Ein ganz böser Fehler?. Mike Scholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Scholz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131794
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      Während ich mich ankleide, höre ich sie drinnen brabbeln: »Es ist eine Frechheit von ihm, uns das an­zutun! Der Verbrecher, der! Aber ich glaube nicht, dass er los macht.«

      Meine Schwester schweigt dazu. Aus gutem Grun­de, denn seit Silvester weiß sie es besser.

      In mir drin rumort es. Die Vernunft in Allianz mit der Bequemlichkeit, der Faulheit, der Gewöhnung und der Familienliebe einerseits und die Unvernunft zusammen mit der Unstetigkeit, dem Draufgängertum und dem Ehrgeiz – Wer sind nun eigentlich die grö­ßeren Schweinehunde, die man besiegen muss? – an­dererseits stehen sich wieder einmal bis an die Zähne bewaffnet gegenüber, lassen die Schwerter funkeln, die Helme blitzen, die Lunten lodern, es scheint nur noch Centi-, Milli-, Mikro-, Nanosekunden zu dauern, bis sie übereinander herfallen und Funkenregen auf das geistige Schlachtfeld niederprasselt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass ich meinen ersten Versuch eines längeren Ganges vorzeitig abgebrochen habe. Der Leichengeruch wird stärker.

      Aber diesmal nicht. Auch schon deswegen, da ich dann von meiner Mutter immer belächelt werden würde, wenn ich ankündige, dass ich einen Sololauf hinlege.

      Eine letzte Chance gebe ich ihnen aber noch, damit sie nicht sagen können, ich hätte sie links liegen las­sen: Ich gehe nochmals in die Stube, frage, ob sie es sich anders überlegt haben. Doch wie erwartet be­komme ich auch diesmal ein »Nein!« zu hören. Wor­aufhin ich mich verabschiede, die Wohnung verlasse und mich die Treppe hinunter begebe.

      Gut, dass ich im Treppenlaufen geübt bin, stelle ich fest, als ich unten ankomme. Kein Flug, kein Wackler, ich hatte mich immer im Griff.

      Durch die Haustür, bloß noch ein Absatz vor mir – kein Problem, der sieht nicht weiter schlimm aus.

      Huch, Scheiße, fast wäre es passiert. Ein Wackler, ich konnte ihn gerade noch abfangen. Aber mag kom­men, was will, ich werde nicht umkehren! Da müssen schon schwerere Geschütze aufgefahren werden! Und nicht mal dann ist es sicher, ob ich zum Rückzug gezwungen werden kann!

      Ich komme am Zaun vorbei, den ich zu Silvester um­gerempelt hatte. Und bleibe kurz stehen, spüre, wie eine Welle von Gedanken versucht, mich in ihren Fluten mit­zureißen. Ich kann es mir aber jetzt nicht leisten, in Ge­danken versunken durch die Gegend zu trotten.

      Bei dem Anblick des Zaunes steigt in mir unwill­kürlich Heiterkeit hoch. Zu Neujahr, als meine Mutter wieder zu Hause aufkreuzte, wetterte sie über diesen umgestürzten Zaun: »Wer weiß, welche Ganoven den wieder umgerissen haben! So was gehört ins Zucht­haus!« Saskia und ich schauten uns wissend grinsend an, hielten aber beide die Klappe. Und ließen unsere Mutter weiter lamentieren, die das Thema noch flei­ßig erörterte.

      *

      Nach einer Weile – wie lange weiß ich nicht, da ich ja keine Uhr mehr besitze – bin ich an der Ecke ange­langt, an der ich diese Straße verlassen werde. Meine Beinmuskulatur ist natürlich nicht gerade begeistert von der Belastung, die ich ihr aufbürde, deswegen gehe ich auch zum hier ansässigen Zaun, setze mich auf den Erdboden. Und dort wird erst mal die Faust vor Jubel geballt: Geschafft, bis zur hiesigen Ecke – wird ja auch Zeit! Zwar absolvierte ich damit erst rund ein Drittel meines mir bevorstehenden Weges, was aber keinen Grund zur Sorge darstellt – auch die­se Strecke nimmt mal ihr Ende.

      Ich stehe wieder auf, schaue so ganz beiläufig (?) zu den Fenstern meiner Mutter zurück. Wo tatsäch­lich jemand seinen Kopf zum Fenster hinausstreckt, ich aber nicht erkennen kann, wer es ist. Aber gleich­zeitig fangen zwei Stimmen in meinem Inneren an, sich zu streiten, jede will recht haben, keine weicht einen Schritt zurück: »Mike, geh jetzt zurück! Du hast ihnen doch bewiesen, dass du es kannst!« Die Stimme der Vernunft. Ich dachte, die ist vorhin besiegt wor­den. Steht wohl auch immer wieder auf, wa? Na, auf jeden Fall hat sie sich schon einmal in mir durchge­setzt, und das darf nicht zur Gewohnheit werden.

      Ich höre mir an, was die andere Stimme zu sagen hat: »Mike, geh weiter! Das ist die einmalige Gele­genheit, ihnen zu zeigen, dass sie dich mal können! Und das willst du doch!« Ja, das ist die Stimme, mit der ich mich immer mehr identifiziere, die frei von Angst ist, frei jeder Auferlegung, frei jeder Beschrän­kung, die meine ist, die ich selber bin.

      Okay, diese einmalige Gelegenheit werde ich wahrnehmen. Niemand weiß, ob sie sonst jemals wie­derkommt. Denn wenn ich jetzt einen Rückzieher voll­führe, habe ich es doppelt schwer. Nein, ein Zurück gibt es nicht.

      *

      Nächste Ecke, noch circa fünf Meter bis zum Ziel. Auf der Gerade hatte ich einen einzigen Wackler, als der Asphalt sich in Löcher auflöste. Konnte mich da aber abfangen. Und jetzt?

      Fast geschafft, nur noch ein Katzensprung bis zu dem Haus, wo Mascha wohnt. Selbst für mich! Wenn man bedenkt – vor einem Monat bin ich noch im Rollstuhl durch die Gegend gekraucht. Und jetzt? – Los, weiter! Auch wenn dir mulmig ist in den Beinen, das Stückchen schaffst du auch noch.

      *

      Da – geschafft! Angekommen! Der Eingang zum Haus liegt vor mir. Erst mal prüfen: Schaut jemand aus den Fenstern? Nö, niemand zu sehen. Also allei­ne weiter.

      Zur Haustür hinauf muss ich über einen Absatz und über eine Treppe. Und nirgends kann man sich festhalten! – Oder doch? – Die Veranda hat eine Sei­tenwand; welche ich nutze, da ich keine Lust habe und nicht mehr in der Lage sein dürfte, nur mit Hilfe der Krücken die Stufen hinaufzulaufen.

      An der Haustür angekommen halte ich erst einmal Ausschau nach einer Klingel. Ich finde auch eine – namenlos; und es existiert hier eine rechte und eine linke Seite. Na wie schön!

      Ich habe keine Ahnung, welche Seite die richtige ist.

      Wenn da keiner da ist, habe ich'n Dreck! Ach egal – jetzt bin ich so kurz vor dem Ziel! Jetzt darf mal wieder mein Schutzengel in Aktion treten. Und wenn nicht, setze ich mich eben auf die Treppe und lege eine Pause ein; die habe ich nämlich dringend nötig.

      Die Haustür ist offen – wunderbar. Und im Haus­flur befinden sich die Briefkästen, wo auf einem von ihnen Maschas und Kulles Namen draufstehen.

      Aber hoffentlich wohnen sie nicht ganz oben. Mei­ne Erinnerung besagt zwar, dass ich damals, als ich mit Manuela und Engel hier war, »nur« eine Treppe hinauf musste, aber auf meine Erinnerung verlasse ich mich nicht. Infolgedessen muss ich alles abklap­pern.

      Ganz unten wohnen sie nicht. Darum ächze die Treppe hoch.

      Erster Stock – da auch nicht. Aber was mir auf­fällt: Es existiert nur eine Seite. Warum sind dann an der Klingel zwei? Da waren die Architekten wohl mal wieder nicht ganz nüchtern?!

      Nächster Stock – auch hier nur eine Seite. Ich schaue auf das Namensschild – groß und deutlich prangt da Kaminski.

      Das ist der richtige Name. Ich bin da. Jetzt brau­chen die bloß noch da zu sein!

      Ich horche an der Tür – Ja, Stimmen höre ich. Ex­quisit, mein Weg war nicht umsonst! – Die Aufre­gung quillt wieder.

      Klingeln. Ich höre jemanden kommen. Stelle mich etwas seitlich zur Tür, sonst müsste ich die Treppe noch einmal hochlaufen.

      Kulle steckt seinen Kopf raus. »Heh Ente!«, ruft er überrascht. »Wie kommst denn du hierher?«

      »Rüße zück!« Mühsam kommen die Worte heraus, denn ich bin schier überwältigt von Stolz und Zufrie­denheit. Außerdem stimmt mich der Empfang opti­mistisch.

      »Ichin gelaufn.« Jetzt habe ich mich wieder eini­germaßen in der Gewalt.

      »Komm rein, Ente! Musst ja ziemlich fertig sein.«

      »Danke! Binichouch!«

      Kulle kündigt in die Stube hinein meinen Auftritt an: »Heh Leute, wisst ihr, wer gekommen ist? Ente!«

      »Waaas??«, schallt es von drinnen. Und dem folgt sofort ein hörbares Aufspringen und Heraneilen.

      Mascha taucht auf, Steffen danach. Beide begrü­ßen