Kraftlos ließ sich Angus zur großen Fabrik am Ende der Straße führen.
Die Ziegelei. Ein gewaltiger Komplex aus roten, ineinander verschachtelten Gebäuden, hohen gemauerten Schornsteinen und umgeben von einer dicken Mauer aus Ziegeln. Ein gewaltiges Tor aus gusseisernen Stäben war die einzige Öffnung entlang der Mauer. Morgens verschlang es die Arbeiter und nachts spuckte es sie wieder aus. Die meisten von ihnen. Einige blieben für immer hinter den Mauern, auf dem riesigen Friedhof der Fabrik. Dem Friedhof von McGrath. Hier fand das Leben der kleinen Siedlung überwiegend statt. Hier schlug das Herz der ganzen Region.
McGrath hatte mehr als tausend Menschen in der Ziegelei beschäftigt und herrschte wie ein mittelalterlicher Tyrann über seine Arbeiter und deren Familien.
Ihm gehörte die Siedlung, in der sie wohnten und Miete bezahlten; der Laden, in dem sie einkauften, die Küche, in der sie mittags ihr Essen kochten. Und ihm gehörte das Grab, in dem sie alle einmal enden würden – kurz: Eli McGrath gehörte alles, von der Geburt bis zum Tod, sogar die Zeit derer, die für ihn arbeiteten. Wenn er rief, dann hieß es folgen. Für jeden den er entließ, standen fünfzig zerlumpte Gestalten vor den Werkstoren und hofften auf Arbeit und eine Wohnung in der Siedlung.
Frank ging voraus und Angus wurde von den beiden Hünen durch das geschmiedete Tor geschoben. Sie führten ihn vorbei, an tausenden aufgestapelten Ziegeln bis sie die Brennstraße im großen Ofenhaus erreicht hatten. Das Fauchen der Öfen, das Zischen des Gases, das Summen und Stampfen der Maschinen verwoben sich zu einer Symphonie des Lärms. Der trockene Geruch nach Staub und Hitze und Sand lag in der Luft. Angus musste husten. Alle husteten. Das lag am Staub und den Dämpfen, die jeder von ihnen Tag für Tag gezwungen war, einzuatmen.
Die zerlumpten Arbeiter, die am Fließband standen, auf dem die gefüllten Ziegelformen in den Ofen fuhren, und kontrollierten, ob jede Form gleich gefüllt, die Farbe bei allen dieselbe war, hatten sich zum Schutz Tücher um Mund und Nase gebunden. Und trotzdem husteten einige von Ihnen blutigen Speichel.
Schwaden rötlichen Dampfes zogen vorbei. Und da stand er: Eli McGrath. In seinen schwarzen Reiterstiefeln, den weißen Hosen, dem weißen Hemd mit der schwarzen Schleife am Hals und der doppelreihig geknöpften grauen Weste. Die goldene Taschenuhrkette klimperte leise bei jeder Bewegung. In der Rechten hielt er eine kurze Reitgerte mit silbernem Knauf. Ein mächtiger Schnauzbart zierte seine Oberlippe. Das matte schwarze Haar stand in dicken Locken von seinem Kopf ab. Er grinste und entblößte makellose weiße Zähne.
Angus hob den Kopf und starrte auf das blendend weiße Gebiss.
„Wie ein Hai!“, dachte er.
„Sir, ich bringe Ihnen Angus.“
Fast hätte Frank geflüstert, als er sich McGrath genähert, seine Schiebermütze schnell vom Kopf gezogen und sich unterwürfig verbeugt hatte. Er vermied jeden Blickkontakt mit McGrath' grauen Augen.
„Sieh an. Angus. Mein Freund.“
Eine Stimme, die über Sand gebürstet war. Ein raues Flüstern. Auf einen Wink hin, drückten die beiden Hünen Angus in den Sand, dennoch hielt sein Blick stand.
McGrath ging sehr langsam auf Angus zu.
„Du kannst gehen, Frank.“
„Danke Sir. Jawohl Sir. Auf Wiedersehen Sir!“
Weg war er. Verschwunden in der Menge der Arbeiter in der Halle. Untergetaucht unter einem Tuch über Mund und Nase. Unsichtbar in der amorphen Masse zerlumpter, ausgemergelter Männer.
„Ich befürchte, wir haben etwas zu klären, Angus.“
Plötzlich blitzten kurze Bilder vor Angus' Augen auf: Seine Tochter, wie sie lacht, wie sie sich in ihrem neuen Kleid in der Sonne dreht, dann: Das Blut, die Stiche, die Kleider zerfetzt. Er senkte den Blick auf den Boden.
McGrath bohrte die Spitze der Reitgerte in Angus’ Brust. Dieser zuckte mit keiner Wimper und würdigte McGrath keines Blickes mehr. Seine zornig funkelnden Augen blieben zu Boden gesenkt, die Arme hingen schlaff an seinem Körper herab. Nur die Hände waren zu Fäusten geballt und die Kiefer malmten.
McGrath zog die Gerte zurück und ging gemächlich auf einen kleinen Haufen Ziegel zu, wischte mit einem Taschentuch den Staub beiseite und nahm Platz. Eine Hand stützte sich auf den silbernen Knauf, die andere lag mit dem Tuch in seinem Schoß. Wieder verzog sich sein Mund zu diesem Haifischgrinsen.
„Ich bitte dich um deinen Rat, Angus.“
„Meinen ... Rat?“
„Ja, doch. Deinen Rat. Was soll ich mit dir machen? Hmm? Was soll ich mit dir machen, nachdem diese“, er wedelte mit dem Tuch in der Luft herum, als würde er eine Fliege verscheuchen, „Sache mit deiner Tochter geschehen ist? Hmm? Ich gestehe, ich bin da etwas ratlos.“
„Mit mir? Mir ist das gleich, nachdem, was Sie meiner Tochter angetan haben!“
„Angus, Angus, Angus. Du verkennst die Lage. Vermutlich hältst du mich jetzt für ein Monster, für den Schuldigen in diesem Drama, aber sie und ich, deine Tochter und ich, wir hatten Spaß!“
Angus war fassungslos. Er hob seinen Kopf und sah McGrath an. Er rang nach Worten. Nach einer gefühlten Unendlichkeit sagte er:
„Spaß?“
„Ja doch. Deine Tochter und ich.“
Da war es, dieses trockene Lachen, das die Kinder in der ganzen Siedlung ängstigte, das viele in den Schlaf verfolgte.
„Sie ist ... entschuldige, war ein echter Wildfang. Anfangs hat sie sich natürlich ein wenig geziert. Das tun sie alle. Aber als ich sie erst mal auf dem Boden hatte, da schien sie es, nun ja, zu genießen.“
Das Lächeln gefror für einen Augenblick, dann wurde sein Blick eisig.
„Und dann hat sie mich gebissen. Hörst du, Angus? Dieses kleine Biest hat mich gebissen. Hier!“, er zeigte ihm seine linke Hand, winzige Abdrücke waren zu sehen, kein Blut, „Da musste ich ihr doch eine Lektion erteilen. Nicht wahr, Angus?“
Angus Mund öffnete sich, aber kein Wort kam ihm über die Lippen. Seine Fäuste waren so fest geballt, dass sich die Fingernägel tief in seine Haut gegraben hatten.
„Das hat man davon, Angus, wenn man seine Kinder nicht richtig erzieht, sie nicht lehrt, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Angus, ich fürchte, die Wahrheit ist, es ist deine Schuld, Angus, dass ich sie daran erinnern musste. Du hast sie schlecht erzogen. Gut, ihre Mutter ist verschwunden, als sie ein kleines Mädchen war, aber vielleicht hätten ihr Einfluss und ihre Erziehung geholfen? Was denkst du, Angus? Hat ihr die sanfte Führung einer Mutter gefehlt? Mädchen in einem bestimmten Alter brauchen eine Mutter! Hmm? Hast du dazu eine Meinung? Nein?“
Angus schnaubte nur und verdrängte die Tränen.
„Gut, du ziehst es vor zu schweigen. Macht nichts, denn auch das ist deine Schuld. Es liegt an dir. Deine Frau lässt dich mit einem Balg sitzen und du bist nicht Manns genug sie zu einer anständigen jungen Frau zu erziehen? Das ist keine Frage, Angus. Das ist ein Faktum. Eine Tatsache. Du hättest dir eine andere Frau suchen sollen. Aber nein ...! Sei froh, dass wir sie los sind. Sie wäre nur eine weitere dieser nutzlosen armseligen Gestalten geworden, die ein Kind nach dem anderen in die Welt gesetzt hätte, eines nutzloser als das andere. Eine Dirne, nichts weiter. Wenn sie um ihre Stellung gewusst hätte, ja, dann hätte man etwas für sie tun können, dann hätte ich etwas für sie tun können.“
„Für sie tun?“
„Für Mädchen wie sie habe ich immer Arbeit!“
„In einem Ihrer Bordelle?“
„Wo denn sonst? Hast Du sie dir einmal angesehen, Deine Madeleine? Also, als Mann, nicht als Vater. Sie war hübsch gebaut. Rundungen an den richtigen Stellen. Jetzt sag nicht, dass dir das nicht aufgefallen wäre, na? Du bist zwar ihr Vater, aber doch ein Mann. Vielleicht war sie um die Hüften ein klein wenig zu