Als sie dann mit Tante Lisbeth allein war, sagte Hortense: »Beweise mir, daß dein Stanislaus keine bloße Erfindung von dir ist, und du bekommst meinen gelben Kaschmirschal!«
»Er ist sogar ein Graf!«
»Das sind alle Polen!«
»Eigentlich ist er Livländer... .«
»Aber wie heißt er denn?«
»Wenn ich wüßte, daß du ein Geheimnis bewahren könntest... .«
»Tante, ich will stumm sein... .«
»Wie ein Fisch?«
»Ja, wie ein Fisch!«
»Schwörst du mir das bei deinem Seelenheil?«
»Bei meinem Seelenheil!«
»Nein, lieber bei deinem Glück hienieden!«
»Ja.«
»Na, er heißt Stanislaus Graf Steinbock!«
»Ein stolzer Name!«
»Ja, einer der Generale Karls des Zwölften hieß auch so. Das war sein Großonkel. Nach dem Tode des Königs von Schweden ließ sich sein Vater in Polen nieder. Während des Feldzugs von 1812 verlor er sein Vermögen, und als er starb, hinterließ er seinen achtjährigen Sohn völlig mittellos. Wegen des Namens Steinbock nahm sich der Großfürst Konstantin seiner an und schickte ihn auf die Schule... .«
»Ich halte mein Wort!« wiederholte Hortense. »Beweise mir, daß er leibhaftig existiert, und du bekommst meinen gelben Schal. Dieses Gelb steht einer Brünetten wundervoll!«
»Und du wirst mein Geheimnis wahren?«
»Ich vertraue dir dafür meine eigenen an.«
»Gut! Wenn ich das nächstemal komme, erbringe ich dir den Beweis.«
»Aber der Beweis ist dein Verehrer in Person!« forderte Hortense.
Seit ihrer Ankunft in Paris hatte Tante Lisbeth im Banne des Kaschmirschals gestanden, und so war sie selig bei dem Gedanken, diesen gelben Schal besitzen zu sollen. Der Baron hatte ihn 1808 der Baronin geschenkt, und wie das in manchen Familien so üblich, war dieses Schmuckstück 1830 von der Mutter auf die Tochter übergegangen. Seit zehn Jahren sah es zwar etwas abgetragen aus; aber das kostbare Gewebe, das immer in einem Sandelholzkasten lag, kam der alten Jungfer, wie überhaupt der ganze Besitz der Baronin, immer noch neu vor.
Beim nächsten Besuche brachte Tante Lisbeth in ihrem Arbeitsbeutel ein Geschenk mit, das sie der Baronin zu ihrem Geburtstag überreichen wollte. Damit glaubte sie die Existenz ihres so unwahrscheinlichen Verehrers genugsam zu beweisen.
Dieses Geschenk war ein silbernes Petschaft: drei aneinandergelehnte laubumrankte Gestalten trugen den Erdball. Diese drei Gestalten stellten Glaube, Liebe und Hoffnung vor. Ihre Füße stemmten sich gegen Ungeheuer, die sich untereinander bekämpften und aus denen heraus sich die symbolische Schlange wand. Heute, im Jahre 1846, würde dieses Meisterwerk niemanden mehr in Erstaunen setzen, nachdem Fräulein von Fauveau, Wagner, Jeanest, Froment-Meurice, der Holzbildhauer Liénard und andere die Kunst des Benvenuto Cellini von neuem so mächtig vorwärtsgebracht haben. Aber damals mußte ein junges Mädchen, das sich auf Kunstgegenstände verstand, in höchster Verwunderung vor diesem Petschaft stehen, als es Tante Lisbeth mit den Worten vorwies:
»Nun, wie gefällt dir das?«
Die Linienführung, die Behandlung der Gewänder und der Rhythmus der Gestalten deuteten auf die Schule Raffaels hin, aber in der Ausführung erinnerten sie an die Florentiner Bronzekünstler, an Donatello, Brunelleschi, Ghiberti, Benvenuto Cellini, Giovanni da Bologna usw. Selbst in den Werken der französischen Renaissance finden sich fabelhaftere Ungeheuer nicht als die, die hier die Laster verkörperten. Die Palmen, Farne, Binsen und das Schilf um die Tugenden war stilistisch wie technisch bewunderswert. Um die Häupter schlang sich ein Band, auf dem man in den drei Zwischenräumen zwischen den Köpfen ein W, einen Steinbock und das Wort fecit las.
»Wer hat das geschaffen?« fragte Hortense.
»Mein Verehrer«, erwiderte Tante Lisbeth. »In dem Ding stecken sechs Monate Arbeit. Ich mit meiner Goldstickerei verdiene mehr. Er hat mir erklärt, Steinbock sei ein deutsches Wort und bedeute »Gemse« oder so was. Von nun an will er alle seine Werke so signieren. Genug! Jetzt bekomme ich deinen Schal!«
»Wieso?«
»Kann ich mir ein solches Kleinod kaufen oder machen lassen? Das ist doch ausgeschlossen. Also habe ich es geschenkt bekommen. Und wer macht einem solche Geschenke? Ein Verehrer!«
Mit einer Verstellung, die Lisbeth Fischer entsetzt haben würde, wenn sie sie erkannt hätte, hütete sich Hortense, ihre große Bewunderung merken zu lassen, obwohl ihre Seele im Innersten ergriffen war, wie das allen für Schönheit empfänglichen Menschen so geht, wenn sie unverhofft vor einem vollendeten Meisterwerke stehen.
»Gewiß«, sagte sie, »das ist recht hübsch.«
»Ja, ja, es ist hübsch«, wiederholte die alte Jungfer, »aber ein gelber Kaschmirschal ist mir lieber. Siehst du, Kindchen, damit verbringt mein Verehrer seine Zeit. Seit seiner Ankunft in Paris hat er drei oder vier solche Sächelchen verfertigt, und das ist nun die Frucht von vier Studien- und Arbeitsjahren. Er hat bei Formern, Gießern und Goldschmieden gelernt. Was weiß ich? Hunderte und Tausende sind dabei draufgegangen. Nun bildet sich das Kerlchen ein, in ein paar Monaten berühmt und reich zu werden.«
»Aber du siehst ihn doch?«
»Glaubst du denn immer noch, es sei Fabel? Ich habe dir lachend die Wahrheit gesagt!«
»Und er liebt dich?« fragte Hortense lebhaft.
»Er betet mich an!« antwortete die Tante und setzte eine ernsthafte Miene auf. »Siehst du, Kindchen, bis jetzt hat er nur blasse und fade Frauen gekannt, wie sie da oben im Norden alle sind. Ich, braun, schlank, jung, ich habe ihm das Herz entflammt. Aber schweigen! Ich habe dein Wort.«
»Dem Ärmsten wird es wohl nicht anders ergehen als den fünf andern!« neckte das junge Mädchen die Tante, indem sie das Petschaft weiter betrachtete.
»Sechs, bitte! Du vergißt den, der in Lothringen auf mich wartet, und der noch heute für mich den Mond vom Himmel holen würde.«
»Der hier tut etwas Besseres«, erwiderte Hortense, »er bringt dir die Sonne!«
»Leider kann man Sonnengold nicht prägen lassen«, meinte Tante Lisbeth. »Man braucht Erde, ehe man sich sonnen kann!«
Diese Scherzreden folgten sich Schlag auf Schlag und erregten jenes übermütige Lachen, das die Baronin so ängstigte, weil es sie zwang, die voraussichtliche Zukunft ihrer Tochter mit dem frohen Heute zu vergleichen, wo sie sich all der Fröhlichkeit ihrer Jugend noch hingeben durfte.
»Er muß dir gegenüber doch große Verpflichtungen haben, wenn er dir ein Werk schenkt, an dem er sechs Monate lang gearbeitet hat?« fragte Hortense, die das Petschaft sehr nachdenklich gestimmt hatte.
»Du willst aber auch gar zu viel auf einmal wissen«, wehrte Tante Lisbeth ab. »Paß mal auf! Ich will dich in eine Verschwörung einweihen.«
»Handelt es sich um deinen Verehrer?«
»Du möchtest ihn sehen! Aber du wirst doch billigen, daß eine alte Jungfer wie eure Tante Lisbeth, die ihren Liebsten viele Jahre lang so fein verheimlicht hat, ihn nun nicht gleich zeigt. Laß mich damit also in Frieden! Siehst du, ich habe keinen Kater, keinen Kanarienvogel, keinen Hund, auch keinen Papagei; aber etwas fürs Herz muß doch auch eine alte Wildkatze wie ich haben, und darum halte ich mir einen Polen.«
»Hat er einen Schnurrbart?«
»So lang!« machte Lisbeth, indem sie ein langes Stück Goldfaden von der Rolle abwickelte.
Sie brachte sich stets