David Copperfield. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197098
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der Schulstube. Er hatte sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Hände in den Taschen, und sah Mr. Mell an, die Lippen zum Pfeifen gespitzt.

      »Ruhe, Mr. Steerforth,« sagte Mr. Mell.

      »Selbst Ruhe,« sagte Steerforth und wurde rot. »Mit wem sprechen Sie eigentlich?«

      »Setzen Sie sich,« sagte Mr. Mell.

      »Setzen Sie sich selber,« sagte Steerforth, »und kümmern Sie sich um Ihre Sachen.«

      Man hörte ein Kichern und einige Beifallsrufe. Aber Mr. Mell war so bleich, daß es fast augenblicklich wieder still wurde, und ein Junge, der hinter ihn gesprungen war, um wieder Mr. Mells Mutter nachzuäffen, besann sich anders und gab vor, er möchte eine Feder geschnitten haben.

      »Wenn Sie vielleicht glauben, Steerforth,« sagte Mell, »es wäre mir nicht bekannt, welche Macht Sie hier über jedes Gemüt ausüben können, –« er legte seine Hand, vielleicht ohne zu wissen, was er tat, auf meinen Kopf – »oder ich hätte nicht bemerkt, wie Sie vor wenigen Minuten Ihre jüngern Mitschüler in jeder Weise aufreizten, mich zu beschimpfen, so irren Sie sich.«

      »Ich gebe mir überhaupt nicht Mühe, an Sie zu denken,« sagte Steerforth kaltblütig, »also irre ich mich zufällig gar nicht.«

      »Und wenn Sie Ihre Stellung als Günstling hier mißbrauchen, Sir,« fuhr Mr. Mell mit bebenden Lippen fort, »um einen anständigen Menschen zu beleidigen.«

      »Einen, was? – Wo ist er?« fragte Steerforth.

      Hier rief jemand: »Pfui Steerforth, das ist gemein.«

      Es war Traddles, den Mr. Mell augenblicklich zurechtwies, indem er ihm befahl, den Mund zu halten.

      »– – jemand zu beleidigen, der nicht glücklich im Leben ist und Ihnen nie das geringste getan hat, und zugleich die vielen Gründe kennen, die Sie veranlassen sollten, es nicht zu tun, Gründe, die zu kennen Sie alt und klug genug sind,« sagte Mr. Mell, und seine Lippen zitterten immer mehr, »so begehen Sie damit eine niedrige und gemeine Handlung. Sie können sich jetzt setzen oder stehen bleiben, wie Sie wollen. Weiter, Copperfield.«

      »Kleiner Copperfield,« sagte Steerforth und kam ans Pult, »warte einen Augenblick. Ich will Ihnen was sagen, Mr. Mell, ein für allemal. Wenn Sie sich die Freiheit nehmen, mich niedrig oder gemein zu nennen oder einen ähnlichen Ausdruck zu gebrauchen, so sind Sie ein unverschämter Bettler. Sie sind überhaupt ein Bettler, das wissen Sie ja. Aber wenn Sie das tun, so sind Sie ein unverschämter Bettler.«

      Ich war mir nicht klar, ob er nach Mr. Mell oder Mr. Mell nach ihm schlagen wollte, oder ob auf einer der beiden Seiten überhaupt eine solche Absicht vorhanden war. Ich sah die ganze Klasse wie versteinert dasitzen und Mr. Creakle plötzlich in unserer Mitte erscheinen und Tongay neben ihm und an der Tür Mrs. und Miß Creakle mit scheuen und erschrocknen Gesichtern. Mr. Mell, die Ellbogen auf das Pult und das Gesicht in die Hände gelegt, saß einige Augenblicke regungslos da.

      »Mr. Mell!« sagte Mr. Creakle, den Schullehrer am Arme fassend und schüttelnd, und sein Flüstern war diesmal so laut, daß Tongay die Worte nicht zu wiederholen brauchte. »Sie haben sich doch nicht etwa vergessen?«

      »Nein, Sir, nein,« erwiderte der Lehrer, wieder sein Gesicht zeigend und sich die Hände reibend. Er schüttelte in großer Aufregung den Kopf. »Nein, Sir, nein. Ich habe mich nicht vergessen. Ich – nein, Mr. Creakle, ich habe mich nicht vergessen. Ich – ich – ich – wünschte, Sie hätten etwas früher an mich gedacht, Mr. Creakle. Es – Es – wäre gütiger gewesen und gerechter, Sir. Es hätte mir etwas erspart, Sir.«

      Mr. Creakle sah streng auf Mr. Mell, legte seine Hand auf Tongays Schulter, stieg auf eine Bank und setzte sich auf das Pult. Nachdem er von diesem Throne noch eine Weile Mr. Mell, der noch immer in größter Aufregung den Kopf schüttelte und sich die Hände rieb, streng angesehen hatte, wandte er sich zu Steerforth und sagte:

      »Nun, Sir, da er sich nicht herabläßt, es mir zu sagen, was ist also?«

      Steerforth wich der Frage eine Weile aus; er sah seinen Gegner mit zornigem und wildem Gesicht an und blieb stumm. Selbst damals konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, wie nobel sein Aussehen war und wie gewöhnlich und dürftig sich Mr. Mell gegen ihn ausnahm.

      »Was hat er eigentlich gemeint, als er von Günstlingen sprach?« sagte Steerforth endlich.

      »Günstlinge?« wiederholte Mr. Creakle, und die Adern auf seiner Stirne schwollen plötzlich an. »Wer hat von Günstlingen gesprochen?«

      »Er,« sagte Steerforth.

      »Bitte, was haben Sie damit gemeint, Sir?« fragte Mr. Creakle und wandte sich voll Zorn an seinen Unterlehrer.

      »Ich meinte, was ich sagte, Mr. Creakle,« erwiderte der Gefragte ruhig. »Daß kein Schüler das Recht hat, seine Günstlingsstellung zu benützen, um mich zu erniedrigen?«

      »Sie zu erniedrigen? Ausgezeichnet. Aber Sie werden mir gestatten, zu fragen, Mr. Dingsda,« und Mr. Creakle verschränkte seine Arme mit dem Rohrstock auf der Brust und zog seine Brauen so zusammen, daß seine Augen fast verschwanden, – »ob Sie, als Sie von Günstlingen sprachen, mir damit die gehörige Achtung bezeigt haben. Mir, Sir,« fragte Mr. Creakle und schnellte plötzlich mit dem Kopf gegen Mr. Mell vor und zog ihn wieder zurück. »Mir, dem Prinzipal dieser Anstalt und ihrem Brotherrn!?«

      »Ich gebe gern zu, daß es unüberlegt war,« sagte Mr. Mell, »ich würde es nicht getan haben, wenn ich bei kaltem Blute gewesen wäre.«

      Hier fiel Steerforth ein:

      »Und dann sagte er, ich wäre niedrig und gemein, und dann habe ich ihn einen Bettler genannt. Wenn ich bei kaltem Blute gewesen wäre, hätte ich ihn vielleicht keinen Bettler genannt. Aber ich tat es und nehme die Folgen auf mich.«

      Ohne wahrscheinlich zu überlegen, ob ihn überhaupt Folgen treffen könnten, erglühte ich förmlich bei dieser mutigen Rede. Sie machte auch auf die Jungen Eindruck, und es entstand eine leise Unruhe unter ihnen, wenn auch keiner ein Wort sprach.

      »Ich bin erstaunt, Steerforth, obgleich Ihre Aufrichtigkeit Ihnen Ehre macht,« sagte Mr. Creakle. »Ja, gewiß, Ihnen Ehre macht, – ich bin erstaunt, Steerforth, muß ich schon sagen, daß Sie solch eine Bezeichnung für eine Person brauchten, die in Salemhaus angestellt ist und bezahlt wird, Sir.«

      Steerforth lachte kurz auf.

      »Das ist keine Antwort, Sir,« sagte Mr. Creakle, »auf meine Bemerkung. Ich erwarte mehr von Ihnen, Steerforth.«

      Wenn Mr. Mell in meinen Augen gegenüber dem hübschen Knaben schon abstach, wäre es ganz un möglich gewesen, zu sagen, was Mr. Creakle für einen Eindruck machte.

      »Er soll es ableugnen,« sagte Steerforth.

      »Ableugnen, daß er ein Bettler ist, Steerforth? Aber wo bettelt er denn?«

      »Wenn er nicht selbst ein Bettler ist, so ist es seine nächste Verwandte,« sagte Steerforth. »Das kommt doch auf dasselbe heraus.«

      Er sah mich an, und Mr. Mells Hand klopfte mir sanft auf die Schulter. Ich blickte auf, Schamröte im Gesicht und Reue im Herzen. Aber Mr. Mells Augen ruhten auf Steerforth. Er fuhr fort, mich freundlich auf die Schulter zu klopfen, aber er blickte Steerforth an.

      »Da Sie eine Rechtfertigung von mir verlangen, Mr. Creakle,« sagte Steerforth »und ich sagen soll, was ich meine, so sage ich, daß seine Mutter von Almosen in einem Armenhaus lebt.«

      Immer noch sah ihn Mr. Mell an und klopfte mir immer noch freundlich auf die Schulter. Leise sagte er dann vor sich hin: »Ja, das habe ich mir gedacht.«

      Mr. Creakle wandte sich an den Unterlehrer mit strengem Stirnrunzeln und erkünstelter Höflichkeit.

      »Nun, Sie hören, was dieser Herr sagt, Mr. Mell. Haben Sie die Güte, seine Aussage vor der ganzen Schule gefälligst zu berichtigen.«

      »Er hat vollständig Recht, Sir,« antwortete Mr. Mell inmitten der tiefsten Stille. »Was er gesagt hat, ist wahr.«