Zu der Zeit, wo unsere Geschichte beginnt, wäre Tante Lisbeth salonfähig und annehmbar gewesen, wenn sie sich modischer hätte kleiden lassen und sich wie die Pariserinnen daran gewöhnt hätte, nur immer das Allerneueste zu tragen. Graziös war sie allerdings nie und nimmermehr. Und in Paris ist eine Frau ohne Grazie überhaupt keine Frau. Ihr schwarzes Haar, ihre schönen ernsten Augen, die scharfen Gesichtszüge, ihre matte dunkle südländische Hautfarbe, die sie mit den Frauengestalten auf den Bildern Giottos gemein hatte und die sich eine wahre Pariserin gar wohl zunutze gemacht hätte, und vor allen Dingen ihr sonderbarer Anputz verliehen ihr ein so wunderliches Aussehen, daß sie manchmal an jene Äffchen in Frauenkleidern erinnerte, die die kleinen Savoyarden mit sich führen. Da man sie jedoch in allen dem Hause befreundeten und verwandten Familien gut kannte, und da sie ihren gesellschaftlichen Verkehr auf diesen Kreis beschränkte und am allerliebsten bei sich zu Hause blieb, so störten ihre Eigentümlichkeiten niemanden mehr. Außer dem Hause verschwand sie im Riesentrubel des Pariser Straßenlebens, wo man nur die hübschen Frauen anblickt.
Hortenses Lachen in jenem Augenblicke hatte seine Veranlassung in einem Triumphe, den sie eben über Tante Lisbeths Starrsinn davongetragen hatte. Sie hatte ihr ein Geständnis entlockt, das sie ihr drei Jahre lang nicht hatte entringen können.
Mag ein älteres Mädchen noch so verstockt sein, es gibt doch eine Eigenschaft, die ihr Schweigen zu brechen imstande ist: die Eitelkeit. Hortense, seit drei Jahren in gewissen Dingen außerordentlich neugierig geworden, bestürmte ihre Verwandte andauernd mit allerlei Fragen, die übrigens völliger Unschuld entsprangen. Sie wollte wissen, warum sie sich nicht verheiratet hatte. Sie kannte die Geschichte von den fünf abgewiesenen Freiern. Daraus hatte sie sich einen kleinen Roman zurechtgemacht und meinte, Tante Lisbeth müsse eine heimliche Liebe haben. Das gab ihnen fortwährend Anlaß zu übermütigen Streitereien. Hortense pflegte zu sagen: »Wir jungen Mädchen!«, wenn sie von sich selbst und ihrer Tante redete, und Lisbeth hatte wiederholt in scherzendem Tone geantwortet: »Weißt du denn, ob ich nicht einen Verehrer habe?« So war der wahre oder der erdichtete Liebhaber Tante Lisbeths zum Gegenstande harmloser kleiner Neckereien geworden. Schließlich aber hatte Lisbeth nach zweijährigem Scheinkampf auf Hortenses Nachfrage: »Na, wie geht es denn deinem Schatze?« doch einmal geantwortet:
»Ach, er ist ein wenig leidend, der arme junge Mann.«
»So? Er ist wohl sehr zarter Natur?« hatte sich die Baronin lächelnd in die Unterhaltung gemengt.
»Ja, ja! Wie die Blonden nun einmal sind! Ein schwarzes Mädel wie ich kann doch nur einen blonden Mann lieben, einen mondscheinblassen!«
»Na, was ist er denn eigentlich? Was macht er?« war Hortenses Frage. »Er ist gewiß ein Fürst?«
»Ein Fürst in seinem Handwerk, so wie ich eine Königin der Nadel bin. Wie sollte ich armes Mädchen von einem reichen Manne, der ein Haus und Staatsrenten hat, oder von einem Herzog und Standesherrn geliebt werden! Oder gar von einem Prinzen Gnadenreich aus deinen Märchenbüchern?«
»Oh, ich möchte ihn zu gerne einmal sehen!« rief Hortense lachend.
»Wohl um zu wissen, wie der beschaffen sein mag, der sogar die alte Wildkatze lieben kann?« war Tante Lisbeths Antwort.
»Gewiß ist es ein alter Beamter mit einem Ziegenbart!«
»Wenn ihr euch nur nicht täuscht!«
»Also du hast einen Liebhaber?« fragte Hortense mit triumphierender Miene.
»So gewiß wie du keinen hast!« erwiderte die Tante pikiert.
»Aber, wenn du einen Liebhaber hast, Lisbeth, warum heiratest du ihn denn nicht?« fragte die Baronin. »Seit drei Jahren ist von ihm die Rede. Du hast Zeit genug gehabt, ihn gründlich kennenzulernen, und wenn er dir wirklich treu geblieben ist, so solltest du ihn nicht länger schmachten lassen. Das bist du ihm schuldig. Und schließlich, falls er jung ist, wäre es für dich Zeit, dir eine Stütze für deine alten Tage zu sichern.«
Tante Lisbeth hatte die Baronin scharf beobachtet, und als sie sie lachen sah, gab sie zur Antwort:
»Das hieße Hunger und Durst miteinander verheiraten! Er ist Handwerker, ich bin Arbeiterin. Wenn wir Kinder bekämen, müßten sie auch Handarbeiter werden... . Nein, nein, nur unsere Seelen lieben sich. Das ist nicht so kostspielig!«
»Warum versteckst du ihn vor uns?« fragte Hortense.
»Weil er keinen Rock hat!« lautete die lachende Antwort der alten Jungfer.
»Liebst du ihn?« fragte die Baronin.
»Ich denke doch. Ich liebe ihn um seiner selbst willen. Er ist mein Ideal. Jetzt sind es bereits vier Jahre her, daß ich ihn in meinem Herzen trage.«
»Schön! Wenn du ihn um seiner selbst willen liebst«, meinte die Baronin ernst, »und wenn er wirklich existiert, dann bist du sehr grausam ihm gegenüber! Du weißt nicht, was es heißt, wahrhaft lieben.«
»Das wissen wir Frauen doch von Geburt an!«
»Nein, denn es gibt Frauen, die lieben und dabei doch Egoisten bleiben. So eine bist du!«
Lisbeth senkte den Kopf über ihre Stickerei, und wenn jemand ihren Blick gesehen hätte, wäre er zweifellos erschrocken.
»Wenn du uns deinen angeblichen Liebhaber vorstellen wolltest, so könnte ihm Hektor eine Stellung verschaffen und ihm behilflich sein, sein Glück zu machen.«
»Das ist unmöglich.«
»Warum denn?«
»Weil er eine Art Flüchtling ist, ein Pole.«
»Ein Verschwörer?« rief Hortense. »Hast du ein Glück! Da hat er wohl viele Abenteuer bestanden?«
»Er hat für Polen gekämpft. Er war Lehrer an einer Hochschule, deren Schüler am Aufruhr beteiligt waren, und da er durch die Gunst des Großfürsten Konstantin dort angestellt war, darf er nicht auf Gnade hoffen.«
»Lehrer? Was lehrte er denn?«
»Zeichnen und Malen.«
»Und nach der Niederlage seiner Partei ist er nach Paris gekommen?«
»Im Jahre 1833 hat er zu Fuß Deutschland durchwandert... .«
»Der Ärmste! Und wie alt ist er?«
»Zur Zeit des Aufstandes war er kaum vierundzwanzig. Heute ist er neunundzwanzig.«
»Fünfzehn Jahre jünger als du«, warf die Baronin ein,
»Wovon lebt er?« fügte Hortense hinzu.
»Von seinem Talent.«
»Ach so, von seiner Lehrtätigkeit?«
»Nein. Jetzt werden ihm Lehren erteilt, und zwar recht harte«, erwiderte Tante Lisbeth.
»Hat er einen netten Vornamen?«
»Stanislaus!«
»Was für eine lebhafte Einbildung doch so ein altes Fräulein hat!« bemerkte die Baronin. »Wenn man dich so reden hört, könnte man dir wirklich glauben, Lisbeth.«
»Ja, siehst du, Mutter, er ist eben ein Pole und an die Knute gewöhnt. Lisbeth erinnerte ihn an diese kleine Annehmlichkeit seines Vaterlandes.«
Darüber hatten