Silber. Hans.Joachim Steigertahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans.Joachim Steigertahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034127
Скачать книгу
ist, die neulich Schiffbruch erlitten haben, du warst dabei, als Jean de Beaumont wegen der Kosten fluchte. Und der Kaufmann will natürlich nicht, dass bekannt wird, was alles an Bord ist, weil er fürchtet, dass durch irgendwelche Zeichen eine Person an Bord – und sie verdächtigen natürlich uns – Piraten einen Hinweis geben könnte.“ „Was tut oder ist der andere, der vorne am Bug?“ „Das ist ein Ritter des Ordens vom Hl. Johannes zu Jerusalem, die darauf hoffen, dass der Papst ihnen für die Unterstützung in den Kreuzzügen Zypern bald als Lehen übergegeben wird, und damit natürlich auch die Kupferminen. Und er behauptet jetzt, dass die Venezianer viel mehr Kupfer herausholten, als sie je zugegeben haben und nichts mehr zu holen sei.“

      Nun war es an Gernot, den Kopf zu schütteln, er verstand eigentlich gar nichts mehr. Nachdem er Heinrich Schwert und Helm gebracht hatte, lehnte er an der Reling und schaute hinüber nach Zypern: sie umrundeten gerade Cap Gata, die Halbinsel südlich von Lemesós, die dessen Hafen vor den häufigsten Stürmen schützte. Mit einigem Glück und entsprechendem Wind, dem aus Osten blasenden Levante, würden sie, so hatte der Bote Eginhard gesagt, in einer Woche Kreta passiert haben und dann nordwestlich in die Adria hineinsegeln, immer nah genug am Ufer, um die Küste noch zu erkennen, aber weit genug, um vor Piraten flüchten zu können. Die Informationen, die ihm Heinrich gegeben hatte, damit er Vorsicht walten lassen könnte, konnte er nur mühsam verarbeiten. „Was bedeutet das für uns?“ „Wir müssen uns, bis wir in Venedig sind, so gut wie möglich nur auf uns selbst verlassen, deshalb habe ich dich auch rufen lassen – du im Laderaum, ich hier in der Kajüte. Und wenn etwas Seltsames passiert“ hier unterbrach er sich und suchte in seinem Mantel etwas „bläst, wer immer es entdeckt, auf dieser Pfeife, meiner Hirschjagdpfeife, und warnt den anderen – hast du verstanden?“ Gernot nickte und war entlassen. Als er wieder unten im Laderaum ankam, merkte er, dass auch die Knechte gestritten hatten: drei waren in die Ecke gedrängt worden und wurden von zwei breitschultrigen Kerlen bewacht, während die restlichen beiden die Ladung durchstöberten – auch Gernots Gepäck. „Pfoten weg, sonst sind die Pfoten weg!“ rief er ihnen zu, zog sein Messer aus dem Gürtel und stellte sich auf. Obwohl sie wohl kein Deutsch konnten, verstanden die zwei ihn sehr gut und widmeten sich dem Rest der Ladung. Und sie waren gerade den ersten Tag auf See!

      Die Tage vergingen langsam, aber ereignislos. Gernot hatte schon fast vergessen, was ihm Heinrich am ersten Tag eingeschärft hatte, und er war auch nie wieder in die Kajüte gerufen worden. Morgens erhob er sich, stürzte sich nach der Sitte der Mannschaft mit einem Tau um die Hüfte ins Meer, erleichterte sich und zog sich dann wieder an Bord. Dann holte er sich sein trockenes Brot, seinen Löffel Olivenöl und das wenige Wasser, das ihnen zugeteilt wurde, und stellte sich mit einer leichten Angelrute an die Reling, immer auf einen Fang hoffend, den ihm der Schiffskoch mit einer Extra-Ration bezahlte. Die drei eingeschüchterten Venezianer gesellten sich häufig zu ihm, und auch wenn sie nicht miteinander reden konnten, gab es freundliche und Verständnis zeigende Gesten zwischen ihnen. Gernot hatte herausgefunden, dass die drei die Knechte des Kaufmanns waren, während die anderen vier dem Johanniter dienten. Zu gern hätte er gewusst, worum der Streit am ersten Tag gegangen war!

      Wie Eginhard ihm angekündigt hatte, wechselte die Sambuke am achten Tag den Kurs und segelte nach Nordosten, aber das bedeutete auch, dass sie immer wieder vor dem Wind kreuzen mussten und dadurch recht langsam wurden. „Man hätte Venedig wo anders bauen sollen,“ hörte Gernot an einem Vormittag den Steuermann brummen, „dann wären wir schneller da!“ Doch die Langeweile der ereignislosen Reise ließ alle Eindrücke verschwimmen, die Geschwindigkeit des Schiffs spielte für die Passagiere kaum noch eine Rolle.

      Am zehnten Tag kam Sturm auf. Der Levante blies heftig, und wenn sie nicht an die kalabrische Küste gedrückt werden wollten, musste die Sambuke mit immer kürzeren Wenden der Windgewalt trotzen, was immer wieder dazu führte, dass sie der Balkanküste sehr nahe kamen. Die Matrosen waren vom ständigen Wenden ermüdet, die Rahsegel an Haupt- und Besanmast standen unter vollem Winddruck, zum Sturm kam peitschender Regen, der alle durchnässte. Und alle, ob Venezianer oder Thüringer, Ritter oder Knechte, mussten sich am Ausschöpfen des Schiffs beteiligen, was vor allem die Herren und Landgraf Heinrich erzürnte, aber nur so war die Fahrt fortzusetzen – und im Windschatten der Küste Schutz zu suchen, kam für keinen in Frage. Zu Sturm und Regen gesellte sich Blitz und Donner. Lichtexplosion folgte auf Lichtexplosion, krachender Donner auf krachenden Donner.

      Als ein dumpfer Schlag erklang, war das für die Mannschaft und die Passagiere völlig ohne Bedeutung, bis der Steuermann plötzlich schrie: „Piraten!“ Zwar hörten nur die Nächststehenden den Schrei, gaben ihn aber weiter, so dass sich alle an Bord schnell der Gefahr bewusst wurden, aber zu spät: Sonnenverbrannte Gestalten, die sich an Enterhaken über die Bordwand zogen, stürzten sich, den Krummsäbel schwingend, ein Messer quer zwischen den Zähnen, auf die Menschen an Bord, die sich nur mit ihren Schöpfkellen, Tauenden oder Baumniederholern verteidigen konnten. Der Kampf war kurz: Mannschaft, Kapitän, die venezianischen Knechte, der Kaufmann, Heinrich und Genot wurden an Händen und Füßen gebunden und an die Bordwand gefesselt, so dass sie zwar schöpfen, aber sich nicht mehr wehren konnten, als plötzlich aus der Kajüte der gerüstete Johanniter mit seinen vier Knechten stürmte und die Piraten angriff. Die Überraschung verwirrte die Piraten, die den Schwerthieben der wild um sich Schlagenden nichts entgegenzusetzen hatten und sich immer weiter nach Luv zurückzogen, wo ihr kleines Boot, mit dem sie sich angeschlichen hatten, festgemacht war. Aber bevor sie über Bord gingen, erledigte der Sturm ihr Werk: Der Kreuzritter verfehlte in einer plötzlichen Orkanböe wieder einmal einen Piraten, sein Schwert verfing sich in dem Tau, mit dem Gernot und Heinrich gefesselt waren, durchschnitt es und blieb in der Bordwand stecken. Durch das plötzliche Bremsen seines Hiebes stürzte der Johanniter und lag schwertlos im eingedrungenen Wasser. Diesen Moment nutzte einer der Piraten und hieb ihm mit seinem Krummsäbel mit einem Schlag erst den Schwertarm, dann mit einem zweiten den Kopf ab. Jetzt brachen die anderen über die Johanniterknechte herein. In kürzester Zeit waren sie besiegt, getötet und über Bord geworfen. Während des Kampfes war das Rahsegel am Hauptmast vom Sturm zerfetzt worden, aber unter der Besanrah lief das Schiff unter dem Wind zur Küste, und als sie aus dem Sturm heraus in den Windschutz der Küste kamen, zielte der Pirat am Steuerruder auf eine Bucht, die hinter Vorbergen und Klippen fast verborgen war. Die gespenstische Ruhe an Bord, die eingekehrt war, nachdem das Heulen des Sturmes und das Tosen des Gewitters vorbei war, enthüllte, wie es um die Sambuke stand: das Schiff war unversehrt, der Kaufmann und Landgraf Heinrich waren verletzt, aber nur leicht; die Knechte des Kaufmanns und Genot waren unverletzt, weil man sie geschont hatte, damit sie weiter schöpfen konnten. Als Heinrich sich mühsam aufrappelte, um gleich wieder an die Bordwand gebunden zu werden, sagte Gernot zu ihm: „Für uns ist es doch egal, wer gesiegt hat, wir wollen doch nur nach Hause! Ich hole Eure Waffen und die Rüstung, und dann werden wir sehen, was geschieht!“ Heinrich nickte nur und Gernot stieg, von den Piraten, die sich um das Tauwerk kümmerten, unbehelligt in die Kajüte hinauf. Als er das Kettenhemd, Schwert, Helm und Wappenmantel sah, wusste er, dass er das nicht auf einmal tragen konnte und streifte sich deshalb Hemd, Helm und Mantel über. Als er so gewandet aus der Kabine trat, brüllte der Anführer der Piraten, der am Steuer stand, lachend: „Was haben wir denn da noch für einen seltsamen Vogel? Der wird uns viel Lösegeld einbringen. Und dabei wollten wir doch nur das Geld für die Galeeren - umso besser, Männer, ab jetzt ist genug Geld da für ein Fest an jedem Tag!“ Während die Piraten jubelten, schaute Gernot zu Heinrich, der ihn anstarrte und dann nickte.

      In der Bucht angekommen, wurde das Schiff entladen, der Kaufmann wurde in Ketten gelegt und in ein kleines Boot verfrachtet, das ihn nach Venedig bringen sollte, damit der Rat der Stadt das Kupfer zurückkaufen könnte; die Knechte und der vermeintliche Diener Heinrich mussten mit an Bord – als Ruderknechte, wenn es nötig würde. Gernot wurde gefesselt an Land gebracht und in diesen Kerker verschleppt, in dem er seitdem saß; ein Bote mit Lösegeldforderungen war auf dem Weg nach Erfurt!

      Wenn Landgraf Heinrich viel Glück hatte, kam er überhaupt nach Hause zurück, aber sicher nicht vor dem Boten. Und was geschehen würde, wenn tatsächlich Lösegeld bezahlt würde und dann käme er, Gernot, anstelle von Heinrich nach Erfurt – und Heinrich selbst wäre nicht da, um zu erklären, was geschehen war… „Wie kann man nur so ein Esel sein – ich hätte das ganze Zeug liegen lassen sollen, statt den treusorgenden Diener zu spielen!“