Silber. Hans.Joachim Steigertahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans.Joachim Steigertahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034127
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machte. Wie immer – kahle Felsen, das Meer, mal schwarz, mal blau, der Himmel über der Bucht, selbst jetzt im Spätherbst meist blau; irgendwo schien fast immer die Sonne, aber er sah sie eigentlich nie; offensichtlich zeigte die Öffnung ziemlich genau nach Norden. Gedankenverloren sah er hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Das Bild hatte sich in den letzten Wochen so eingeprägt, dass er es sicher niemals mehr vergessen würde.

      Andererseits musste er zugeben, dass es Schlimmeres gab als Gefangenschaft bei Piraten, die auf Lösegeld hofften: er wurde nicht allzu schlecht behandelt, denn eine tote Geisel bringt nichts mehr ein, er erhielt ausreichend Essen und Wasser, fing an, in der beschäftigungslosen Zeit alle möglichen Rätsel zu erfinden oder die heimischen Methoden der Feldarbeit und des Erzabbaus im Kopf zu verbessern, versuchte, beweglich zu bleiben, nur die Kälte, die immer schärfer wurde und die Nässe des Gemäuers setzten ihm sehr zu. Sogar eine Art Zeitrechnung konnte er machen, denn die Piraten waren alle sieben Tage so besoffen, dass sie ihn nicht versorgten; damit konnte er zählen, wie viele Wochen er wohl schon hier saß, nicht ganz genau, denn am Anfang hatte er den Rhythmus noch nicht verstanden, aber es mussten sieben oder acht Wochen her sein, seit er gefangen genommen worden war…

      Was war das? Eine Bewegung in seinem Gesichtsfeld ließ ihn aufmerksam werden. Das war nicht das Piratenboot, das hatte er oft genug gesehen in diesen Wochen, meist vollbeladen zurückkehrend und manches Mal mit einem erbeuteten Schiff. Diesmal sah er nur eine Mastspitze, an der der Wimpel der genuesischen Flotte flatterte. Und dann erfüllte Lärm die sonst so ruhige Bucht: Geschrei und dumpfe Schläge wechselten sich mit Kommandos ab, es flackerte, als wenn ein Teil der Burg brennen würde, und mit einem Krachen flog die Tür seines Kerkers auf: „Gernot von Steigerthal? Oder auch Heinrich, Markgraf von Meißen, Landgraf zu Thüringen?“ Vor ihm stand ein Mann in Kettenhemd mit Armschienen und Helm, dessen Visier er eben hochklappte. „Ich bin Bartolomeo Sforza, Kommandant der genuesischen Brigantine ’La Spezia‘ und soll Euch hier rausholen!“ Ein Grinsen ging über das Gesicht des Genuesers:“Das hättet Ihr nicht erwartet, was?“ Gernot blieb wie erstarrt an der Schiesscharte stehen, den Blick auf Bartolomeo gerichtet. „Euer Herr, Heinrich, ist ja als Ruderknecht nach Venedig gekommen und konnte im Gewimmel des Hafens fliehen. Auf dem Weg nach Mailand traf er meinen Bruder, Gabriele Sforza, den er als Käufer thüringischen Silbers und als Waffenlieferant gut kannte und erzählte ihm, was geschehen war. Da Heinrich Gabriele einmal aus einem Hinterhalt in eurem Gebirge, Herz oder Harz oder so, herausgehauen hatte, war es für meinen Bruder eine Selbstverständlichkeit, Euch und die ehrwürdige Rüstung hier ebenfalls herauszuhauen. Also hat er mich hierher geschickt, und es gelang uns, die Piraten nach ihrem eigenen Muster zu überraschen, als sie nämlich alle besoffen waren. Deshalb gab es nur wenig Gegenwehr, wir haben genügend Beute, um die Fahrt zu bezahlen, die Piraten verkaufen wir bei Pescara an Sklavenhändler und Euch bringen wir nach Ancona, von wo aus Ihr relativ sicher nach Thüringen kommen könnt.“

      Steigerthal, Thüringen, Frühjahr 1316

      „Hat dich die Vorstellung, Cuno bald wegzugeben zu müssen, so erschreckt, dass du nicht einmal dein vorzügliches Essen kosten kannst?“ fragte Gernot. „Ja“, war die einsilbige Antwort, „Weiß er schon davon?“ „Seit vorhin.“ Die Gedanken wirbelten in Adas Kopf. Sie kannte natürlich all die Geschichten vom Kreuzzug, der Befreiung Gernots und auch, wie dieser in Erfurt empfangen wurde, als er die Rüstung zurückbrachte und sie seinem unterdessen unversehrt heimgekehrten Herren übergeben konnte: Heinrich war so bewegt, dass er etwas tat, was seiner Umgebung und dem ganzen thüringischen Adel Gesprächsstoff für Jahre gab: Er bat Gernot, niederzuknien, schlug ihn zum Ritter und belehnte ihn mit dem Weiler Steigerthal, der nach dem Tod des alten Ritters an Heinrich zurückgefallen war, worauf ihm Gernot die Treue schwor. Die anwesenden Adligen murrten und klagten, dass Gernot schließlich eigentlich leibeigen sei und nie von ihnen als gleichwertig aufgenommen würde, aber Heinrich blieb stur, auch wenn er versuchte den anderen Rittern klar zu machen, dass das Lehen, das nur aus dem Weiler Steigerthal und das ihn umgebende Tal bestand, für keinen der anderen Adligen einen Verlust bedeuten würde. Für diese Ritter ging es nicht um weltliche Güter, sondern um Ehre, Reinheit des Blutes und Traditionen. Gernot aber wusste, dass der Name des Lehens – der ja jetzt auch sein Name war – eine tiefere Bedeutung hatte: An den Berghängen des Tals gab es einzelne Aufbrüche und Stollen, in denen die Dorfbewohner in ihrer kargen Freizeit Gestein ausbrachen, das sie mit Schmiedehämmern zerschlugen und in Holzkohlefeuern erhitzten, so dass zumindest meistens eine kleine Pfütze geschmolzenes Silber übrigblieb. Der verstorbene Ritter von Steigerthal hatte schon einen Teil der wenigen Bauern aus dem Weiler von der Leibeigenhaft befreit. Sie gaben daraufhin den größten Teil der Landwirtschaft auf den wenig ergiebigen Böden auf und versuchten, ihren Lebensunterhalt mit dem Berggewerbe zu verdienen. Da sie bald Hilfskräfte beschäftigten, um das Gestein zu bearbeiten und selber in die Schächte stiegen, nannten sich die Bergleute Steiger. Dadurch waren die Ritter von Steigerthal wohlhabend geworden und deswegen war das Lehen keineswegs so unbedeutend, wie Heinrich es darstellte. Dadurch würden Gernot und seine Familie sich vieles leisten können, wovon andere Ritter nicht einmal träumten, aber das Ansehen bei den benachbarten Adligen würde nicht wachsen, dafür der Neid, die Verdächtigungen und die Bosheiten, wie das Niederbrennen des Schachtturms und der Sicherungskammer gestern wieder deutlich gezeigt hatte. Gernots Vater, Gerfried von Steigerthal, hatte allen Bauern, die Steiger werden wollten, die Freiheit gegeben und damit den Ertrag des Bergbaus schnell ausgeweitet. Da die Steiger und ihre Arbeitskräfte nun ihre Nahrung und alle Dinge des täglichen Bedarfs kaufen mussten, aber auch kaufen konnten, hatte sich neben den Bergleuten eine ganze Gruppe von Handwerkern wie Bäcker, Metzger, Schreiner, Weber und Händler im Dorf angesiedelt, das so schnell wuchs und wohlhabender wurde. Es war Gerfried gelungen sich über Jahrzehnte aus den Händeln des Adels herauszuhalten und er hatte mit seiner Frau, der Enkelin eines lothringischen Ritters aus dem Gefolge Jean de Beaumonts, eine glückliche Ehe geführt, die nur dadurch beeinträchtigt war, dass von ihren Kindern nur Gernot überlebte. Gerade als der auf der Burg seines Großvaters seine Knappenzeit beendet hatte und vom französischen König zum Ritter geschlagen worden war, erreichte ihn die Nachricht, dass seine beiden Eltern im Sterben lagen. Er kehrte noch so rechtzeitig nach Steigerthal zurück, dass er von ihnen Abschied nehmen konnte, nicht ohne seinem Vater Gerfried versprochen zu haben, dass er sich dem friedlichen Berggewerbe und nicht dem Kriegshandwerk widmen würde.

      Gernot „der Kleine“, der älteste Sohn, hatte in Erfurt am Hof des Landgrafen das Ritterhandwerk gelernt, und zwar erfolgreich, er war im Turnier, im Tjost und auf der Jagd kaum zu schlagen, aber Gernot war schon als Kind besessen davon gewesen, ein richtiger Ritter zu werden. Cuno dagegen war ein Träumer, ihr Nesthäkchen, und von vielen Ideen begeistert, die zwar im Hause Steigerthal, vielleicht auch noch im Hause Hohnstein vorgebracht wurden, aber in sonst keinem ritterlichen Haus: welches Kind käme zum Beispiel von sich aus auf die Idee, vor dem Essen Hände waschen zu müssen – davon, dass er schnell etwas verstecken musste, wusste sie ja nichts. Er war fast dreizehn. Ein verspieltes, liebenswertes Kind mit dicken Backen und blonden Locken, die sie an ihre eigene Kindheitszeit erinnerten, obwohl es eigentlich sehr ungewöhnlich war, dass sie selbst tatsächlich blond und blauäugig war, war doch ihr Vater eher ein dunkler Typ. Ihre Mutter aus Dänemark war zwar auch hellhäutig, aber ihre Großmutter väterlicherseits, die Landgraf Heinrich aus Zypern mitgebracht hatte, als er nach dem Sieg über die Grafen sich wieder König Ludwig von Franzreich angeschlossen hatte, war schwarzhaarig, mit dunklem Teint und liebenswert wie keine andere Frau, die sie kannte. Was sie über ihren leiblichen Vater von ihr geerbt hatte, war die Fähigkeit, andere Menschen schnell einzuschätzen und ihre Gefühlslage zu erkennen, so dass sie sehr selten enttäuscht wurde, wenn sie versuchte etwas zu verstehen oder ihre Ideen durchzusetzen. Insgeheim lächelte sie, als sie daran dachte, wie sie die Einrichtung von Bädern auf Burg Steigerthal durchgesetzt hatte: Gernot hatte festgestellt, dass sie anders roch, als bei ihrer Ankunft auf der Burg oder im Haus ihres Vaters. Seitdem genoss sie das tägliche Bad! Diesmal aber wusste sie nicht, was sie durch setzten wollte. Das Angebot Hohnsteins war ehrenwert und würde der Familie insgesamt sicher weiterhelfen. Aber Cuno war doch noch so klein! Und er hatte Angst – das war klar, auch wenn sie ihn selbst noch nicht gesehen und gesprochen hatte, aber diese überdrehte Fröhlichkeit, die er zur Schau stellte, als er die Treppe hinaufgerannt war, die kannte