Statt einer Antwort richte ich mich auf. Worauf sie an meiner rechten, Hans an meiner linken Seite zugreift. Franz angelt sich meine auf dem Boden befindlichen Krücken, stellt sie zurück an mein Bett.
Frau Heinzl sieht sich jetzt meinen Kopf genauer an: »Da ist nur eine Platzwunde am rechten Augenlid, nichts Ernsthaftes. Und die ist so klein, dass ich sie nicht zu nähen brauche.«
Hach, bin ich da erleichtert! Als ich zehn war, hatte ich bei einer Rauferei eine Platzwunde am Kopf abgekriegt. Und die musste mit drei Stichen genäht werden. Oh, tat das weh! Seitdem habe ich eine Abneigung gegen die Vernäherei.
»Die Blutung hat aufgehört, aber vielleicht müssen wir es klammern!«
Klammern? Zitter zitter, kenne ich noch gar nicht! Klingt aber auch nicht gerade begeisternd!
»Ach, wissen Sie was? Ich mache auf die Wunde einfach nur was drauf, Sie bleiben eine Stunde liegen, und Dr. Frisch, der heute Dienst hat, guckt sich die Sache in einer halben Stunde noch mal an!« – Dr. Frisch ist der Neue, der sich hier einarbeiten soll. Aber für die beiden weiblichen Chefdoktoren ist er mehr der »Sam«. Ruhig, schüchtern, kleinlaut; sieht auch so aus, als ob er kein Wässerchen trüben könnte; ein der baldigen Lichtung naheliegender dunkelbrauner Seitenscheitel ziert ihn; eine Hornbrille nennt er sein eigen, aus der paar Glubschaugen gucken; schlank kann man ihn schon nicht mehr nennen – er ist regelrecht dürre, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob ihn nicht schon ein laues Lüftchen umwirft. Zwar heißt es: »Stille Wasser sind tief!« Wenn er aber einen halben Meter tief ist, dann führt die Sahara Flussdeltas. Frau Heinzl dagegen ist robust. – Eieieih, liegt da etwa ein tieferer Grund dahinter, dass er hier an dieser Station eingestellt wurde unter die Regierung dieser zwei Amazonen?
»Frau Heinzl, hamSe jetztetwa Feierabnd?«
Sie bejaht.
»Oh, dann tutes mirnatürich trauig, dassichn verzögert hab.«
Sie verlässt nun das Zimmer, aber ein Lächeln konnte es sich nicht verkneifen, noch schnell über ihr Gesicht zu säuseln.
»Eben noch am Boden, aber das frech sein kann er sich nicht verkneifen.« Franz wundert sich schon wieder.
Ich sage aber nichts dazu, denn ich bin mir ganz sicher, er wird davon noch mehrere Kostproben bekommen.
*
Auf dem Bett, döse vor mich hin.
Langweilig! Aber was soll ich machen? Habe mir das ja selber eingebrockt, kann mich deshalb nicht beschweren! Und das Lesen lasse ich jetzt auch lieber; auf dem Rücken liegend geht es sowieso schlecht. Also: Träumen, das hilft immer. – Na gut, nicht immer, aber immer öfter. Und ich tue es ziemlich oft.
Mein emotionaler Traumspeicher spuckt schon seit einer ganzen Weile nur noch eine Seite aus. Und so auch diesmal, so dass sie die Macht in mir ergreift, so dass sie meine Empfindungen einhüllt in eine Welt, die so sein sollte, wie ich es gerne hätte, aber noch (?) nicht so ist: Jacqueline. Sternenklarer Himmel. Ein schwaches Lüftchen haucht in diese milde Sommernacht. Der See vor uns unbeweglich geräuschlos. Wir schauen uns an. Im Lichte der dort vorn stehenden Laterne gewahre ich die so sehr geliebten Züge, lege meine rechte Hand auf deine linke Wange, lasse den Daumen einen Halbkreis beschreiben von der Nasenspitze bis zu der geschürzten Oberlippe. Du küsst ihn zart, dann saugst du ihn an – oder saugt er deine Lippen an? Er löst sich nur ganz langsam von ihnen, wobei ein Geräusch entsteht, als wenn ein Vampir den letzten Tropfen Blut aus seinem Liebesdiener saugt und sich den, während er in höchster Ekstase ist, besonders munden lässt in der Gewissheit, dass er ihm gleich ewiges Leben schenken wird. Ist jetzt ein Stückchen Haut abgelöst? Guckt irgendwo schon der Knochen aus seiner Verankerung? Ich achte nicht darauf, lasse dafür meinen Daumen wieder den Rückzug antreten, verharre aber an der Nasenspitze, um noch ein bisschen zu frotzeln. Er kitzelt an ihr. Von tiefestem Zorn übermannt schießt deine Zunge hervor, gibt dem Daumen einen Schubser, so dass er sich erschreckt in sein Haus zurückbegibt. – Stimmt ja, deine Zunge ist ja von so enormer Länge, wie ich es noch nie gesehen habe. – Wir lösen uns voneinander; ich schaue dir fasziniert zu, wie du den Bikini fallen lässt, sehe mit wachsendem Verlangen, wie das Oberteil an den Brustknospen, die zunehmend wachsen, hängen bleibt, dann abspringt wie ein von der Volumina her resignierendes geplatztes Kondom vom steifen Penis. Du springst ins Wasser. Ich lasse die Hose fallen und springe hinterher. Dunkelheit. Ich rudere. Weiterhin Dunkelheit. Ich rudere stärker. »Mike«, schallt es klagend aus der Ferne. Ich erhöhe die Frequenz. Der Schall wird schwächer. Ich kreise rundum, doch nirgends nimmt die Akustik wieder zu. Und zurückschreien kann ich ja nicht, bin ja im Wasser. – Wundert mich eh, dass ich es solange luftmäßig durchhalte. – Da, dort taucht was Lichternes vor mir auf. Acht Buchstaben, wie ich jetzt ausmachen kann: Also den ersten kann ich noch nicht erkennen, der zweite ein a, der dritte und vierte ist unklar, dann ein -u-, der Nächste ist wieder unklar, ein -l-, ein -i- Jacqueline. Wuff! Ja, wo bist du? Ich bin derzeit wirklich in einem schwarzen Loch, während du irgendwo da draußen bist. Und es dürfte auch nicht sehr schwer sein, herauszukriegen, welche Umgebung du mit deiner Schönheit soeben becircest. Doch – ich kann derzeit nichts tun, um sie zurückzugewinnen. Nichts?? Nichts!!! Rrrrrrrrrrrrr!! Krüppel verrecke!! Nur – in meinem jetzigen Zustand, nee, das kannst du vergessen. Wie würde es denn aussehen, wenn ich plötzlich vor ihrer Tür stände, mit Krücken bewaffnet, kaum laufen könnend? Das würde doch den Anschein erwecken, dass ich zu ihr gewinselt käme, um mein Ego zu befriedigen. Sie würde denken, sie ist nur mein Notobjekt. Ich würde damit auf ihre Mitleidsdrüse drücken – was vielleicht von Erfolg gekrönt wäre; denn sie ist – Zum Glück! Deswegen liebe ich sie ja! – emotional aufgeheizt. Aber nee nee, diese Möglichkeit kommt nicht in Frage. Erst muss ich mich wieder völlig aufgerappelt haben, dann auf in den Kampf um sie.
Dr. Frisch kommt herein, schreckt mich auf aus meinen Vergangenheits– und Zukunftsbetrachtungen: »Herr Scholz, ich habe vernommen, sie haben sich eine Platzwunde am Kopf zugezogen? Zu viel zugetraut und deswegen übernommen, wa?« Und untersucht meinen Schönheitsmakel, während ich mich rechtfertige.
»Haben Sie noch irgendwelche Schmerzen?«, will er nach einer Weile wissen.
»WennSeniraderoff rumdrückn, ni!« Genau das tut er nämlich momentan.
»Wenn Sie nicht noch einmal darauf fallen, ist es in einer Woche wieder zu. Klammern brauchen wir es nicht. Ich mache jetzt noch was darauf, zum Schluss kommt noch eine Binde drüber; dann ruhen Sie sich aus, tun heute nichts mehr.«
Aber nicht doch, Doktorchen! Wenn ich mich in einer Stunde akklimatisiert habe, werde ich wieder rausgehen auf den Gang. Ist doch wohl klar!
»Sie passen ein bisschen auf ihn auf, denn ich traue ihm nicht«, fordert er Franz und Hans auf. Die jedoch nicht antworten. Was ihn veranlasst, sie befremdet anzuschauen – und dann doch zu gehen.
»Habtir gehört? Ihr seid meieOffpasser!«, kann ich mir nicht verkneifen, Franz und Hans zu frotzeln.
»Blödsinn, so was!«, ereifert sich Hans. »Sollen wir uns vielleicht kloppen, wenn du raus willst? Wir geben dir den freundschaftlichen Rat, dich für heute auszuruhen; aber aufhalten können und werden wir dich niemals!«
»Okay, ich habn registiert: Alle Warnungen sinoff mich abgeschossn! Wie spät isses?«
Hans guckt auf seine Uhr: »Kurz vor fünf. Wieso?«
Um vier rum erfolgte mein Bodenanflug. Somit kann ich meine Aktivitäten wieder aufnehmen.
»Weilch jetzte offsteh, wieder rausgeh, weitertrainiere.«
Franz will zu einer Gebotstirade ansetzen: »Mike «
Ich komme ihm aber zuvor: »Franz, spardir deie Worte. Sie dringen bei mir sowieso ni ins Vernunfszentum. Ich hab durch de vorhin passierte Begebenheit gelernt, wasch zu vermeidn hab und wieichs anstelln muss. Außerdem fühlich michokay; ich hab ja ni vor, mir offm Lid rumzudrückn. Unne Stunde is vorbei.« Hans hält mir grinsend die Tür auf.
Ich grinse