Silber. Hans.Joachim Steigertahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans.Joachim Steigertahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034127
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was ihm möglicherweise bevorstand.

      Er war jetzt dreizehn Jahre alt, fast das Alter, in dem man als Knappe auf eine befreundete Burg ging, um das Ritterhandwerk – oder wie seine Mutter sagte, das Kriegshandwerk – zu lernen. Er war relativ groß für sein Alter, das viele Trainieren mit den Stallburschen und seinem Bruder hatte Schulter und Brustkorb ein wenig geweitet, das Blondhaar des Vaters hatte er zu seinem Leidwesen als Lockenkopf geerbt, aber dafür die schwarzen Augen seiner zypriotischen Urgroßmutter – ein ansehnliches Kerlchen, wie Ada ab und an scherzte. All seine Kameraden beneideten ihn um die Möglichkeit, an einem andern Ort weiterzuleben, auch wenn keiner seine Angst davor zugegeben hätte. Cuno hatte versucht, sein Reiten, Schwimmen und Bogenschießen zu verbessern und seine Manieren zu vervollkommnen. Seine Mutter, Gernot und selbst sein Vater hatten das letzte Jahr viel Zeit dafür verwendet, auch Cunos Lesen, Schreiben und Singen zu vervollkommnen, wobei ihm das Singen am meisten Spaß machte – vielleicht weil er es bei Ada, seiner Mutter, lernte?

      Auf jeden Fall war er jetzt gerüstet für die Knappenzeit in Iglau. Sein Vater hatte ihm mit vielen Geschichten über die Familie der Steigerthals und des Bergbaus klargemacht, wie wichtig es wäre, wenn er, Cuno, als Zweitgeborener, der das Lehen ja doch nicht übernehmen könne, Ritterschaft und Bergwerkskunst verbinden könne. Wichtig für Steigerthal, wichtig für Thüringen und die Familie seiner Mutter, wichtig aber auch für das Reich, in dem die Kämpfe um die Vorherrschaft einzelner Familiengeschlechter mehr Opfer forderten als die Unbilden des Wetters und der daraus folgende Hunger. Sein Pate, Graf Cuonrad von Hohnstein, hatte sich bei seinen zahlreichen Besuchen bemüht, den einen oder den anderen Aspekt genauer zu beleuchten.

      Ohne das Silber aus Steigerthal und den Nachbartälern würde das Geschlecht der Wettiner kaum in der Lage sein, die Freiheit der Landgrafschaft Thüringen und seiner Bewohner zu sichern; das Fürstentum würde an die Luxemburger oder die Welfen fallen, Steuern in unermesslicher Höhe zur Finanzierung der Kriege um den Erhalt der Macht im Deutschen Reich würden die Leute verarmen lassen. Ohne das Silber aus Thüringen – und aus Böhmen – wären alle Fürsten auf die Kredite der jüdischen Geldhäuser angewiesen, die schon jetzt ihre Zinssätze nach Belieben festlegten… Auch was „Zinssätze“ bedeutete, hatte Cuno gelernt!

      Und aus dem Abend, als Hohnstein unter widerwilliger Mitarbeit des Ritters Steigerthal ausprobiert hatte, wieweit man reines Silber „verschneiden“, also mit anderen Metallen verdünnen konnte, hatte er einiges zu lernen gehabt:

      Da war die Frage der Ehre und der Wahrheit, da war aber auch die Frage, wie man Frieden am besten sichern könne; da war die Frage, wie sich die Ergiebigkeit der Schächte erhöhen ließe; da war die Frage, wie man aus den gebrochenen Gesteinsbrocken auch noch die letzten Reste an Edelmetall herauslösen könne; und dann war die entscheidende Frage, was er, Cuno, dazu beitragen könne und müsse.

      All das ging Cuno durch den Kopf, als er den Händedruck seines Vaters und die letzte tränenreiche Umarmung seiner Mutter noch direkt spürte. Sein Bruder ritt voraus, den wohlbekannten Weg nach Nordhausen, wo sich noch einige seiner Freunde aus der Knappenzeit am Hof zur Reisegesellschaft gesellen wollten. Dem Abt des Klosters Himmelgarten war noch eine Nachricht zu überbringen und ein wertvoller Kelch, damit die Mönche für das Heil der Reisenden beten würden.

      Die beiden Knechte aus Steigerthal, kaum älter als Cuno, die sich freiwillig der Reise angeschlossen hatten, um etwas von der Welt zu sehen, bildeten mit den beiden Packpferden die Nachhut. Ein fröhlicher Trompetenstoß aus der Wachstube, ein letztes Winken, die bis zum letzten Haus des Dorfes neben den Reitern herlaufende Schar der Dorfkinder – dann begann das Abenteuer.

      Nach ereignislosem Ritt passierten sie gegen Abend das schwere Tor des Klosters Himmelgarten und wurden am südlichen Rand der Klosteranlage zu den Unterkünften für die edlen Reisenden gebracht. Die Knechte gingen die Pferde versorgen und bezogen in der Nähe der Stallungen ihr Quartier. Gernot traf vor dem Haus der Gäste schon seine Freunde aus alten Zeiten und begrüßte sie herzlich, nachdem sie Abt Ono, der gerade erst wenige Wochen das Kloster leitete, ihre Aufwartung gemacht hatten.

      Heinrich von Hohnstein, der Sohn des reichsgräflichen Münzmeisters, der Cunos Pate war, hatte sich schon seit Monaten auf die Reise vorbereitet, denn auch er wollte von Boleslav Přemisl so viel wie möglich über die Gewinnung von Silber lernen; aber sein Vater hatte ihm aufgetragen, sich zurückzuhalten und keineswegs als Konkurrent zu erscheinen. Cuno kam aus einem kleinen Rittergeschlecht, der würde für Boleslav harmlos sein; aber der Sohn und Erbe des wichtigsten Beraters des benachbarten Fürstentums, eben der Landgrafschaft Thüringen, war schon eine andere Gefahr für die Macht und den Reichtum der Přemisliden. Walter war, wie sein Vater, ein hochgewachsener, schlanker Mann mit dunkelblonden Haaren, meergrünen Augen – die ihm noch manche Geschichte einbringen würden –und einem ungebrochenen Optimismus, der auch an einem völlig regnerischen Tag durchnässt vom Pferd steigen, dem braven Gaul eine Handvoll Futter hinhalten, sich das Wasser abklopfen würde und dann feststellte, dass es nicht geschneit habe.

      Ganz anders der Knappenbruder Bodo von Schwarzburg. Er hieß so, wie er aussah, dunkle, stechende Augen unter einer flachen Stirn, die von einem schwarzen Haarschopf überstülpt wurde; sein Gemüt war eher umwölkt, was natürlich mit darin begründet war, dass er der legitime Sohn und Erbe seines Vaters war, der Bodos Mutter allerdings nie geliebt und nur unter Zwang in der Hochzeitsnacht geschwängert und sich dann wieder dem nächtlichen Vergnügen mit seinen Mägden gewidmet hatte. Trotzdem war er ein Schwarzburg, Spross eines der ältesten und bedeutendsten Geschlechter Thüringens, und dass er nicht nur Gernot von Steigerthals Freund geblieben war, sondern ihn auch auf dieser Reise begleiten wollte, zeigte, dass er viel weniger dünkelhaft war, als es den Anschein hatte. Sein Bruder Günter von Schwarzburg hatte, was das Erbe anging, das schlechtere Ende erwischt: als Sohn einer der Mägde, die der Vater nach dem Tod seiner Ehefrau geehelicht und damit Günter legitimiert hatte, war er nach glücklicher Kindheit an seinen Bruder herangeführt worden, dem zu dienen sein Lebenszweck sein sollte. Aber er war ganz das helle Gegenteilseines Bruders: Blond, blauäugig, mit offenem Gesichtsausdruck und der athletischen Figur des Vaters, war er eher das Idealbild eines Ritters als Bodo und stand im Ruf eines begnadeten Kriegers. Er sollte diesen zwar nach Meinung des Vaters auf dieser Reise begleiten und beschützen, aber er wäre auch von sich aus auf jedes Abendteuer, das ihn aus der Reichweite der heimischen Burg bringen würde, eingestiegen.

      Der vierte Knappenbruder, Tasso von Weinbergen, war dagegen eher der verträumte Typ. Am Hof in Erfurt hatte er jeden Sängerwettbewerb gewonnen und fast jedes Turnier verloren; seine langen dunkelblonden Locken reichten ihm bis auf die Brust, sein meist umflorter Blick schien die Gegenwart kaum wahrzunehmen. Gernot fragte sich, warum Tasso sich ihnen auf dem Weg nach Böhmen angeschlossen habe. Der einzige Grund schien ihm, das Tasso seinen Minnesang üben und schulen wollte. Die damit verbundene Möglichkeit, adlige Frauen kennenzulernen, war sicherlich mit eingeplant.

      Die Nacht war laut, kurz und sehr weinhaltig. Cuno erlebte zu ersten Mal das Wiedersehen alter Freunde.

      Als die Sonne über den Kamm des Hügels im Osten gestiegen war, bestiegen sie ihre Pferde, nun eine stattliche Truppe von fünf Rittern,sieben Knechten, und mittendrin Cuno, und machten sich auf den Weg nach Erfurt.

      Für Gernot und die Freunde war es ein Ritt in die alte Zeit der Knappenschaft. Für Cuno war es der Beginn des Neuen, denn er hatte bisher weder Bruder noch Vater nach Erfurt begleiten dürfen. Von Nordhausen ging es am Hang des Paßbergs über die Windleite nach Süden. Ein Mittagsimbiss beim Herrn der Jechaburg, den sie von früher gut kannten, ließ sie wieder beschwingter den Weg über den Urbach nehmen, immer den Übergang der Unstrutt als Ziel, die sie am nächsten Tag an der Straussfurt überqueren wollten. Dort angekommen, wurde das erste Nachtlager im Freien bezogen. Die Knechte versorgten die Pferde und banden sie dann in einem Wäldchen nahe des Lagerplatzes an. Der mitgebrachte Proviant reichte für ein abwechslungsreiches Mahl; geräuchertes und getrocknetes Fleisch, Brot, Speck, Wein; die Unstrutt lieferte das Wasser für Cuno, die Knechte und die Pferde. Die Ritter wollten sich im Lauf der Nacht als Wachen ablösen, wann immer der Wachhabende die Augen nicht mehr aufhalten konnte.

      Der Junge hatte schon manche Nacht im Freien verbracht, wenn er Vater und Bruder zur Jagd, nach Hohnstein oder zu anderen Burgen begleitet hatte. Er