Ein ganz böser Fehler?. Mike Scholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Scholz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131794
Скачать книгу
Gray - 123rf.com; © Zacarias Pereira Da Mata - 123rf.com;

      © nanypw - 123rf.com; © Jakub Gojda - 123rf.com

      Satz: Jana Walther

      Verlag & Druck: epubli

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Ver­lages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbeson­dere für die elektronische oder sonstige Verviel­fältigung, Überset­zung, Verbreitung und öffentliche Zugänglich­machung.

      »Sleep with one eye open«

      Metallica

      1

      Geschafft, geschafft, geschafft, ich habe es ge­schafft!!! – juhuhuhuuu, ich laufe wieder – allein!!! Unfassbar, was in mir vorging, als ich das Urteil hörte, und doch – es ist Wirklichkeit – schöne Wirk­lichkeit! Unglaublich für viele, yeah, aber – es ist wahr: Mindestens die Ärzte hier (und wer weiß, wer sonst noch) haben gedacht, der Rollstuhl bleibt für alle Zeit mein Lebensbegleiter, waren überzeugt, das war's für mich, haben mir niemals zugetraut, dass ich zurückkomme auf die Bühne des Lebens – können sich ja heute noch nicht eines verächtlichen Schmun­zelns erwehren. Aber trotzdem – nicht nur ih­nen habe ich gezeigt, dass sie diese These in den Müll schmei­ßen können.

      Schwester Annemund – das ist die, welche mir so September/Oktober rum mal die Musrinne ausge­kratzt hatte – gratulierte mir heute früh dazu, hob aber auch gleichzeitig den imaginären Zeigefinger: Sie hoffe, ich mache jetzt so weiter, bleibe nicht ste­hen. »Bei Ihrem Mut und dem Willen, den Sie besit­zen, bin ich mir ganz sicher, dass Sie noch viel errei­chen können!«

      »Stehbleien?«, ließ ich jedoch keinen Zweifel zu. »Geharnich. Se könnch doff verlassn, dassch weiter mach. Schließich willch widder Fußball spieln könn. Undisahin bedarfes noch einier Schitte.«

      Allgemeines Aufstöhnen im Zimmer, als mir der Begriff »Fußballspielen« von der Zunge schlüpfte. Und dann gab man mir zu verstehen, dass ich froh sein solle, überhaupt wieder alleine laufen zu können, das mit den Krücken laufen solle ich erst einmal per­fektionieren, ich solle mir nicht so hohe Ziele setzen, und weiteres bla-bla-bla.

      Klar, im Endeffekt mögen sie recht haben: Ich bin froh, dass ich wieder allein laufen kann; aber ich muss auch draußen mit Krücken laufen können – ohne dass ich Nachbarzäune umstoße. Zur Zeit ist es bei mir wie bei einem Tier, das Blut geleckt hat und auf den Geschmack gekommen ist, deshalb einen Nachschlag will und sich nun vor die Wahl setzt: Al­les oder nichts. Und so betrachte ich die Krücken – auch wenn sie mir voriges Jahr noch vorkamen wie einem zeitreisenden Dichter im Mittelalter die Rots­wid von Gammlersheim – nur als Zwischenlösung, will wieder ohne Hilfsmittel laufen können, Freistil, das gehört sich ja wohl so. Und stelle ich mir auch immer nur so etwas zum Ziel, was ich noch nicht kann, dadurch purzle ich vorwärts, bis zum goldenen Ende. – Oder dem Sturz in den Sarg. Was aber nie passieren wird! – Und natürlich wird es wieder Leute geben, die mir dabei Knüppel zwischen die Beine werfen wollen. Aber diese Knüppel werde ich abpral­len lassen! Ich bin es doch schon gewohnt, diese Leu­te, diese Knüppel!

      Wobei ich eine sehr gewichtige Er­fahrung ge­macht habe: Andere haben immer bedeu­tend mehr Angst um mich, wenn sie mich sehen, als ich selbst. – Oder um Einrichtungsgegenstände, siehe meine Mut­ter. – Denn ich komme gar nicht dazu, wel­che zu ha­ben (sonst würde es vielleicht in Panik aus­arten), muss mich viel zu sehr auf meinen Körper konzentrie­ren; merke es dadurch auch sofort, wenn mein Kör­per die Hufe hochreißt, so dass ich dann schleunigst nach dem berühmten Rettungsanker Ausschau halten kann. Nur so kann ich hoch riskieren; und das ist ja schließlich die Ursache für mein ganzes Aufrappeln.

      *

      Nachmittag, Krankengymnastik vorbei, keine Aufga­ben mehr. Jetzt heißt es für mich erst einmal auf dem Gang herumspazieren – stabilisieren.

      Ich drehe meine Runden. Schreite dabei vor der versammelten Station auf und nieder, gehe förmlich durch ein Spalier, das mir Glückwünsche und wohl­gemeinte Äußerungen zuruft. Und ich muss sagen, ich genieße das Bad in der Menge.

      Es macht mich unheimlich stolz, symbolisch auf die Schulter geklopft zu bekommen. Genau dies hätte ich eigentlich die ganze Zeit über schon gebraucht, bekam aber nur scheinbare Fakten an den Kopf ge­worfen, die sich jetzt als Dogmen erwiesen haben. Und da ich dies sehr schnell merken lernte, musste ich damit leben, behielt in meinem Kopf jedoch das Überzeugt sein von meinem Wiederhochkommen. Auch diese Mitleidsheuchelei! Wie mich das ange­ekelt hat! Aber als Krüppel? Viele bilden sich ein: »Mit dem können wir es ja machen.« Und dies muss man dann alles schlucken. Sagst du aber was dage­gen, wirst du belächelt. Und mich persönlich bringt das zur Weißglut, lässt mich über den Wipfel der Pal­me hinausklettern, wo eigentlich schon gar nichts mehr ist. Es gibt nur eine Chance, dagegen anzukom­men, und die habe ich genutzt – beziehungsweise habe den Anfang dieser Chance erfolgreich an mich herangezogen! Und habe es allen gezeigt, die mir zu­heuchelten: »Es wird schon wieder werden. Bald kannst du wieder laufen.« Oftmals ließ man mich nicht, versuchte, mich davon abzuhalten, den Weg nach oben zu erkennen und ihn zu beschreiten. Doch da half es nur, mit dem Kopf gegen die Wand, bis die Wand bröckelt. Und darauf bin ich stolz! Weiß auch, dass ich etwas geschafft habe, worum mich mancher beneidet, was viele, kämen sie in so eine Situation, nicht nachvollziehen könnten. Weil sie in kritischen Situationen jeden Kampfes­willen vermissen lassen würden, nicht an sich glaubten, den Schwanz aus Angst vor irgendwelchen Komplikationen einzögen. Aber – auch ich bin noch am Anfang, habe noch viel vor mir, wo mir noch viel passieren kann. Und ich bin kein Prophet, wüsste nicht, was werden würde, wenn man mich noch ein­mal in den Rollstuhl zurück­schmeißt. Doch ich glaube, dass ich mit Wieder-Al­lein-Laufen-Können das Schwerste erledigt habe.

      Drei Runden habe ich hinter mir.

      Jetzt möchte ich aber sehen, dass ich zurückkom­me in meine Behausung! Meine Beine fangen schon an zu zit­tern, sie werden labil. Ein sicheres Zeichen dafür, dass meine derzeitige Kraft sich dem Erliegen nähert.

      Ein Mitpatient öffnet mir die Tür. Drinnen wollen Franz und Hans wissen, wie es draußen war.

      »Gnießenssert«, halte ich mich jedoch nicht lange auf und strebe weiter zum Bett.

      Vor dem Bett angekommen brauche ich mich nur noch umdrehen, dann kann ich hineinplumpsen. Da: »Scheiße!«, stöhne ich schmerzerfüllt auf, während ein erhöhter Pulsschlag durch meinen Kopf tobt. Dre­hungen sind wirklich nicht meine Spezialität. Dazu ist mein Oberkörper auch noch nach vorn getaumelt, was ich mit den Beinen nicht mehr abfangen konnte. Über die Krücken habe ich mich darüber hinweg gelehnt; was im Endeffekt dazu führte, dass ich mich kopfüber in Richtung Fußboden katapultierte.

      Vor Hans seinem Bett liegend drehe ich mich erst einmal um, um wieder auf mein Sitzfleisch zu gelan­gen. Gleichzeitig will ich die Stelle entlasten, auf die ich geflogen bin: irgendwo am Kopf, vermutlich die rechte Augenbraue. Zumindest tut es da höllisch weh. Und als ich wieder in die Sitzstellung gelangt bin, merke ich, wie mir etwas den Kopf hinunterläuft. Ich taste danach, gucke: Blut!

      Franz und Hans kommen gleich angewetzt: »Mike, was machst du denn da für Sachen? Ist dir was pas­siert?« Wahrscheinlich hext mein schmerzverzerrtes Gesicht noch ein paar Sorgenfalten mehr auf ihrer Stirn hinzu.

      Hans, der als erster da ist, lässt seinen Blick über meinen Kopf schweifen: »Oje, das sieht nicht gut aus. Verletzung am Auge. Bleib mal sitzen! Oder noch besser, leg dich wieder hin! Ich hole einen Arzt.« Und spurtet nach draußen.

      Franz, der den freigewordenen Platz übernimmt, beäugt sich nun ebenfalls die Sache. »Mann, Mike, das sieht wirklich nicht gut aus. Ist dir irgendwie schwummrig?«

      Aber noch bevor ich eine Antwort geben kann, er­scheint schon Hans mit Frau Dr. Heinzl. Die mich gleich unter ihr prüfendes Auge nimmt.

      »Waren Sie kurz außer