Sobald ich und mein Koffer im Wagen waren und er seinen Platz eingenommen hatte, setzte sich das faule Pferd in seinen gewohnten Trott.
»Sie sehen sehr gut aus, Mr. Barkis,« fing ich an.
Mr. Barkis rieb sich seine Backen mit dem Ärmel und sah dann hin, als ob er darauf die Blüte seines Gesichts abgefärbt zu sehen erwartete. Weiter gab er kein Zeichen der Anerkennung meines Kompliments von sich.
»Ich habe Ihren Auftrag ausgerichtet, Mr. Barkis,« sagte ich, »und an Peggotty geschrieben.«
»Hm,« meinte Mr. Barkis.
Er schien verdrießlich zu sein und antwortete sehr kurz.
»Wars nicht richtig, Mr. Barkis?« fragte ich nach einigem Zögern.
»Nun, nein,« sagte Barkis.
»Falsch ausgerichtet?«
»Ausgerichtet wars schon gut,« sagte Mr. Barkis, »aber dann wars aus.«
Da ich nicht verstand, was er meinte, wiederholte ich fragend:
»Dann wars aus, Mr. Barkis?«
»Wurde nichts draus,« erklärte er und blickte mich von der Seite an. »Keine Antwort.«
»Sie erwarteten also eine Antwort, Mr. Barkis?« sagte ich und riß die Augen auf, denn das kam mir ganz überraschend.
»Wenn ein Mensch sagt, er will,« sagte Mr. Barkis und wendete seine Augen langsam wieder auf mich, »heißts doch soviel wie, man wartet auf Antwort.«
»Wirklich, Mr. Barkis?«
»Wirklich,« sagte Mr. Barkis und zielte mit den Augen nach den Pferdeohren. »Der Mensch wartet immer noch auf die Antwort.«
»Haben Sie ihr das gesagt, Mr. Barkis?«
»Hm,« brummte Mr. Barkis und dachte darüber nach. »Hab mich noch nicht entschlossen. Sprach noch keine sechs Worte mit ihr. Kanns ihr nicht sagen.«
»Soll ichs ihr vielleicht sagen, Mr. Barkis?« fragte ich schüchtern.
»Könnten s schon, wenn Sie wollten,« sagte Mr. Barkis wieder mit einem langsamen Blick zu mir. »Daß Barkis auf Antwort wartet. Hm, wie ist doch der Name?«
»Ihr Name?«
»Hm,« sagte Mr. Barkis mit einem Kopfnicken.
»Peggotty.«
»Taufname, Vorname?« fragte Mr. Barkis.
»Nein, das ist nicht ihr Taufname. Ihr Vorname ist Klara.«
»So,« sagte Mr. Barkis.
Meine Antwort schien ihn außerordentlich stark zum Nachdenken anzuregen, denn er saß lange grübelnd da und pfiff innerlich.
»Hm,« fing er endlich wieder an, »sagen Sie Peggotty: Barkis wartet; und sagt sie, worauf? sagen Sie: auf Antwort. Sagt sie: worauf? sagen Sie: Barkis will.«
Diese außerordentlich knappe Erklärung begleitete Mr. Barkis mit einem freundschaftlichen Rippenstoß, daß mir die Seite weh tat. Darauf hockte er wieder wie gewöhnlich ruhig auf seinem Platz und blieb in dieser Stellung, bis er eine halbe Stunde später ein Stück Kreide aus der Tasche holte und innen an die Wagendecke schrieb: Klara Peggotty –. Offenbar als Privatnotiz.
Was für ein seltsames Gefühl, sich der Heimat zu nähern, die einem fremd geworden ist! Jeder Gegenstand, den man erblickt, erinnert einen an das alte, liebe Vaterhaus. Es kam mir alles wie ein Traum vor, den ich nie mehr wieder träumen könnte. Die Tage, wo meine Mutter, ich und Peggotty einander alles waren und noch niemand sich zwischen uns gedrängt hatte, erstanden unterwegs vor meinen Augen mit so traurigen Erinnerungen, daß ich am liebsten umgekehrt wäre und in Steerforths Gesellschaft vergessen hätte. Aber ich war jetzt angekommen und stand bald vor unserm Hause, wo die kahlen, alten Ulmen ihre vielen Hände in die kalte Winterluft hinausstreckten und Fetzen von den alten Krähennestern vom Winde fortgeweht wurden.
Der Fuhrmann lud meinen Koffer an der Gartentür ab und verließ mich. Ich ging den Fußsteig nach dem Hause zu, sah nach den Fenstern und fürchtete jeden Augenblick, Mr. oder Miß Murdstone zu erblicken. Es zeigte sich jedoch kein Gesicht, und ich trat leise und schüchtern ein.
Gott weiß, aus wie früher Kindheit die Erinnerung stammen mußte, die beim Klang der Stimme meiner Mutter wieder wach wurde, als ich den Fuß in den Flur setzte. Sie sang leise. Ich glaube, ich muß in ihren Armen gelegen und sie so singen hören haben, als ich noch ein Säugling war. Das Lied kam mir neu und doch so alt vor, daß es mein Herz zum Überströmen erfüllte. Es war mir wie ein alter Freund, der nach langer Abwesenheit zurückkehrt.
Aus der Weise, wie meine Mutter das Lied sang, schloß ich, daß sie allein sei, und ich trat leise ins Zimmer. Sie saß beim Feuer und säugte ein Kind, dessen winzige Händchen an ihrem Halse ruhten. Ihre Augen hingen an seinem Gesicht und sie sang ihm etwas vor. Ich sah sofort, daß sie allein war.
Ich sprach sie an. Sie fuhr auf und stieß einen Schrei aus. Aber als sie mich erkannte, nannte sie mich ihren lieben Davy, ihr geliebtes Kind, kam mir entgegen, kniete vor mir nieder und küßte mich und legte meinen Kopf an ihre Brust neben das kleine Wesen, das sich an sie anklammerte, und legte seine Händchen an meine Lippen.
Ich wollte, ich wäre gestorben mit diesem Gefühl im Herzen. Ich hätte besser für den Himmel gepaßt, als jemals später.
»Es ist dein Brüderchen,« sagte meine Mutter und liebkoste mich. »Davy, mein hübscher Junge, mein armes Kind.« Dann küßte sie mich immer mehr und mehr und umschlang meinen Nacken. Dann kam Peggotty hereingelaufen, warf sich auf dem Boden neben uns hin und war eine Viertelstunde lang halb von Sinnen. Man hatte mich nicht so zeitig erwartet, und der Fuhrmann war früher angekommen als gewöhnlich. Mr. und Miß Murdstone befanden sich in der Nachbarschaft auf Besuch und würden, erfuhr ich, nicht vor Abend zurückkommen. Das hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß wir drei würden wieder einmal ungestört beisammen sein können, und für dies eine Mal waren für mich die alten vergangnen Zeiten zurückgekehrt.
Wir speisten zusammen beim Kamin. Peggotty wollte uns bedienen, aber meine Mutter litt es nicht, und sie mußte sich mit zu Tisch setzen. Ich hatte meinen alten Teller wieder mit einem braunen Kriegsschiff unter vollen Segeln darauf, den Peggotty sorgfältig aufgehoben und für hundert Pfund nicht zerbrochen hätte, wie sie sagte. Ich hatte meinen alten Trinkbecher mit dem Namen »David« drauf und mein altes Besteck, das noch immer stumpf war.
Als wir bei Tische saßen, hielt ich es für den geeignetsten Moment, Mr. Barkis Auftrag auszurichten. Ehe ich damit zu Ende kam, fing Peggotty an zu lachen und hielt die Schürze vors Gesicht.
»Peggotty,« sagte meine Mutter. »Was gibts denn?«
Peggotty lachte nur noch mehr und hielt ihre Schürze noch fester vors Gesicht, als meine Mutter sie wegziehen wollte. Sie saß da wie mit dem Kopf in einem Sack.
»Was hast du denn, du dummes Ding?« fragte meine Mutter lachend.
»Ach, der alberne Mensch,« rief Peggotty. »Er will mich heiraten.«
»Wäre das nicht eine ganz gute Partie für dich?« fragte meine Mutter.
»Ach, ich weiß nicht,« sagte Peggotty. »Fragen Sie mich nicht. Ich möcht ihn nicht haben, und wenn er von Gold wäre. Ich will überhaupt niemand haben.«
»Also warum sagst dus ihm nicht, du kindisches Ding?«
»Ihm sagen,« meinte Peggotty und sah unter ihrer Schürze hervor. »Er hat noch nie ein Wort davon erwähnt, er weiß ganz gut, warum. Wenn er sichs unterstehen würde, würd ich ihm eine Ohrfeige geben.«
Ihr Gesicht war röter als ich es je gesehen hatte. Sie deckte es gleich wieder zu und brach in ein heftiges Lachen aus; und nachdem sich dieser Anfall zwei-oder dreimal wiederholt hatte,