Silber. Hans.Joachim Steigertahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans.Joachim Steigertahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034127
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eingelegtes Gemüse, Jogurt mit Minze, Sesampaste, Fischpastete, Hackfleischbällchen, Oliven, Schafskäse, gebratenen Fisch und vieles mehr; dazu ein Krug mit kühlem, gewürztem Weißwein und edle Pokale.

      Sie schauten sich um und stellten fest, dass etwa die Hälfte der Tische bereits besetzt war, obwohl es noch früh am Abend war. Die Gäste waren – Lemesós entsprechend – höchst unterschiedlich: An einem Tisch tafelten bereits Kreuzritter, die ihrem Dialekt und ihrem Gelärm entsprechend aus der Provence zu kommen und sich mit diesem Kreuzzug dem Kampf um ihre Heimat gegen England zu entziehen schienen; an einem weiteren Tisch saßen zwei in edle Stoffe gehüllte Araber, die tafelten, und vier Frauen, die völlig in glänzende, dunkelblaue Schleier gehüllt waren und deswegen auch weder essen noch trinken konnten; ein dritter Tisch war Tafel für eine Runde fröhlicher, zechender Ritter, die von Sprache, Kleidung und Verhalten wohl als Überreste derjenigen Kreuzritter einzuordnen waren, die im letzten Jahr von den Muslimen aus Palästina vertrieben worden waren und nun Zuflucht auf Zypern gefunden hatten; vor den beiden Freunden saß eine Runde von Kaufleuten aus vieler Herren Länder, die – nach ihren eigenen, lauten Bemerkungen - vor allem einen guten Blick auf die Bühne und viel zu Trinken haben wollten. Ganz am Rande drängten sich genuesische Seeleute an einem Tisch, genau beobachtet von der Besatzung einer venezianischen Brigantine.

      Der Junge kam, schaute auf die Teller und machte deutlich, dass er gern mehr bringen würde. Jean winkte ab und bestellte gegrilltes Zicklein. Der Junge verneigte sich und verschwand. Die beiden nutzten die Pause zu einem kurzen Austausch im lothringischen Dialekt, von dem sie sicher waren, dass keiner der Anwesenden ihn verstehen würde: „Was hat Pierre La Motte gemeint, dass es hier mehr gibt als gutes Essen?“ „Ich weiß es nicht, gerade als er es erklären wollte, kam der König dazu, aber die Meze sind auf jeden Fall schon mal das Beste, was ich in den letzten vier Wochen zu essen bekommen habe.“ „Schau mal zu dem Tisch mit den Arabern – kommt es Dir nicht seltsam vor, dass die Männer Frauen mit in ein öffentliches Gasthaus bringen – und dann auch gleich vier?“ „Du hast Recht, aber verstehe einer die Muselmänner!“

      Bevor Heinrich antworten konnte, erklangen Lauten und von beiden Ecken der Längsseite traten als Araber gekleidete Musikanten auf die erhöhte Stufe und begannen eine Melodie zu spielen, die den beiden Freunden völlig unbekannt war, sie aber an ein süßes Sehnen erinnerte. Der Lärm im Hof klang ab, alle schienen die gleiche Wirkung zu spüren und begannen, auch in sich hinein zu hören. Als die Lautenspieler endeten, gab es keinen Applaus, die entstandene Stille dauerte ein wenig an und wurde erst unterbrochen, als die Kaufleute nach mehr Wein riefen. Jean und Heinrich hatten ihre Meze vertilgt und baten ebenfalls um einen weiteren Krug Wein, als der Junge die Zicklein brachte. Sie waren mit Rosmarin gewürzt, hatten eine köstliche knusprige Kruste und einen so intensiven Geschmack, dass den Beiden das Gespräch nicht weiter wichtig war.

      Auf dem Podium erschien ein Gaukler, wie man sie in allen Städten zu sehen bekam: behängt mit Musikinstrumenten, Fratzen ziehend und mit Bällen jonglierend. Er schien mit sich selbst zufrieden und spielte so vor sich hin, bis alle Gäste das Hauptgericht verzehrt hatten. Dann aber stand er auf, legte sich, auf einen Ellbogen und ein Bein gestützt auf die Bühne und begann – Feuer zu spucken! Die Seeleute beider Städte schrien auf, die Kaufleute erstarrten, nur die Ritter behielten ihre Haltung. Ohne Worte gelang es dem Gaukler, den Kampf zwischen einem edlen Sohn Zyperns und dem Drachen darzustellen, indem er immer wieder blitzschnell die Position änderte und durch kleine Veränderungen seiner Kleidung die Rollen deutlich machte. Als der Drachen dann zum letzten Mal Feuer spuckte und der siegreiche Zypriot sich über ihm erhob gab es Beifall von allen Tischen.

      Der Junge räumte die Teller mit den abgenagten Knochen ab, brachte Trinkschalen und Krüge mit anderem Wein und servierte nacheinander wieder allen Gästen ein Tablett, das reich gefüllt war mit süßen Teigtaschen und eingebackenen Mandeln; beides triefte von Honig und duftete nach vielen Gewürzen; der Wein dazu war rot, schwer und süß.

      Die Akkorde eines dreiseitigen Saiteninstruments klangen auf, der Musiker setzte sich auf die rechte Seite der Bühne und lockte durch einen besonderen Akkord einen Flötenspieler dazu, der mit seinen Tönen der Melodie des ersten zu folgen suchte; als beide ihren Rhythmus und Klang gefunden hatten, kam ein Männchen und setzte sich in der Mitte der erhobenen Plattform an den Rand; sein Instrument schien eine umgekehrte Amphore zu sein, aber die eigentlich offene Seite war mit einer Tierhaut bespannt und durch unterschiedliches Antippen des Trommelfells erreichte der Alte die Klangfülle vieler Instrumente. Als er sich in den Rhythmus eingespielt hatte, sprangen Männer über die Plattform in den Kreis rund um den Springbrunnen; sie hatten nackte Oberkörper, trugen weite Röcke bis zum Boden und auf den Köpfen balancierten sie Tabletts mit Kerzen. Als die Musik schneller wurde, fingen sie an, sich um die eigene Achse zu drehen und dabei doch den Raum um den Springbrunnen durch weiter kreiselnde Bewegungen zu füllen. Immer schneller wurde der Rhythmus der Musik, immer schneller drehten sich die Tänzer und schienen durch ihre Geschwindigkeit das Licht zum Erlöschen zu bringen.

      Heinrich erschrak fast, als er spürte, wie in diesem Wirbeln von Noten und Körpern jemand seine rechte Hand zart anfasste; neben seinem Ohr sagte eine vibrierende Stimme auf Französisch: „ Kommen, Sie mein Herr. Ich möchte Ihnen das Besondere des Λεμεσός zeigen.“ „Aber ich weiß nicht – was ist das? Kann ich das? Die Kosten…“ Nun hörte er ein leises Lachen und eine aufflackernde Feuerschale erlaubte ihm einen Blick auf seine Gesprächspartnerin zu werfen: Es war eine der blauverschleierten Frauen, die mit den arabischen Vornehmen zu Tisch gesessen hatten. „Nur keine Bange! Meine Freundin kümmert sich um deinen Freund und unser Diener“ sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Jungen mit den Pluderhosen, „ hat den Inhalt des Beutelchens begutachtet – es reicht für euch beide!“ Damit zog sie ihn von der Bank hoch und führte ihn im Schatten der Tanzenden zu einer Tür, die hinter den linken Torbögen versteckt war.

      Als die Tür sich hinter ihnen schloss, brauchten Heinrichs Augen Zeit im Halbdunkel zu erkennen, was ihn umgab: Sie waren in einem mit Teppichen ausgekleideten Raum, geschmackvoll eingerichtet mit kleinen Tischchen mit Kirschholzintarsien, darauf Schalen mit Duftölen, andere mit Nüssen und Gebäck, wieder andere mit Pokalen und Krügen; ein großes Polster mit vielen Kissen darauf lud zum Niederlegen; und über allem schwebte der berauschende Geruch von Weihrauch.. Ein Fenster und eine Tür ließen eine Dachterrasse vermuten, wie sie in vielen zyprischen Häusern zu finden war, eine weitere, offene Tür zeigte marmorgetäfelte Wände und Böden. In großen Vasen und am Fenster standen Blumen, an der Tür konnte man einen Oleanderbusch sehen, der draußen stand.

      Seine Begleiterin löste den Schleier, warf ihn auf einen Hocker und drehte das Licht einer auf dem Tisch stehenden Öllampe höher. „Ich heiße Leila und wohne und arbeite jetzt in diesem Haus. Vorher war ich, wie meine Freundinnen, in der Haremsschule des Scheichs as-Salih Ayyub in Kairo, wo wir lernen sollten, wie man Männer wie den Sultan zufrieden stellt. Als der aber den Krieg gegen seinen Vetter an-Nasir Yusuf verlor und Yusuf der Harem zufiel, wurden wir Novizinnen wie unser Lehrer, der Eunuch al-Abd Ser, alle verjagt, weil er uns nicht traute. Deshalb sind wir in unsere Heimat Lemesós zurückgekehrt, wo wir früher an den Sultan verkauft worden waren.“ Während sie sprach, betrachtete Heinrich sie gebannt: ein klar geschnittenes schmales Gesicht mit deutlichen Backenknochen, einem vollen roten Mund und schwarzen Augen, deren Größe durch dunkle Kajal-Striche noch betont wurde, war umrahmt von einer Fülle schwarzen, lockigen Haares, das ihr über die Schulter bis auf die Brust fiel; die dünne Tunika, wieder in dem glänzenden Dunkelblau, enthüllte mehr als dass sie den Körper darunter verhüllte. Heinrich fühlte sich wieder an die Empfindung erinnert, die ihn übermannt hatte, als die Lautenspieler den Abend einleiteten, und wehrte sich nicht im Geringsten, als sie anfing, seine Kleider zu lösen und dabei sagte: „Ihr Franzen riecht doch immer sehr nach Krieg und Ungutem – lass dich auskleiden und komm dann mit mir ins Bad nebenan!“ Nackt folgte er ihr in den Nachbarraum, wo einige Stufen in ein Wasserbecken führten. Sie nahm eine Klingel von einem Hocker, läutete und ließ sofort durch eine nicht sichtbare Tür eine Dienerin ein, die zwei Zuber mit dampfend heißem Wasser ins Becken schüttete. Als diese wieder verschwunden war, schob Leila ihn die Stufen hinunter ins Wasser, das ihn angenehm umspielte. Sie nahm einen runden Gegenstand wie eine kleine Wolke auf, tauchte ihn in eine Schale mit einer hellen, wohlriechenden Flüssigkeit und reichte ihm das Ganze.