Knaben“, er deutete auf Cuno, „ zu Boleslav Přemysl in Jihlava zu bringen, bei dem er Knappendienste leisten soll.“ Er stellte die Ritter vor. Heinrich grinste immer breiter und streckte dann den Rittern die Hand hin: „Ihr kommt wie gerufen! Die ganze Stadt wird heute toben, das Saufen wird kein Ende nehmen und die Büttel werden eifrig zu tun haben. Gerade eben hat mich der Magistrat eingeladen, mit den Ratsherren und den Bürgern zu feiern, aber jetzt kann ich doch nicht so ehrenwerte Gäste einfach allein lassen!“ Er rief nach Mägden und Knechten, und bald wurde in der Halle aufgedeckt. Die Reisenden legten ihre nassen Mäntel ab und reinigten sich so gut es ging. Nur Gernot und Cuno gingen zum Brunnen im Lichthof und wuschen sich wenigstens oberflächlich. Dabei bekam Wolf auch gleich einen Krug voll Wasser.

      Als die drei zurückkamen, saßen die anderen bereits am Tisch. Ein Krug kreiste, die Becher wurden gefüllt, und die Thüringer berichteten von der Reise. Graf Heinrich war besonders an dem Bericht über Salomon Herschels Flucht interessiert. „Er ist, nein, war einer der wichtigsten Kaufleute in Prag, und wenn er geht… Ich muss morgen mit dem Ältesten der jüdischen Gemeinde hier reden, um zu sehen, ob wirklich Gefahr besteht oder Herschel einfach nur langsam zu alt wurde. Aber lassen wir das Tagesgeschäft: Darf ich Euch meine Gattin Ermingilde vorstellen, die Hausherrin hier in Pisek!“ Eine großgewachsene, recht rundliche Frau mit einem freundlichen Lächeln trat an die Tafel und begrüßte die Ritter. „Und das ist mein Patenkind Salwa, die Tochter eines edlen Ritters aus der Nachbarschaft, die in den Unruhen der letzten Jahre leider alle engen Verwandten verloren hat und deshalb an Kindesstatt bei uns aufwächst, nachdem wir selbst keine Kinder haben!“ Ein Mädchen, etwa so alt wie Cuno, trat an den Tisch und knickste. Der kleine Steigerthal starrte sie an. Sie war gertenschlank, hatte rotbraune Haare, zu Zöpfen geflochten und wie einen Kranz um den Kopf gelegt, Augen, die so grün waren wie die saftigen Wiesen, durch die sie geritten waren, ein ovales Gesicht mit hohen Backenknochen und eine schneeweiße Haut mit ein paar winzigen Sommersprossen. „Setz dich zu Cuno, dann kannst du ihm alles über die Česka erzählen, zumindest alles, was er wissen muss, wenn er hier dienen soll!“ Salwa gehorchte und setzte sich Cuno gegenüber an die Tafel. „Das tut mir Leid mit Deinen Eltern.“ „Ist gut, es ist schon so lange her, dass ich mich kaum noch an sie erinnern kann, und außer, dass ich Tschechin bin, gehöre ich eigentlich zu Heinrich und Ermingilde – ich sage aber immer Hermine zu ihr! Sie senkte ein wenig ihre helle Stimme: „Wo sollst du dienen? Als was? Wie kommt es, dass nur du und dein Bruder sich gewaschen haben – ich habe euch am Brunnen gesehen?“ Cuno war verwirrt, dass ausgerechnet sie das Waschen mitbekommen hatte, aber eigentlich war das das Einfachste von allem, und deshalb begann er: „Also, das mit dem Waschen ist so eine verrückte Sache in meiner Familie: Mein Urgroßvater war bei dem letzten Kreuzzug dabei und lernte auf Zypern, als sie auf Schiffe warteten, die sie weiterbringen könnten, seine spätere Frau kennen. Die hat ihn die orientalischen Gewohnheiten der Körperpflege gelehrt, und als sie ihm dann später nach Erfurt gefolgt ist, hat sie natürlich auf diesen Gewohnheiten bestanden. Von ihr hat es meine Großmutter gelernt, von der meine Mutter und so haben auch wir heute zu Hause bei uns in der Burg einen Baderaum, in dem wir uns täglich waschen – was für Rittersleute wohl schon recht ungewöhnlich ist. Und irgendwann hast du dich dann daran gewöhnt, dass du dich nur noch sauber richtig wohlfühlst. Aber bitte mit warmem Wasser gewaschen! Ich fürchte, das wird mir fehlen, wenn ich nächste Woche meinen Dienst als Knappe bei Boleslav Přemisl in – wart mal, du würdest sagen Jihlava, oder? – antrete.“

      „Beim dicken Přemisl? Da wirst du so manches erleben! Also dick ist vielleicht falsch, er ist so hoch wie breit, aber so kräftig, dass er immer noch manche seiner Bergleute eigenhändig aus dem Schacht schmeißen kann. Sollst du bei ihm als Knappe das Ritterhandwerk lernen oder den Bergbau – den kann er nämlich besser!“ „Kennst du ihn? Mein Pate, der Vater von Walter da drüben, sagte, er sei ein hervorragender Ritter.“ „Das war er sicher auch, aber seit ich ihn kenne, und es sind ja nur zwei Tage von hier nach Jihlava, ist er immer breiter geworden und wohl auch immer reicher. Er hat sogar, das wird dir gefallen, ein Badehaus gebaut, da soll es warmes Wasser direkt aus einem Rohr geben. Da war ich allerdings nie drin! Eigentlich soll ich mit dir aber nicht über Boleslav schwätzen, sondern dir erklären, was uns Tschechen von den Deutschen unterscheidet. Also, da ist natürlich Česka, die Sprache, aber in Jihlava wirst du mit Deutsch gut durchkommen, die Fachbegriffe der Knappen und Steiger in der anderen Sprache lernst du schnell.

      Wir lieben die Freiheit, deswegen gibt es bei uns auch nicht das komische System wie bei euch. Ritter sind reiche Grundbesitzer, aber Menschen gehören ihnen nicht, wie es bei euch sein soll. Und Treue schwört man hier seinem Herrn und seinem Gemahl, aber nicht irgendeinem Fürsten. Und deshalb ist unser Ehrbegriff auch nicht an irgendwelche seltsamen Regeln gebunden, sondern Ehre hat, wer ehrlich, also ohne Betrügereien, seinen Lebensunterhalt verdient. Auch ein Bauer, Steiger oder Knappe hat seine Ehre. Wer ihm die wegzunehmen droht, bekommt allerdings Probleme! Auch wir Frauen,“ sie verbesserte sich, „auch wir Frauen und Mädchen haben unsere Ehre, die wir und unsere Familien mit allen Mitteln verteidigen. Komm‘ also nie einem tschechischen Mädchen zu nahe, auch keiner Magd, es sei denn, die Familien haben sich abgesprochen!“

      „Da haut aber jemand auf den Putz!“ dröhnte Graf Heinrich, der die letzten Sätze mitgehört hatte, weil Salwa wieder lauter geworden war. „Aber im Grunde hast du recht, das macht das Leben hier in Böhmen so anders als im alten Reich der Lehnsmänner. Hier ist jeder für sich allein verantwortlich und handelt deshalb so, dass er es auch verantworten kann.“ Gernot wollte gerade mit den anderen Rittern über diesen ungewohnten Ehrbegriff disputieren, wusste er doch, wie das Hochhalten der Adelsregeln seine eigene Familie noch im letzten Frühjahr getroffen hatte, als lautes Gegröle von der Straße herüberklang. „Das ist es, was ich vorhin meinte! Lasst uns in Frieden hier oben das Mahl einnehmen und dann muss ich wohl noch einmal mit meinen Leuten zu Pferd und durch die Stadt reiten, um den übermütigsten Bürgern zu zeigen, dass die Ordnung aufrecht erhalten bleibt!“

      Die Mägde trugen auf und Ermingilde erklärte den thüringischen Rittern, was die Frauen servierten. „Wir schmoren das Fleisch meistens, weil da eine kräftige Sauce entsteht, die gut zu dem passt, was die Menschen hier am liebsten essen, nämlich Knödel. Das sind große Kugeln aus Hefeteig, die in wenig heißem Wasser zum Aufquellen gebracht werden und dann geschnitten wie bei Euch Brot zum Austunken der Sauce dienen. In Böhmen gibt es alles, was das Herz begehrt, Feldfrüchte aller Art, Obst, besonders Zwetschgen, aus denen ein Brand hergestellt wird, der selbst mir schmeckt, Gemüse, Beeren, Pilze, Wildbret. Und die Grundlage ist das Fleisch von Schweinen und Rindern. Das, was vor Euch steht, ist geschmortes Schwein.“ Salwa schaltete sich ein: „Unser Urvater Čech hat gesagt, Tschechien sei das Land, in dem Milch und Honig fließen. Ich würde nie hier weggehen wollen! Und du, Cuno, wirst noch sehen, wie gut es einem hier geht.“ Gutmütig spottend setzte Heinrich den Gedanken seines Patenkindes fort: „Und da du Knappendienst leisten wirst, besteht auch nicht die Gefahr, dass dir das Essen solche Probleme bereitet wie meiner Ermingilda,“ und zwickte seine Gemahlin in die runden Hüften. Alle griffen zu, auch Cuno, der aber zunehmend unruhiger wurde, weil er glaubte, ein leises Winseln zu hören, das sein schlechtes Gewissen hervorrief. Salwa merkte etwas und fragte: „Was ist? Das Essen schmeckt doch gut, oder?“ „Ja, und wie, aber ich habe es versäumt, mich um etwas Wichtiges zu kümmern, und jetzt befürchte ich nichts Gutes.“ „Was ist das?“ „Ich habe vor drei Wochen ein Wolfskind gefunden, das ich als Hund behalten will, und die ganze Zeit habe ich es gefüttert, aber heute …“ „Wo ist es?“ „Da hinten hinter den Bänken, wo wir unsere Sachen abgelegt haben. „Komm!“ Sie stand auf und zog ihn mit. „Wo ist es?“ Cuno hörte Wolf ganz genau und fand ihn hinter der Pferdedecke, von Cunos Mantel fast zugedeckt. „Ist der putzig,“ rief sie. „Wer ist hier putzig?“ erkundigte sich Ermingilda. Cuno führte Wolf an seinem Strick näher an die Tafel und erklärte unter dem Grinsen seiner Reisekumpane noch mal, wie er Wolf fand, warum er ihn mitgenommen hatte und welche Mühe seine Ernährung bis heute machte. Eine